Raus aus der Komfortzone

Das Explosive-Festival intensiviert mit der 17. Ausgabe seine enge Zusammenarbeit mit der renommierten Folkwang-Hochschule. Zu erleben ist das nicht nur im Schlachthof, sondern auch im Walle-Center

Kenji Shinohe ergründet im Tanz die Zusammenhänge von Emotionen und Symbolen Foto: Festival/PR

Von Teresa Wolny

Ein Verkaufsraum zwischen Kik und Takko im Einkaufszentrum Walle-Center: „Ach Theater!“, ruft jemand im Vorbeigehen. Das Rolltor zum großen Verkaufsraum, der zu diesem Zweck mit Tribüne und Technik ausgestattet wurde, steht bewusst halb offen. Die diesjährige Edition des Explosive-Festivals meint es ernst damit, die Inhalte an den Mann und an die Frau zu bringen, und zwar nicht nur an die üblichen Verdächtigen im Theater. So wie die freie Szene nicht nur, aber gerade in Bremen schon länger aus der Nische in die größere Öffentlichkeit drängt, so macht auch die 17. Ausgabe des Explosive-Festivals einen großen Schritt in diese Richtung. Raus also aus dem Schlachthof, aus dem Schutzraum Theater, rein in den Alltag eines Donnerstagvormittags im Einkaufszentrum.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Explosive-Festival seine Basis im Schlachthof verlässt. „So weit rausgewagt haben wir uns aber noch nie“, sagt Tobias Pflug, der zusammen mit Frederieke Behrens die künstlerische Leitung des Festivals stemmt.

Das tägliche Programm beginnt mit den Schulvorstellungen im Walle-Center. Das Hä*Wie?!-Kollektiv hinterfragt und verfremdet vertraute Bewegungen und greift dabei mal auf Breakdance-Moves, mal auf minimale mechanische Bewegungen zurück. Der Austausch mit dem Publikum wird auch durch fliegende Bonbons hergestellt, das folgende Chaos weicht kurz danach aber den bewundernden Ah- und Oh-Rufen, die treu alle Breakdance Einlagen begleiten. Das Ganze endet mit einem rülpsenden Elch, der das Publikum vom vorderen in den hinteren Raum lotst. Celine Bellut aus Frankreich beschäftigt sich dort in intimerer Atmosphäre ohne Tribüne und in einer ständigen Kreiselbewegung mit dem Thema Unordnung.

Auch die Arbeit von Kenji Shinohe aus Japan hinterfragt Alltägliches und verbindet dabei Tanz und Pantomime – und ein Smartphone. Mit seinem fantastischen Minenspiel durchdringt er den Wust von Symbolen und digitalen Emotionen und nähert sich wieder den analogen Gefühlen an.

Über 70 Bewerbungen gab es dieses Jahr. Viel mehr als erwartet, erzählen die Leiter*innen des Festivals. Unter den jungen Künstler*innen sind dabei zehn unterschiedliche Nationalitäten vertreten. „Gemeinsam Grenzen überwinden und alles, was bewegt werden muss bewegen!“, ist ein langer und zugegeben nicht über alle Maßen origineller Slogan, aber die Originalität soll sich in dieser Angelegenheit ja gerade nicht in Worten ausdrücken. Das internationale Festival für junges Theater legt diesmal den Fokus auf den Tanz als universelles Ausdrucksmittel über jegliche Barrieren hinweg. Die existenziellen Fragen von jungen Menschen – explizit genannt sind soziale und ethnische Ausgrenzung, sollen dabei in eine künstlerische Formensprache umgesetzt werden. Es geht um Subjektivität, um Unordnung und Assoziation. Aber auch ganz konkret um ein Rehabilitationszentrum für Tänzer*innen auf Schalke. Letzterem hat Marie-Lena Kaiser ihre Arbeit „Mattentraining“ gewidmet. Schon bloßes Gehen fällt auf den dicken blauen Matten schwer, Grund genug, es vielleicht einfach mal mit Tanzen zu versuchen.

Abends kehrt das Programm zurück in die Kesselhalle des Schlachthofs. Die abendlichen Produktionen wurden bewusst so gemischt, dass sie sowohl zusammenpassen als auch Gegenpole bilden könnten, je nach Perspektive. Ziel ist es vor allem, Auseinandersetzungen mit dem Material zu provozieren.

Die existenziellen Fragen einer jungen Künstler*innen-Generation werden in Bewegung und Tanz übersetzt

Wie bei Festivals üblich, besteht auch das Explosive nicht nur aus Show, sondern auch aus Workshops, nächtlichen Partys im Magazinkeller und mittlerweile traditionellen Saunagängen im Schlachthof. Das Festival ist gleichzeitig Netzwerk zwischen Tanzbegeisterten vor und während des Studiums und professionellen Akteur*innen der Szene: 62 Künstler*innen kommen zum Festival nach Bremen. Neben dem Publikumspreis wird von der Jury ein Residenzpreis vergeben. Die Gewinner*innen können damit zwei Wochen lang an bestehenden Arbeiten weiter arbeiten, bekommen Unterstützung und die Möglichkeit, das Ergebnis am Ende der Residenz am Schlachthof zu präsentieren.

Weitere Besonderheit in diesem Jahr ist der Eintritt. Jeder, der sich „nur ein Fitzelchen dafür interessiert“ ist willkommen, sagen die Macher*inne. Auf keinen Fall sollen da Preise abschrecken, stattdessen kann je nach Wille und Möglichkeit hinterher bezahlt werden. Was ist dem Einzelnen die Kunst wert? „Es ist ein Experiment, mal gucken, was passiert.“

Neben dem Walle-Center als lokalem Partner kooperiert das Festival auch mit der renommierten Folkwang-Universität der Künste in Essen. Sprungbrett für so manche internationale Tanzkarriere, die – wer weiß, dieses Jahr in einem Bremer Einkaufszentrum beginnen könnte. Besuch mit Inspirations- und Motivationspotenzial kommt vom Folkwang-Studenten Hakan Sonakalan. Mit seiner neuen JugendTANZtheater-Produktion Quatsi, die im August präsentiert wird, trägt er den Spirit des Explosive-Festivals gleich mit in den Sommer.

Festival noch bis So, 26. 5.. Das Programm findet sich unter:www.theaterschlachthof.com