australien
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Die dunklen Flecken der australischen Seele

Für junge Wähler spielen Abstiegsängste und der Klimawandel eine Rolle – viele andere sind anfällig für rassistische und antimuslimische Stimmungen

Seit 2013 sperrt Canberra auf unbestimmte Zeit Flüchtlinge ein

Aus Canberra Urs Wälterlin

„Die Furcht vor einer spektakulären Wahlschlappe kann selbst einen eingefleischten Neoliberalen zum Sozialisten werden lassen.“ So quittierte diese Woche ein Kritiker in den Medien schnippisch das jüngste Wahlversprechen des konservativen australischen Premierministers Scott Morrison. Der ehemalige Marketingmanager hatte verlautet, jungen Immobilienkäufern mit Steuergeldern unter die Arme greifen zu wollen.

Dass Morrison versucht, mit seinem Versprechen „Millen­nials“ und „Post-Millennials“ für sich zu gewinnen, ist kein Zufall. Zwischen 1981 und 1997 geborene Australier gehören zu jenen, die trotz fast 30 Jahren ungebrochenem wirtschaftlichen Wachstum die schlechtesten Karten haben für die Zukunft. In Internetforen und in Diskussionssendungen am Fernsehen äußern Mitglieder dieser Generation immer lauter ihre Frustration darüber, dass für sie von den Boomjahren „zu wenig abgefallen sei“, wie eine Frau es ausdrückte.

Eine Million mit zwei Jobs

Viele junge Australier fühlen sich an den Rand gedrängt. „Als die konservative Regierung 2013 die Macht übernahm, lag die Arbeitslosenrate bei 5,71 Prozent“, meint der Finanzkommentator Alan Austin. Doch während vergleichbare Länder ihre Si­tua­tion deutlich verbessert hätten, hätte die Arbeitslosenrate in Australien 2018 bei fast unveränderten 5,4 Prozent gelegen. Bei den 15- bis 19-Jährigen ist sie sogar auf 18,1 Prozent gestiegen. Dazu kommt, dass seit Jahren die Löhne stagnieren. Über eine Million Australier haben deshalb mindestens zwei Jobs, sonst können sie nicht ihre Lebens­haltungskosten decken. Karitative Organisationen sind alarmiert, dass immer öfter Familien bedürftig werden, in denen beide Elternteile arbeiten.

Umfragen zeigen zwar, dass der Klimawandel – oder die mangelnden Maßnahmen dagegen – viele jüngere Australier mobilisiert. Generell aber leidet das Land unter einer Politikverdrossenheit, die der in vergleichbaren Demokratien um nichts nachsteht. Von parteiinternen Konflikten ausgelöste Rochaden unter den Premierministern – Australien hatte in zehn Jahren insgesamt sieben Regierungschefs – haben das Vertrauen in die etablierte Politik beider Großparteien komplett erodiert. Das habe die Tür geöffnet für parteiunabhängige Kandidaten und Mikroparteien mit zum teil extremen Plattformen, so Politologen. Gegen ein Dutzend individuelle KandidatInnen stellen sich am Samstag zur Wahl – von liberalen Umweltschützern bis zu ehemaligen Mitgliedern von Labor und den Konservativen.

Kleine Parteien siedeln sich am extremen rechten Rand des politischen Spektrums an. Sie zielen direkt auf die dunklen Flecke der australischen Seele: tief verwurzelter Rassismus, Islamophobie. ­„Fraser Annings Conservative National Party“ fordert einen Totalstopp der Zuwanderung von Muslimen. Solche Forderungen sind nicht neu und für australische Verhältnisse auch nicht ex­trem. Polemik von Politikern gegen das „Andere“ hat eine lange Tradition in Australien. Konservative Politiker nennen die Begriffe „Muslim“, „Flüchtling“ und „Terrorist“ gern in einem Satz. Vor diesem Hintergrund ist auch die berüchtigte Zwangsinternierung von anerkannten Flüchtlingen auf isolierten Inseln im Pazifik zu sehen.

Seit 2013 sperrt Canberra auf unbestimmte Zeit Menschen ein, die meist von Indonesien auf Booten nach Australien kommen wollen. Die Mehrzahl der Opfer dieser Politik sind Muslime. Obwohl Menschenrechtsorganisationen die Politik regelmäßig als „inhuman“ verurteilen, obwohl selbst Kinder sich in ihrer Verzweiflung das Leben nehmen wollen und obwohl regelmäßig Berichte über Vergewaltigungen in den Lagern an die Öffentlichkeit treten, steht ein Großteil der Aus­tra­lier hinter der Politik.

Das Thema Flüchtlinge wird im Wahlkampf nicht einmal erwähnt. Mit einer Ausnahme: Labor-Chef Bill Shorten machte klar, im Fall eines Wahlsieges an der Internierungspraxis festhalten zu wollen.