Digitalkonferenz Republica in Berlin: Zehn Dinge, die wir gelernt haben

Die Republica ist das europaweit größte Treffen in Sachen Digitales. Wir waren dabei und haben unsere Erkenntnisse aufgelistet.

Aus einer rosaroten Hängematte ragen ein paar Füße und ein Handy

Gemütlich entspannen in der Republica-Hängematte. Aber nicht ohne Handy! Foto: dpa

1. Datenschutz geht ins Ohr

Suchen Sie noch etwas zum Einschlafen? Wie wäre es mit der Komplettfassung der Datenschutzgrundverordnung, eingelesen im englischen Original? Diese und andere Skurrilitäten, Fails und Diskussionen rund um die Verordnung, die auf Englisch GDPR heißt, stellten die Netzauskenner:innen Katharina Nocun und Lars Hohl vor – fast ein Jahr, nachdem die neuen Regeln wirksam geworden sind. Über Beschwerden von Handwerker:innen, dass Zimmer- und Raummaße unter die Datenschutzgrundverordnung fallen könnten, bis hin zur Frage, ob Kirchen weiterhin Livestreams von Predigten ins Netz stellen dürften.

Natürlich steckte in dem ganzen Humor ein ernster Kern: dass nämlich viele Firmen, Vereine oder Institutionen nur deshalb so über- oder danebenreagierten, weil sie sich vorher nicht einen Deut um Datenschutz geschert hatten. Und die notwendigen Maßnahmen durchzudenken und dabei Sinnvolles von Quatsch zu unterscheiden, war dann natürlich in der Kürze der Zeit – immerhin waren es von der Verabschiedung bis zum Wirksamwerden nur über zwei Jahre – nicht mehr so richtig möglich. So und jetzt was zum Aufwachen: der GDPR-Song. Gesang und Ukulele. Auf die Melodie von YMCA. Sie werden Tage brauchen, das wieder loszuwerden.

2. Axel Voss traut sich was

Er hätte ja nicht zusagen müssen, der Chefverhandler der Konservativen für die Urheberrechtsreform im EU-Parlament. Doch er hatte entschieden, sich einer Diskussion mit dem Netzpolitik.org-Gründer Markus Beckedahl zu stellen. Das ZDF stellt den Moderator und den Bühnenhintergrund, Voss und Beckedahl die beiden gegensätzlichen Pole der netzpolitischen Diskussion in den vergangenen Monaten.

Eine halbe Stunde, Feuer frei. Sein Ziel, die #niemehrCDU-Klientel von der Großartigkeit der Reform zu überzeugen, dürfte Voss trotzdem verfehlt haben. Denn dass die Nutzer:innen von den neuen Regeln „gar keine Veränderungen“ (O-Ton) spüren würden, das konnte er nicht so richtig glaubwürdig rüberbringen. Trotz eines angestrengten Dauerlächelns.

3. Hängematten gehen besser als Liegestühle

Jedenfalls waren die Hängematten in unmittelbarer Nachbarschaft der Hauptbühne praktisch immer komplett belegt. Mit Menschen, die sich ausruhten, auf Smartphones tippten oder schliefen. Bei den Liegestühlen dagegen, auf dem Hof in der Sonne, mit Blick in einen Minirest städtische Wildnis und die hier oberirdisch verlaufende U-Bahn, fand sich fast immer ein freier Platz. Ob ausreichend Bildschirmhelligkeit das Tageslicht kompensiert?

4. Wie mit Rechten umgehen? Wissen alle, aber keine:r tut es

Man kann die verschiedenen Talks und Diskussionsrunden im diesjährigen Programm kaum zählen, in denen es darum geht, wie wir mit der Bedrohung von rechts umgehen soll. Doch alle Speaker:innen haben wertvolle Tipps. Journalist:innen sollten nicht über jedes Stöckchen springen. Nutzer:innen der Plattformen sollten sich nicht provozieren lassen, in dem sie auf den Hass der Rechten reagieren und ihnen damit mehr Reichweite verschaffen. Altbekanntes, wie man es auch schon auf der vorherigen re:publica hören konnte und auf der davor und der davor… Doch wenn es so einfach ist, wieso fangen wir dann nicht alle an, so zu handeln?

5. Google wächst, Happen für Happen

Es war eine Frage, die sich durch viele Diskussionen hindurchzog: Wie lässt sich die Marktmacht von Amazon über Facebook (mit WhatsApp und Instagram) bis Google (mit YouTube, Android, AdSense und einigem mehr) begrenzen? Durch Alternativen mit offenen Schnittstellen? Genossenschaftlich organisierten Plattformen? Oder durch Zerschlagung? Margrethe Vestager jedenfalls, EU-Wettbewerbskommissarin, wies erst einmal auf Folgendes hin: In den vergangenen Jahren habe Google in Europa 175 bis 200 Firmen übernommen. Zu klein, um unter die Fusionskontrolle zu fallen. Aber: Auch mehr Masse macht mehr Macht.

6. Wir müssen den proprietären Toaster verhindern

Den was? Den Toaster, der vom Hersteller so konfiguriert ist, dass er nur noch Toast einer bestimmten Marke toastet. Das Beispiel aus dem Vortrag des Science-Fiction-Autors Cory Doctorow klingt abwegig, ist es aber leider nicht. Denn mit dem Internet der Dinge, das so ziemlich alles vernetzen soll, was mit Strom funktioniert, können Hersteller das Gleiche machen, wie wir es heute schon von Druckern kennen, die nur mit den einen ganz bestimmten Patronen eines Herstellers funktionieren. Nicht, weil das technisch so notwendig wäre. Sondern, weil die Hersteller es entsprechend programmieren, um ihre Einnahmen zu steigern. Das Gegenteil von proprie­tär ist übrigens Open Source.

Und davon bräuchten wir viel mehr, nicht nur bei Toastern.

7. Der blaue Kapuzenpulli ist das It-Piece

Wie auch im letzten Jahr gab es unter den Gästen ein Kleidungsstück immer wieder auf dem Gelände zu sehen. Ein blauer Kapuzenpulli mit gelben Sternen. EU als Modetrend – die Wahl steht ja aber auch kurz bevor.

8. Der Klimawandel betrifft auch Nerds

Greta Thunberg war zwar nicht auf der Digitalkonferenz, dafür aber Luisa Neubauer von Fridays for Future – und Sascha Lobo. Jedes Jahr am Ende des ersten Tages der Konferenz hält Kolumnist und Interneterklärer Lobo eine einstündige Rede, darin geht es immer um die ganz großen Themen. Dieses Mal: „Realitätsschock.“ Er erzählte von einer diffusen Wut, die wir wohl alle in uns spüren. Neben Brexit oder Trump kommt er dann vor allem auf den Klimawandel zu sprechen. #Realitätsschock.

Lobo ist nicht der Einzige, der auf der Digitalkonferenz vom Klima spricht. Es ging auch darum, wie der Klimawandel unsere Wirtschaft verändert und wie Wälder von der Digitalisierung profitieren können. Bundesumweltministerin Svenja Schulze war übrigens auch da – und Greta Thunberg am Ende dann irgendwie auch, endete Sascha Lobo seine Rede doch mit ihren Worten: „Aktivismus wirkt. Also handelt.“

9. Podcasts sind das neue Ding! Jetzt aber wirklich

24 Veranstaltungen zu Podcasts waren im aktuellen Programm der re:publica aufgeführt. Manche wurden live aufgenommen, Deezer hat einen Podcastpreis verliehen, es gab Workshops, wie man in wenigen Stunden zum eigenen Podcast kommt, und Talks, wie klassische Medienhäuser auf den Podcast-Boom reagieren und eigene Audioformate entwickeln. Während in den USA die Podcast-Szene seit Jahren stetig wächst und mittlerweile Nachrichten von millionenschweren Investments und Übernahmen die Branche verändern, ist das Thema jetzt auch in Deutschland so richtig angekommen. Bei der re:publica jedenfalls standen Interessierte am Thema Podcast meist vor verschlossenen Türen, darauf ein Schild: „Over capacity“.

10. Wir haben das Internet nicht verstanden

Wir dachten, für die Generation unserer Großeltern wird es schwer, sich mit den neuen technischen Errungenschaften anzufreunden: Computer, Smart­phones, Internet. Für die jüngeren Generationen gehört das längst alles zum Alltag. Doch während die Digitalisierung immer schneller voranschreitet, kommen wir Nutzer:innen, die Politik und alle anderen nicht mehr hinterher. Flugtaxis, Algorithmen, künstliche Intelligenz. Wir alle treten munter in soziale Netzwerke ein, ohne die AGBs zu lesen, oder stellen uns sprachgesteuerte Assistenten in unsere Wohnungen, ohne zu wissen, was mit dem gesammelten Datenhaufen passiert.

Sybille Krämer, Philosophieprofessorin an der Leuphana Universität in Lüneburg, fasste zusammen: „Hinter dem Screen entfaltet sich ein wuchernder Raum unzugänglicher Interaktionen von Protokollen, Algorithmen und Maschinen, welcher von denjenigen vor dem Screen selten einsehbar und erst recht nicht kontrollierbar ist.“ Zeit, dass wir anfangen uns die Zeit zu nehmen, das Internet zu verstehen und die Kontrolle zu gewinnen. Das passt auch zum Motto der Digitalkonferenz #tl;dr – too long, didn't read.

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