Eine letzte Idylle in Mitte

Die Kunst zieht es nach draußen. Ein Skulpturengarten in der Klosterruine lädt dazu ein, sich mit seiner Sterblichkeit anzufreunden. Auch an anderen Ecken der Stadt sprießt es

Im Schneewittchensarg ist die Welt noch ferner als im Klostergarten ohnehin Foto: Marcelina Welmer

Von Beate Scheder

Einen besseren Platz hätten Katrīna Neiburga, Andris Eglītis mit Jānis Noviks kaum finden können. Wenn man sich einen hätte ausdenken müssen, um über Sterblichkeit nachzusinnen, sähe er vermutlich genau so aus wie die Ruine der Franziskaner-Klosterkirche: halb zerfallen, voller Geschichte und zum Himmel hin offen. Die Ruine, in unmittelbarer Nähe des Alexanderplatzes gelegen, ist einer der erstaunlichsten Orte der Stadt, eines ihrer ältesten Baudenkmäler, ein Stück Mittelalter mitten im architektonischen Durcheinander von Mitte. Und eine Oase der Ruhe: Selbst der Verkehr der Grunerstraße, der hinter den Mauern vorbeibraust, kommt einem drinnen kilometerweit entfernt vor.

Seit 2016 gehört die Ruine zu den Kunstorten der Kommunalen Galerie des Bezirks Mitte. Jeden Sommer werden Künst­le­r*in­nen eingeladen, diesen zu bespielen, wie jetzt die drei aus Lettland. Kuratorin Solvej Helweg Ovesen ist bei der RigaBiennale im vergangenen Jahr auf sie aufmerksam geworden. Dort hatten Neiburga und Eglītis unter anderem eine Open-Air-Bar aus den Steinen zerstörter Gebäude aufgetürmt, die Brick-Bar, wo Performances aufgeführt und Partys gefeiert wurden.

Was sie nun in Berlin machen, schließt daran an. Auch ihr „Playground – for accepting your mortality“ ist ein Ort, ein Spielplatz, wenn man so will, an dem man eine entspannte Zeit verbringen kann. Allzu morbide fällt der lettische Memento-mori-Reigen nämlich nicht aus. Zwei gläserne Schneewittchensärge stehen da herum, man kann man sich hineinlegen und einen kleinen Schönheitsschlaf halten. Oder man lässt sich von einem Karussell langsam herumkreisen, sucht sportliche Ertüchtigung auf einem Crosstrainer, folgt den auditiven Anleitungen zur körperbetonten Meditation oder lässt sich wahlweise auf Massagematten zwischen einem Farnwäldchen mit Blick auf einen Wasserturm oder in einem sanft nachschwingenden Rettungsnetz nieder und schaut den Wolken beim Vorbeiziehen zu.

Es ist ein sinnlicher Erlebnisparcours, in dem man sich mit Werden und Vergehen und der eigenen Körperlichkeit auseinandersetzen wie anfreunden soll. Das wiederum ist auch eine Referenz auf die Geschichte des Klosters, hat hier doch der Alchemist Leonhard Thurneysser im 16. Jahrhundert einen botanischen Garten angelegt, um Heiltränke zu brauen, die – so hoffte er – zur ewigen Jugend und damit Unsterblichkeit verhelfen sollten.

Bei den Skulpturen, die Neiburga, Eglītis und Noviks in der Ruine aufgestellt haben, ist es mit dieser indes nicht so weit her: Lange werden sie es nicht machen. Aus Torf, wie man ihn auch zur Anreicherung von Graberde benutzt, sind sie geformt, nach den nächsten größeren Regenschauern werden der adrette Pudel und das sich umarmenden Paar – das übrigens Neiburga und Eglītis darstellt – wohl nicht mehr so aussehen wie noch zu Beginn. Das ist so geplant und angesichts der allzu lieblichen Formen vielleicht auch ganz gut so.

Tiefschürfend ist das alles nicht, was sich auf diesem Spielplatz zum Anfassen und Benutzen anbietet, muss es aber auch gar nicht sein. Einen idyllischeren Ort findet man in Mitte jedenfalls nicht. Belebt ist er deshalb schon jetzt und wird es wohl in Zukunft noch mehr sein, etwa wenn die vom Sound- und Kunstkollektiv Creamcake zusammengestellten Musikveranstaltungen stattfinden werden. An drei Abenden – der erste Termin ist am 7. Juni – wollen sie versuchen, sich den Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie und Erlebniswirtschaft von Festivals zu widersetzen und paradiesische Zustände für junge Talente bereiten, die sich langsam entwickeln wollen, ganz ohne Hype, der womöglich gleich wieder vorbei ist.

Ovesen, die Kuratorin des Sommerprogramms der Klosterruine, bezeichnet diese als einen der letzten Freiräume der Stadt. Wahrscheinlich liegt es an diesem Mangel, dass sich in diesem Jahr auffällig viele Künst­le­r*in­nen und Initiativen auf die Suche nach weiteren begeben oder selber welche schaffen, andere Gärten zum Beispiel.

So haben die beiden südkoreanischen Künstler Seok Hyun Han und Seung Hwoe Kim vor der St.-Matthäus-Kirche am Kulturforum „Das dritte Land“ aufgeschüttet, eine traditioneller koreanischer Landschaftsmalerei nachempfundene Hügellandschaft, auf der Pflanzen aus Süd- und Nordkorea friedlich nebeneinander wachsen.

Im Sommerbad Humboldt­hain beginnt derweil die neue Saison des Kunstkiosks Tropez mit einer Gruppenausstellung. „Amour“ heißt sie und versammelt Arbeiten von neun Künst­le­r*in­nen zum Thema Liebe. Auch das Project Space Festival, das ebenfalls heute beginnt, zieht es mit einem neuen Konzept ins Freie, in öffentliche Räume, mal in die Ringbahn, mal in Parks, mal auf Straßen oder Plätze.

Nicht nur für das übliche Publikum ist das angenehm. Bestenfalls erreicht die Kunst dort auch jene, die um Kunst nor­malerweise eher einen Bogen machen.