Politologe über Österreichs Parteien: „Der SPÖ geht es nicht schlecht genug“

Österreichs Sozialdemokraten sind in der Krise, inhaltlich zu unklar und in der Präsentation ÖVP-Chef Kurz unterlegen, sagt Politologe Anton Pelinka.

Pamela Rendi-Wagner

„Von den alten Männern in der Partei von Anfang an behindert“: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner Foto: dpa

taz: Herr Pelinka, man rätselt, warum die SPÖ aus der größten Krise der Republik nicht mehr politisches Kapital schlagen kann. Bei den EU-Wahlen verlor sie sogar 0,2 Prozentpunkte.

Anton Pelinka: Die SPÖ ist gelähmt zwischen zwei strategischen Optionen: Wieder zur österreichischen Arbeiterpartei werden, was ich für eine Illusion halte, weil es keine Arbeiterbewegung im engeren Sinn mehr gibt. Und die Arbeiter wählen seit 25 Jahren FPÖ und zuletzt bei der EU-Wahl sogar ÖVP. Oder sie europäisiert sich, was sie bisher nur halbherzig getan hat. Die zweite Lösung halte ich langfristig für aussichtsreicher, aber kurzfristig nicht. Vergessen Sie nicht: Die SPÖ ist im europäischen Vergleich noch immer eine der stärkeren sozialdemokratischen Parteien. Ihr geht es noch nicht schlecht genug, dass sie innerparteiliche Veränderungen durchsetzen kann.

Liegt es an Parteichefin Pamela Rendi-Wagner oder ihrem Team?

Die Frau Rendi-Wagner ist von den alten Männern in der Partei von Anfang an behindert worden. Manche der Silberrücken haben ihr keine faire Chance gegeben. Einer davon ist Hans Peter Doskozil, Landeshauptmann im Burgenland, der daran gearbeitet hat, dass Rendi-Wagner keine Autorität bekommt. Wenn man sie nun absetzt und Doskozil kurzfristig die Parteiführung übernimmt, bleibt ja das strategische Dilemma. Warum soll eine akademisch gebildete Frau mit internationaler Erfahrung nicht für die Sozialdemokratie der Zukunft besser geeignet sein als ein burgenländischer Gendarmeriebeamter?

Liegt es an der Inszenierung? Da ist ja Sebastian Kurz um Längen besser.

Das könnte der Herr Doskozil schon gar nicht. Ich gebe zu, dass Frau Rendi-Wagner diesbezüglich gegenüber Kurz im Nachteil ist. Ich nehme an, bei den Wahlen im September wird die ÖVP mit deutlichem Vorsprung gewinnen. Für Kurz wird es aber nicht leicht sein, einen Koalitionspartner zu finden. Die Entscheidung wird die übernächste Wahl bringen. Ich halte es für unfair, wenn die österreichischen Medien Frau Rendi-Wagner ständig vorwerfen, zu wenig präsent zu sein. Wäre sie präsenter, würde man kritisieren, die Frau Rendi-Wagner muss jeden Tag etwas von sich geben. Sie wird von den Medien unfair behandelt, wird aber auch in der eigenen Partei zu wenig geliebt und geschätzt.

Werden die richtigen Inhalte transportiert?

Nein. Bei der EU-Parlamentswahl eindeutig nein. Da ging es um mehr Europa oder weniger Europa. Die liberalen Neos haben mehr Europa gesagt, die FPÖ weniger Europa, ÖVP und SPÖ haben laviert, nur konnte der Herr Kurz das mit einem besseren Gesicht machen. Will die Sozialdemokratie mehr Europa? Das kann nun die Formel von den Vereinigten Staaten von Europa sein oder nicht, mehr Kompetenz für das Europäische Parlament und die europäische Kommission oder nicht. Da ist Andreas Schieder von der SPÖ die Antwort genauso schuldig geblieben wie der Herr Kurz.

Jahrgang 1941, österreichischer Politologe. Gründete das Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien mit. Seit 2006 ist er Professor im Nationalism Studies Program der Central European University (CFE) in Budapest.

Was wollen ÖVP und SPÖ denn europapolitisch?

Die Inhalte waren europapolitisch verwaschen. Dass man für ein soziales Europa ist, wie plakatiert wurde, ist eine Leerformel. Die Europäische Union hat nicht die Kompetenz, europäische Mindestlöhne zu bestimmen, nicht einmal wirksam die Außengrenzen zu kontrollieren. Das hätte Schieder konsequent sagen können. Gesagt haben es die Neos. Die SPÖ und ÖVP haben genau genommen nichts gesagt. Da war die Inszenierung besser als die Inhalte. Kurz ist ein Meister des Verkaufs, ohne dass er überhaupt weiß, welche Inhalte er verkauft. Das kann er und ich nehme an, das wird ihn noch eine Zeitlang zu einem Höhenflug bringen. Und ich nehme an, dass der Herr Doskozil mindestens so wenig geeignet ist wie die Frau Rendi-Wagner, ihn daran zu hindern. Die Sozialdemokratie kann darauf hoffen, den Status quo zu halten. Die Nummer eins ist unter den gegenwärtigen Umständen außer Reichweite.

Manche Ihrer Kollegen meinen, es war ein schwerer strategischer Fehler, Kurz das Misstrauen auszusprechen.

Das ist insofern richtig, als die Abwahl Kurz den Auftritt gibt: „Ich bin aus parteipolitischen Gründen abgesetzt worden und ich bin der einzige Staatsmann.“ Aber die Parteistimmung war so, es ist nichts anderes übrig geblieben. Die vergangenen zehn Tage waren ein Theaterstück, dessen Autor Sebastian Kurz heißt. Was immer die anderen tun, es nützt ihm. Er ist ein Meister der Inszenierung, aber der Inhaltsleere.

Eine der Botschaften, die Kurz unentwegt aussendet, ist, dass jetzt eine rot-blaue Koalition droht.

Das ist eine maßlose Übertreibung, die zum Wahlkampf gehört. Die Sozial­demokraten – weder unter Dos­kozil noch unter Rendi-Wagner – würden nie eine Koalition mit den Freiheitlichen eingehen. Aber es passt natürlich als Schreckgespenst. Die SPÖ hat vor der letzten Wahl vor Schwarz-Blau gewarnt, jetzt warnt Kurz vor Rot-Blau. Nur: Schwarz-Blau war eine reale Option, Rot-Blau nicht. Herr Kurz wird sich den Koalitionspartner aussuchen und vermutlich hat er nur die Option SPÖ oder FPÖ, denn Grüne und Neos werden nicht stark genug sein. Das Dilemma des Kurz beginnt also nach der Wahl. Er ist ein Meistertaktiker, ob er ein Meisterstratege ist, wage ich zu bezweifeln.

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