Auch Malu Dreyer will jetzt Influencerin sein

Parteien und Regierungsstellen richten eigene Newsrooms ein, um die Deutungshoheit über ihre Themen zu bekommen. Kritiker sehen darin eine Gefahr für den Journalismus. Sogar Wolfgang Schäuble ist skeptisch

Andreas Scheuer in seinem „Neuigkeitenzimmer“. Lächeln oder grinsen die Mitarbeiter? Foto: Twitter

Von Daniel Godeck

Malu Dreyer, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin, ist bislang nicht als Gegnerin der Pressefreiheit aufgefallen. Im Gegenteil: Als Vorsitzende des ZDF-Verwaltungsrats ist die SPD-Regierungschefin auch Fürsprecherin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Doch unlängst stand Dreyer in der Kritik – vor einer „Bedrohung der Pressefreiheit“ warnte etwa der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) Rheinland-Pfalz.

Auslöser war Dreyers Ankündigung, die Pressestelle ihrer Staatskanzlei in Mainz in einen sogenannten Newsroom umzuwandeln – so etwas wie eine Nachrichtenzentrale nach journalistischem Vorbild also. „Dort werden die Informationen zusammenlaufen sowie Themen vernetzt, analysiert und auf unterschiedlichen Plattformen sowie Websites ausgespielt“, teilte ihre Regierungssprecherin Andrea Bähner im Frühjahr mit.

Dreyer ist mit ihrem Vorstoß nicht ­allein. Parteien und Ministerien schlüpfen zunehmend selbst in die Rolle der Journalisten. Eigene Newsrooms werden eingerichtet, wie sie eigentlich in Medienhäusern üblich sind. Es wird ­berichtet, eingeordnet und gefilmt wie in einer Redaktion. Digitale Plattformen wie Facebook, Twitter und Instagram machen die Verbreitung möglich.

Das Bundesverkehrsministerium ist hier besonders aktiv. Im vergangenen Herbst öffnete CSU-Minister Andreas Scheuer mit großem Pomp das sogenannte Neuigkeitenzimmer – Mitarbeiter produzieren hier Videos, laden Fotos hoch und schreiben Tweets. Die SPD betreibt bereits seit 2016 einen Newsroom. Die Unionsfraktion hat im Frühjahr erst Räume im Bundestag zu einem solchen Nachrichtenzentrum umgebaut. In der CDU-Parteizentrale gibt es ähnliche Pläne.

Statt dröger Pressemitteilungen wird etwa Fraktionschef Ralph Brinkhaus von den Fraktionsmitarbeitern zur Steuerschätzung interviewt. Auch das Format „Grill den Scheuer“, bei dem der Bundesverkehrsminister von Nutzern mit Fragen gelöchert wird, ähnelt dem journalistischen Interview. Angeblich alles unzensiert. Beliebt sind auch politische Statements, die auf Instagram mithilfe ansprechender Fotos ihre Verbreitung finden.

Die Entwicklung ist nicht neu: Durch den Aufstieg der digitalen Medien ist der Kommunikationsdrang gewachsen. Entsprechend steigen die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit in Ministerien und Parteien kontinuierlich. Zum Beispiel im Bundesfinanzministerium: Waren im Haus von Olaf Scholz 2017 noch 3 Millionen Euro für Außendarstellung eingeplant, sind es 2018 bereits 5 Millionen gewesen.

„Es wird der Eindruck erweckt, einen Journalismus-Ersatz zu schaffen“

Frank Überall, DJV-Vorsitzender

An sich ist an der Eigen-PR nichts verwerflich − sie gehört bei Ministerien und Parteien ebenso dazu wie bei jedem Autohausbetreiber. Problematisch wird das nur, wenn die Politiker durch die digitalen Kanäle an klassischen Medien vorbei informieren – die mediale Kontrolle also unterlaufen werden soll.

Wird durch Newsrooms also der klassische Journalismus als Korrektiv untergraben? Werden Journalisten, wenn Parteien und Ministerien selbst Inhalte produzieren, an den Rand gedrängt? Zumal viele traditionelle Medienhäuser durch sinkende Auflagenzahlen ohnehin unter Druck stehen. Kurzum: Ist die Pressefreiheit in Gefahr?

Der DJV hat genau diese Sorge. „Es wird damit der gefährliche Eindruck erweckt, einen Journalismus-Ersatz schaffen zu wollen“, sagt dessen Bundesvorsitzender Frank Überall. Dabei obliege die Einordnung einzig den Journalisten. „Auch beim Kauf eines Elektrogeräts vertrauen wir ja nicht blind darauf, was uns der Hersteller sagt, sondern holen uns Rat von jemandem, der davon Ahnung hat“, sagt Überall.

Die Urheber sehen in den Newsrooms erwartungsgemäß kein Problem. Die SPD etwa verweist darauf, dass dieser „losgelöst von klassischer Pressearbeit“ arbeite. Es gehe nicht um Konkurrenz zum klassischen Journalismus. Mithilfe der digitalen Kanäle „können wir Botschaften verstärken und klassische Medienkommunikation verlängern“, sagt ein Sprecher im Willy-Brandt-Haus.

Blickt man allein die Zahlen an, scheint das Problem bisher tatsächlich überschaubar. Ein Beispiel: Dem Verkehrsministerium folgen auf Twitter aktuell 38.000 Nutzer. Zum Vergleich: Die taz hat zurzeit rund 571.000 Follower, der Account der Tagesschau sogar mehr als zweieinhalb Millionen. Andererseits: Wie aussagekräftig solche Zahlen sind, ist unklar.

Sicher scheint die symbolische Wirkung, die von Newsrooms ausgeht. „Es ist ein Zeichen im Kampf um die Deutungshoheit im Verhältnis zwischen Medien und Politik“, sagt Christina Holtz-Bacha, Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Erlangen-Nürnberg. Es reihe sich ein in einen Trend, in dem die Pressefreiheit unter Druck stehe – auch und insbesondere in westlichen Demokratien.

Klassischer Journalismus: Andreas Scheuer vor der Presse Foto: Murat Türemiş

Für Irritationen sorgten in dem Kontext auch Äußerungen von CDU-Chefin Annegret-Kramp Karrenbauer. Als sie im Frühjahr ihre Newsroom-Pläne vorstellte, verwies sie auf eine Parteiveranstaltung, bei der Journalisten ausgeschlossen waren und nur ein parteieigener Livestream bereitstand. „Wir waren Herr über die Bilder, wir haben die Nachrichten selbst produziert – in diese Richtung wird es weitergehen, das ist moderne politische Kommunikation“, sagte sie.

Gleichwohl haben bereits einige Politiker die Gefahr einer möglichen Parallelöffentlichkeit erkannt. Die Politik als Nachrichtenproduzent? „Das ist Aufgabe der Medien. Übrigens auch, die Nachrichten einzuordnen“, sagte etwa Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble neulich in einem Interview mit der Welt.

In Rheinland-Pfalz hat die Kritik erste Wirkung gezeigt. So beschäftigte das Thema bereits den Medienausschuss im Landtag. Dreyer ist inzwischen etwas zurückgerudert: Der Newsroom solle nun Mediendienst heißen, verkündete sie. Was diese Umbenennung in der Praxis bedeutet, ist unklar. Vorsorglich stellte Dreyer aber klar: „Es ist selbstverständlich, dass wir keine journalistische Arbeit machen.“