Verregneter Kampf der Kulturen

Salvini, Le Pen, Wilders, Meuthen & Co.: Zum EU-Wahlkampfabschluss versammelt sich die Prominenz deseuropäischen Rechtspopulismus auf dem Mailänder Domplatz. Nur der FPÖ-Spitzenkandidat ist kurzfristig verhindert

Die Causa Strache hat den RechtspopulistInnen ihr Fest ziemlich vermiest. Auch wenn sich alle inständig bemühten, die Sache runterzuspielen

Aus Mailand Christian Jakob

Selbst an einem verregneten Samstagnachmittag ist der Mailänder Dom in seiner marmornen Filigranität womöglich das schönste Bauwerk, das die europäische Architektur hervorgebracht hat. Marine Le Pen, auf ihrer riesigen Bühne, muss nur mit dem Kopf zur Seite deuten, um zu zeigen, worum es ihr geht: Schaut ihn an, wie schön er ist, sagt sie. Doch den EuropäerInnen drohe alles Schöne, alles Gute abgenommen zu werden; ihr Erbe, ihre Wissenschaft, ihre Kultur, ihre Freiheit, behauptet die Frontfrau der französischen Rechten.

„Reconquista“, die Rückeroberung des „Eigenen“, das ist das Zauberwort, mit dem Le Pen an diesem Tag wie eine böse Predigerin die Wehrhaftigkeit beschwört, auf die es nun, vor der EU-Wahl, ankomme. KeineR preist den Kampf der Kulturen so wie sie. Schon als der Moderator Le Pens Namen ankündigt, bebt die Ebene aus Regenschirmen auf dem Mailänder Domplatz unter dem Applaus.

Vielleicht 10.000 Menschen sind versammelt, weniger als erwartet, hatte die Lega doch in ganz Italien Busse gechartert, um die Fans ihres Vorsitzenden Matteo Salvini zu dessen EU-Wahlkampfabschluss herzubringen. Eine Open-Air-Bühne hat die Partei aufgebaut, auf Transparenten stehen die Slogans „Italien zuerst“ und „Für ein Europa des gesunden Menschenverstandes“, in dieser Reihenfolge. Aus der Logik derer, die hier auftreten, ergibt sich das eine aus dem anderen.

Le Pen ist der Star, doppelt so lange wie alle anderen darf sie reden, als Vorletzte unter den Gästen, die gekommen sind, um Salvini zu huldigen. Das Defilee soll die Gründung einer Allianz von Europas Rechtsaußenparteien besiegeln, die als gemeinsame Fraktion im neuen EU-Parlament auftreten wollen.

Bis Samstag war unklar, wer alles dabei sein würde. Schließlich erscheinen VertreterInnen aus zwölf Ländern: Neben dem Gastgeber Salvini und Le Pen kommen der AfD-Spitzenkandidat Jörg Meuthen, Geert Wilders von der Partij voor de Vrij­heid aus den Niederlanden sowie VertreterInnen von Vlaams Belang aus Belgien, der Dänischen Volkspartei, der Partei „Die Finnen“, der Estnischen Konservativen Volkspartei, der „SPD“ abgekürzten Partei „Freiheit und direkte Demokratie“ aus Tschechien sowie von Sme Rodina („Wir sind Familie“) aus der Slowakei und Volya („Wille“) aus Bulgarien.

Eigentlich sollte auch Harald Vilimsky, der Spitzenkandidat der FPÖ, da sein. Doch wegen der Strache-Videos und der österreichischen Regierungskrise hatte der schon am Freitagabend abgesagt. Stattdessen kommt Georg Mayer, ein steirischer EU-Abgeordneter, der einen bemerkenswert unverfrorenen Auftritt hinlegt. „Wir sind die richtigen Medikamente für den Patienten Europa“, lässt er wissen. Der Name des gestrauchelten FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache kommt ihm nicht einmal über die Lippen.

Die Causa Strache hat den RechtspopulistInnen ihr Fest ziemlich vermiest. Auch wenn sich alle inständig bemühten, die Sache runterzuspielen. „Es gibt auf diesem Kontinent Menschen, die an Werte glauben, und wir sind die Stimme dieser Menschen“, sagte AfD-Chef Meuthen. Was im Licht der Strache-Videos etwas unglücklich klang. Meuthen behauptete, die rechte Allianz sei „nicht antieuropäisch“, sondern nur „gegen die heutige EU und ihre dekadenten Eliten“. Juncker, Draghi, Macron, Weber, Merkel, Timmermans „und so weiter“ seien „Zerstörer unseres Europas“. Die RechtspopulistInnen würden sie „aus den Parlamenten jagen“, versprach er.

Dass nicht nur die „EU-Eliten“ verjagt werden sollen, machte Anders Primdahl Vistisen von der Dänischen Volkspartei klar: „Es geht nicht darum, Migranten in Europa zu integrieren, sondern darum, sie zurückzuschicken.“ Der Niederländer Geert Wilders machte es noch kürzer: „Basta Islam“ wettert er.

Gewissermaßen als Gastgeschenk flochten viele in ihre Reden ein, dass sie Salvini am liebsten als Nachfolger von Juncker an der Spitze der EU-Kommission sähen. „Natürlich werden wir eine angemessene personelle Repräsentanz fordern, auch in der Exekutive“, hatte Meuthen bereits am Vortag verkündet. „Wir wären ja verrückt, wenn wir das nicht täten.“

Daraus wird aber wohl nichts werden: Ein knappes Viertel der Stimmen könnten die PopulistInnen laut letzten Umfragen bekommen, koalieren will mit ihnen aber kaum jemand.

Zwei Stunden dauert das Spektakel aus Tiraden gegen die EU-Eliten, Islamverachtung, Xenophobie, haltlosen Versprechen und Verschwörungstheorien. Salvini hatte für die Kundgebung unter anderem mit Bildern des jüdischen Investors George Soros geworben, auf denen stand: „Der wird sicher nicht da sein.“

Auch in seiner Rede greift Salvini Soros an und wirft ihm vor, Flüchtlinge nach Europa zu bringen. Die Migration von MuslimInnen führe früher oder später dazu, dass sie in der Mehrheit seien und eine „Rechtsordnung errichten, die mit unserer Freiheit inkompatibel ist“, sagt Salvini. Solange er Innenminister sei, kämen keine Rettungsschiffe mit Flüchtlingen in italienische Häfen. Er verspricht, Steuern zu senken, und will gleichzeitig die Sozialleistungen ausweiten – ein mit Vorstellungen der FPÖ oder der AfD völlig unvereinbares Vorhaben.

In den Tagen zuvor hatten Mailänder Gruppen die Bevölkerung aufgerufen, mit Transparenten an ihren Häusern gegen den Besuch der RechtspopulistInnen zu protestieren. Zur „Balkoniade“ hingen dann am Samstag tatsächlich an vielen Häusern Spruchbänder wie „Bleiben wir menschlich“.

Am Nachmittag hatten das feministische Bündnis „Non una di meno“, antirassistische Gruppen und PartisanInnenverbände zu einer Gegenkundgebung aufgerufen, die sie die „Große Gala der Zukunft“ nannten, in Anspielung auf die reaktionäre Familienpolitik der PopulistInnen. Nach Angaben von „Non una di meno“ marschierten dabei etwa 20.000 Menschen durch die Innenstadt, an der Mailänder Klinik skandierten sie „Über unsere Körper bestimmen wir selbst“, mit Blick auf die von der Lega erschwerten Möglichkeiten zur Abtreibung. Auf Postern wurde Salvini ein „Faschist“ genannt.