Die Wahrheit: Der unendliche Affe

„Von Affen an Schreibmaschinen hatte ich wohl hier und da gehört, von der theoretischen Herkunft und Durchdringung nicht“.

Als Erster hatte ich das Programmkino-Sälchen verlassen und blickte vom Foyer aus zurück, ethnologisch sozusagen: Wieder einmal fiel mir auf, dass sich deutlich mehr ältere Frauen als ältere Männer den Film angeschaut hatten. Um diesen Eindruck widerzuspiegeln, wandte ich mich der Kartenabreißerin zu. Ob sie das auch so erlebe? „Ja“, sagte sie, „der Begriff Schachtelkino hat eine zweite Bedeutung gewonnen.“

Lachend radelte ich ungemütlich durch die nasskühle Dunkelheit gen Southside. Die wenigen anderen Fahrradfahrer waren dienstlich unterwegs, für Lieferando oder Domino’s. Langsam aber sicher kroch die Laune einem Missmut entgegen, doch da schimmerte von anderer Seite eine Wendung durch: Nur ein kleiner Umweg war nötig, um es bei Inga zu versuchen. Und ja, es brannte Licht.

Typisch, dass ich nicht darauf kam, per SMS anzufragen, sondern altmodisch unser Klingelzeichen einsetzte. Die Haustür surrte auf! Inga saß am Schreibtisch vor dem Bildschirm. Nach eiliger Begrüßung und Status-Tausch sagte sie: „Hier, ich zeige dir, was ich ausgegraben habe.“ Ich holte mir besser ein Glas Wein, setzte mich und war bereit.

„Irgendetwas“, sagte Inga, „brachte mich wieder zu Borges’ Erzählung ‚Die Bibliothek von Babel‘. Vier Klicks weiter lernte ich ein bisschen über das mathematische ‚Infinite-Monkey-Theorem.‘“ – „So, so.“ – „Genau. Es handelt sich lässig um Wahrscheinlichkeit, Unendlichkeit und Kausalität.“ – „Oha.“ – „Eine der simpelsten Versionen lautet: ‚Ein Affe, der einige Unendlichkeiten lang auf einer Schreibmaschine herumhackt, wird irgendwann zufällig sämtliche Stücke von Shakespeare geschrieben haben.‘“

„Aber mein nächster Roman ist so nicht entstanden!“, bemühte ich mich um einen Kalauer. Inga erwiderte: „Nicht? Darauf wäre ich auch nicht gekommen. Übrigens gibt es inzwischen Seiten von vermutlich findigen Wissenschaftlern oder Künstlern, die solche Affen algorithmisch live und wild tippen lassen. Die hier etwa ist auf Goethes ‚Faust‘ angesetzt und auf ‚Hamlet.‘“ Von Affen an Schreibmaschinen hatte ich wohl hier und da gehört, von der theoretischen Herkunft und Durchdringung nicht.

Eine Weile trieben wir uns im Netz herum, stießen auf ein Projekt, wofür echte Makakenaffen Buchstaben zu Shakespeare beitrugen. Nein, ich war dem Lehrsatz bislang nicht begegnet. Und staunte nicht schlecht, wie oft Romane, Comics, Trickfilmserien darauf anspielten, seltener im deutschen Sprachraum.

Egal. Per Absacker erwuchs ein Vierzeiler: „Samstagabend im verregneten Mai / kam ich an Ingas Wohnung vorbei / ich steige vom Fahrrad und läute galant / sie war da und hat mein Klingeln erkannt.“ „Betont man das ‚war‘, stimmt der Rhythmus“, sagte Inga. Für die Verse hätte ein Affe wahrscheinlich nur einen Hauch länger gebraucht als ich.

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kari

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