Auf Neuköllner Dächern: Von Penthäusern und Parasiten

Mit einem Haus auf einem Haus blicken zwei Künstler und Aktivisten in Neukölln von oben auf stadtentwicklungspolitische Fragen.

Penthouse oder Provokation oder beides? Foto: Jakob Wirth

Auf einem Dach irgendwo in Neukölln blitzt etwas auf. Jakob Wirth öffnet die Tür zu dem Mietshaus, führt die Treppen hoch, zum Dachstuhl, klettert über eine Leiter nach oben und steht schließlich auf dem Dach vor einem kleinen fünfeckigen Holzhaus mit Spitzgiebel. Das Haus ist mit Spiegelfolie verkleidet, man hat abwechselnd das Gefühl, vor einem winzigen Ufo zu stehen oder vor dem Häuschen von Karlsson vom Dach, dieser seltsamsten aller Figuren der schwedischen Kinderbuchautorin Astrid Lindgren.

In Wahrheit ist das Haus, das Jakob Wirth gemeinsam mit Alexander Zakharov (der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen will) gebaut hat, weder das eine noch das andere, sondern wurde von ihnen „Penthaus à la Parasit“ getauft. Vor einer Woche haben die beiden Künstler und Aktivisten 450 Kilo Kanthölzer, Schrauben, Bretter und Folie auf dieses Dach geschleppt und das Haus nach eigenem Bauplan zusammengesteckt und verschraubt. Ohne Genehmigung, aber aus Kulturmitteln gefördert, wie Wirth berichtet.

Jakob Wirth, 27 Jahre alt, wohnt seit Oktober in Berlin, studiert an der Humboldt-Uni und der Kunsthochschule Weißensee Sozialwissenschaften und Raumstrategien, davor hat er in Friedrichshafen und Weimar studiert. Überall hat er an Wohn- und Kulturprojekten gearbeitet, mal eine Wiese besetzt, mobile Bauten bewohnt. Er und Za­kharov nennen sich Nischensucher, interessieren sich besonders für die Schnittstelle zwischen Sozialem, Kunst und Aktivismus.

Wirth sitzt in dem kleinen Haus, das auf 3,7 Quadratmetern ein Bett bietet, Stauraum darunter, Schreibtisch, eine kleine Küche. Es erinnert an die Tiny Houses – aber in seiner seltsamen Mischung aus Glamour in privilegierter Lage und Ärmlichkeit auch wieder nicht.

Aneignung von oben

Denn es geht dem Penthaus à la Parasit nicht um eine Lösung des Wohnungsproblems. Eher geht es den beiden Künstlern darum, die Vogelperspektive zu besetzen, das, was all jenen in dieser Stadt verwehrt ist, die sich kein Penthouse leisten können. Das Zauberwort lautet Aneignung von oben. „Während die Diskussion um die Enteignung der Deutsche Wohnen gerade erst anläuft, wollten wir schon mal anfangen“, sagt er und berichtet dann von der Namensfindung für ihr Projekt.

„Der Parasit ist eine interessante Figur in der Soziologie und Philosophie“, sagt er. „Gesellschaftlich ist er negativ konnotiert. Trotzdem setzt er sich auf die Grenzen von Systemen, macht diese Grenzen überhaupt erst sichtbar und spielt Irritation ins System.“ Außerdem gebe es viele Parasiten, die nicht nur vom Wirt profitieren, sondern von denen auch der Wirt profitiert. Die Fragen türmen sich: Wer ist hier überhaupt der Wirt? Das kleine Haus, die Künstler? Oder ist es das große Haus, sein Eigentümer, die Immobilienbranche?

Anfänglich dachten die Künstler übrigens, dass das Haus höchstens zwei Tage stehen bleiben würde. Nun, nach einer Woche, denken sie schon über die erste Diskussionsveranstaltung auf dem Dach nach.

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