Die Majestät des psychedelischen Pop

Einst galt er als Genie mit ziemlich viel Schattenseiten, heute sieht sich der Wahlberliner Anton Newcombe vor allem als Arbeitstier, das schon allein eine Band stellt: The Brian Jonestown Massacre. Gerade ist das neue Album erschienen

Der Mann vor einem bunt-poppigen Hintergrund, so wie seine Musik: Anton Newcombe Foto: André Wunstorf

Von Andreas Hartmann

Der Mann, der sich eine Zeit lang seinen guten Ruf als geniehaftes Arschloch und größenwahnsinniges Drogenwrack hart erarbeitet hat, sitzt im Vorraum seines Musikstudios in einem Hinterhof in Mitte und wirkt eigentlich recht pflegeleicht. Ein Mineralwasser? Oder doch lieber einen Tee? So viel Gastfreundlichkeit hatte man gar nicht erwartet.

Früher hieß es über Anton Newcombe, man solle möglichst darauf achten, was man zu ihm sagt, um nicht einen Wutanfall oder Schlimmeres von ihm zu erleben. Auch mit Handgreiflichkeiten sei stets zu rechnen. Das war in den Neunzigern und sicherlich auch noch ein Weile in den nuller Jahren so, als Newcombe alle möglichen Drogen bis hin zu Heroin zu sich nahm, wenn er sich nicht gerade mit viel zu viel Alkohol betäubte.

Doch inzwischen ist er clean, wirkt entspannt und berichtet von gemütlichen Spaziergängen, die er zuletzt mit seinem Sohn Wolfgang in seinem Kiez rund um die Schönhauser Allee unternommen habe. Mit seinen langen Haaren, den ergrauten Koteletten und in seinem Hippiehemd sieht er ein wenig aus wie der mittelalte Neil Young. Den Vergleich lässt der 51-Jährige gerne gelten.

Nach Berlin verschlagen hat es ihn wie einen seiner vielen wirklichen Helden der Rockhistorie – David Bowie. Wie dieser hatte sich auch Newcombe während seiner Jahre in Los Angeles selbst verloren, um dann nach Berlin zu ziehen, um endlich von den Drogen wegzukommen. Anders als Bowie ist Newcombe jedoch nicht direkt aus L. A. hierhergekommen. Er machte davor noch Station in New York und eine Zeit lang lebte er in Island, seit elf Jahren ist er nun Berliner. Schon weit länger als die kurze Zeit, die drei Jahre, die es Bowie hier in der Stadt hielt.

Der Vorraum seines Studios strahlt eine spezielle Form von Gemütlichkeit aus. Ausgestopfte Rehköpfe hängen an der Wand, ein Bild von Michail Gorbatschow, ein kitschiger Papst-Teller, und in einer Ecke stehen Schallplatten ungeordnet herum. Sechs Tage die Woche sei er hier, so Newcombe, praktisch immer, wenn er nicht gerade auf Tour ist. „Ich bin ein Arbeitstier“, sagt er, alles drehe sich bei ihm ständig um Musik, deswegen könne er sich auch keinen besseren Ort vorstellen als sein ­Studio.

Anlass für das Gespräch ist eigentlich das neue, selbstbetitelte Album seiner Band The Brian Jonestown Massacre. Es sei deren inzwischen achtzehntes Album, informiert ihre Homepage. Bloß 18 Alben? Newcombe glaubt, es seien inzwischen weit mehr. Wie viele genau, könne er jedoch gar nicht sagen, er habe da selbst ein wenig den Überblick verloren.

Überhaupt zähle für ihn nicht nur The Brian Jonestown Massacre, sondern genauso all die anderen Projekte, in die er sonst noch so involviert sei. Ob man beispielsweise L’Epée kenne, seine neue Band zusammen mit der Schauspielerin und Sängerin Emmanuelle Seigner, die mit Roman Polanski verheiratet ist, fragt er. Anstatt auf eine Antwort zu warten, hat er bereits sein Laptop aufgeklappt und spielt die Debütsingle der Band an. Die klingt nach Nancy Sinatra und Lee Hazlewood auf Französisch, versehen mit einem extra Zuschlag Garagenrock und Gitarrengedengel.

Trotzdem: Berühmt und berüchtigt wurde Anton Newcombe mit seiner 1990 in San Francisco gegründeten Band Brian Jonestown Massacre. Der Name allein war schon aufsehenerregend, ein Kompositum aus Brian Jones und dem sogenannten Jonestown-Massaker, einem Massensuizid 1978 unter dem Sektenführer Jim Jones in der von ihm gegründeten Siedlung Jonestown. Und Brian Jones, in den Sechzigern das schillerndste Mitglied der Rolling Stones, wurde, ein paar Wochen nachdem er aufgrund diverser Drogeneskapaden aus seiner Band geflogen war, tot in einem Swimmingpool gefunden.

Brian und Jim Jones, zwei Ikonen der Selbstzerstörung, wurden die beiden selbsterwählten Paten von Newcombes Band. Nicht ohne Grund, wie man in dem preisgekrönten Dokumentarfilm „Dig!“ aus dem Jahr 2004 sehen konnte, einem der besten Musikfilme überhaupt. Über mehrere Jahre hinweg wird hier der Werdegang der befreundeten, aber auch rivalisierenden Bands The Brian Jonestown Massacre und der Dandy Warhols gezeigt. Letztere werden bald berühmt, obwohl sie nur eine eher durchschnittliche Combo sind. Die weit verheißungsvolleren The Brian Jonestown Massacre bleiben dagegen notorisch erfolglos, die Eskapaden und die Unberechenbarkeit Newcombes verhindern den Aufstieg, interessierte Plattenfirmen werden erfolgreich verschreckt.

Newcombe fasst diese Zeit damals, vor seiner Tasse Tee sitzend, mit dem denkwürdigen Satz zusammen: „Man wollte von mir, dass ich die neuen Nirvana werde. Ich sagte Nein.“

Gezeigt wird in der Dokumentation auch, wie Newcombe reihenweise Musiker aus seiner Band wirft. Mark E. Smith, der vergangenes Jahr gestorbene Sänger von The Fall, sagte einmal: „Auch wenn nur ich und deine Oma an den Bongos mit dabei sind, bleibt es immer noch The Fall.“ Und so hält es auch Newcombe, bis heute. „Vergiss die anderen Musiker in der Band“, sagt er, die kämen und gingen, The Brian Jonestown Massacre, das sei letztlich er ganz allein.

Seiner Schilderung nach braucht er eigentlich auch gar keine Mitmusiker, um ein Stück für seine Band aufzunehmen. „Ich spiele jedes Instrument auf meinen Platten“, sagt er, „außer die Violine.“ Irgendjemand hat mal nachgerechnet: In den 30 Jahren Existenz kamen an die 40 Musiker zu The Brian Jonestown Massacre – und gingen dann auch wieder. Brian Jones, Newcombes Idol – extravagant, wild, immer auf Drogen – wurde von seinen Bandmitgliedern rausgeworfen, das kann ihm nicht passieren, er macht es lieber umgekehrt.

Der Sänger distanzierte sich damals freilich von „Dig!“. Die gezeigten Ausfälligkeiten von ihm seien aus dem Zusammenhang gerissen worden, sagte er. Inzwischen hat Newcombe seinen Frieden mit dem Werk gemacht.

Newcombes Sound ist immer retro, dabei aber offen für alles, womit man Garagenrock frisch halten kann

Der Film hätte ursprünglich ganz anders aussehen sollen, erzählt er beim Gespräch in Berlin. Er hätte erzählen sollen, wie sich noch während der großen Grunge-Welle und des Siegeszugs des Alternative Rock Anfang der neunziger Jahre die großen Plattenfirmen um die abgefahrensten Indie-Bands rissen, in der Hoffnung, den nächsten großen Abräumer einzukaufen. Daraus sei dann jedoch eine ganz andere Geschichte destilliert worden. Schnee von gestern. Die euphorischsten Rezensionen des einst so verhassten Films werden inzwischen jedenfalls stolz auf der eigenen Website präsentiert.

Zur milderen Beurteilung beigetragen hat sicherlich auch, dass die Schilderung der talentierten, aber letztlich hoffnungslosen Band Newcombes in der Dokumentation spätestens nach 2010 nicht mehr aktuell war. In dem Jahr wurde die alte Nummer „Straight Up And Down“ von The Brian Jonestown Massacre zur Titelmelodie der HBO-Serie „Boardwalk Empire“, und Newcombe erreichte plötzlich, zumindest für eine Weile, ein Millionenpublikum.

Ein Teil der Tantiemen wird auch in sein eindrucksvolles Studio geflossen sein. Zig Gitarren, Synthesizer aller Art, verschiedene Mikrofone, von allem gibt es eher zu viel als zu wenig. „Das ist mehr Equipment, als die Beat­les und die Rolling Stones in den Sixties zur Verfügung hatten“, sagt Newcombe. Hier sitzt er und arbeitet an eigenen Stücken – „ich schreibe im Durchschnitt mehr als einen Song pro Tag“ – oder produziert andere Bands, deren Platten dann oft auf seinem eigenen Label A Recordings erscheinen. Etwa Alben von LeVent aus Berlin, Weird Owl aus Brooklyn oder die Musik seines guten Freundes Tim Burgess von den Charlatans.

Psychedelic, Krautrock, Sixties Pop, für diese Art von Musik begeben sich die meisten Bands in Newcombes Studio. Er selbst natürlich auch. The Brian Jonestown Massacre ist eine äußerst eklektizistische Band. Plattentitel wie „Who Killed Sgt. Pepper?“ oder „Their Satanic Majesties’ Second Request“ verweisen immer wieder konkret auf musikalische Vorläufer, etwa auf die Beatles oder die Stones.

Newcombes Sound ist immer retro, dabei aber offen für so ziemlich alles, womit man Garagenrock frisch halten kann. Spielereien mit Elektronik, indischen Ragas, Shoegazing, ­Drones, er hat da schon alles Mögliche durch.

Die gleichnamige neue Platte von The Brian Jonestown Massacre klingt da vergleichsweise konventionell. Nach klassischem Psychedelic-Pop mit viel Orgel. Und die Musik ist immer noch so schön verdrogt wie in den Anfangstagen der Band. Und das, obwohl Newcombe inzwischen ja eigentlich die Finger von Acid und all dem anderen Zeugs lässt.

The Brian Jonestown Massacre: „The Brian Jonestown Massacre“ (A Recordings)