Die Wahrheit: Die Würde des Wurstfabrikanten

Der große Bundesliga-Rückblick der Wahrheit zum Ende der Fußballsaison 2018/19. Mit einem tiefen Blick in den Kölner Keller.

Uli Hoeneß nimmt sich eine Bratwurst im Brötchen

Der Bruzzelking und Großethiker von München: Uli Hoeneß Foto: reuters

Die Saison 2018/19 hatte ein Vorspiel. Bevor sie begann, durften sechzehn deutsche Bundesligafußballer ungewohnt große Sommerferien genießen. So ausgeruht konnten sie selten in den Spielbetrieb starten. Möglich wurde das durch den auf das absolute Minimum begrenzten Aufenthalt der DFB-Elite-Auswahl beim Weltmeisterschafts-Turnier in Russland. Nach nur drei Vorrundenspielen durften die Sportler auschecken und ausgiebig regenerieren.

Ein gewisser Teil des Deutschen Fußballvolkes war empört. Nach Meinung des Ligaprimus-Paten Ulrich Hoeneß war „die Katastrophe“ vor allem der Minderleistung des in Gelsenkirchen-Schalke ausgebildeten und in Arsenal London tätigen Recep-Tayyip-Erdoğan-Fans Mesut Özil geschuldet. Die von Beistell-Analytikern wie Lothar Matthäus und Mario Basler gestützte Expertise des bayerischen Wurstfabrikanten lautete, Özil habe „sich einen Scheißdreck zusammengespielt“.

Özil reagierte pampig mit Diskriminierungs- und Rassismusvorwürfen in Richtung DFB und erklärte seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Ein Resultat schlechter Beratung. Wenn er sich von vornherein von den Medienprofis des DFB hätte coachen lassen, wäre die Situation nie so eskaliert. Dann hätte Özil auch nicht dem türkischen Sultan sein Trikot geschenkt, sondern dem Fifa-Präsidenten. Oder dem ehrenwerten Emir von Katar. Oder dem Sportsfreund Putin, der ebenfalls Fußballhemden sammelt und sich während des Turniers über ein vom DFB-Ehrenspielführer Lothar Matthäus überreichtes freuen konnte. Hätte Özil rechtzeitig den DFB-Chief-Executive-Oliver-Alkoholfreies-Bierhoff gefragt, hätte der ihm schon gesagt, mit welchem Sponsorenhintergrund man sich als Deutscher Nationalspieler nicht dem Vorwurf aussetzt, kein ordentlich integrierter zu sein.

Als sei ausgerechnet der tolerante DFB daran schuld, dass es in Deutschland Rassisten gibt. Der DFB ist der größte Sportfachverband der Welt mit sieben Millionen Mitgliedern. Ja nun, da werden wohl zwangsläufig auch ein paar Rassisten drunter sein. Oder Steuerhinterzieher. Oder Drogendealer. Oder Mario Basler.

Hauptsponsor mit Abgas­skandal

Der DFB ist im Gegenteil das beste Beispiel dafür, was und wen man alles integrieren kann, wenn man sich wirklich Mühe gibt. Er machte ja sogar einen erklärten Gegner der Multi-Kulti-Gesellschaft zu seinem Präsidenten. Der DFB stellt auch keinen Hauptsponsor vom Platz, nur weil er in den Abgas­skandal verwickelt ist. Und er ruft keinen FC Bayern-Vorsitzenden zur Ordnung, nur weil der sich einen Scheißdreck über den Fußballspieler Özil zusammenschwafelt.

Im Anschluss an dieses mäßig unterhaltsame Vorspiel wurde die Bundesliga-Saison angepfiffen, die morgen um circa 17.20 Uhr in die Menschheitsgeschichte eingeht. Nach überwiegender Meinung der Fachleute übrigens als „eine der spannendsten“ seit Aufzeichnung der Bundesligadaten. Die Experten behaupten das, weil Bayern München diesmal nicht mit einer Trillion Punkten Vorsprung Erster wird. Das liegt zum kleineren Teil an der guten Saisonleistung der Dortmunder Borussia, vor allem aber an der von einer finsteren Allianz böser Medien in der Hinrunde durchgeführten Serie von Anschlägen auf die Würde des FC Bayern.

Prominente puderten mit Solidaritätsnoten die blutende Seele der Bayern

Tief verunsichert durch eine ungewohnt unbotmäßige Berichterstattung sogar jener Fachreporter, die sich an der Tafel des mildtätigen Vereins jahrzehntelang kostenlos fehlernähren durften, hatte die Mannschaft hier und da einen Punkt liegenlassen. In einer aufrüttelnden Pressekonferenz prangerten die FCB-Verantwortlichen die erschütternden Zustände an. Der Vorsitzende des Ethikrates des Klubs, Karl-Heinz Rummenigge, wies in einer Brandrede auf eklatante Verstöße gegen den Verfassungsgrundsatz Nummer eins der Bundesligarepublik Deutschland hin, nachdem der beste, größte und beliebteste Fußballverein der uns bekannten Welt nicht in südliche, also in unsichere Regionen der Tabelle abgeschoben werden darf. („Die Würde des FC Bayern ist unantastbar!“)

Der wütende Aufschrei der Entrechteten blieb nicht ohne Wirkung. Zahlreiche prominente Bürger puderten mit eindringlichen Solidaritätsadressen die blutende Seele der Bayern. In irgendeiner Halbzeitpause irgendeines Spieles äußerte sich als einer der ersten der Halbzeitanalytiker des Fernsehsenders Sky, Lothar Matthäus: „Erstens – der edle Mensch ist würdevoll, ohne überheblich zu sein. Zweitens – der niedrig Gesinnte ist überheblich, ohne würdevoll zu sein. Drittens – der Gürtel muss zu den Schuhen passen.“

Ihm zur Seite stellte sich bald darauf der designierte Bayern-Hoeneß-Nachfolger Oliver Kahn mit dieser Botschaft: „Anmut und Würde stehen in einem zu hohen Werte, um die Eitelkeit und Torheit nicht zur Nachahmung zu reizen. Apropos Torheit. Wenn die Torheit rauskommt, musst du sie auch haben.“

Trost für Tabellenzweiten

Und sogar den von Hoeneß angegangenen Mesut Özil ließ das Schicksal der Bayern nicht kalt. Über einen seiner Sozialkanäle ließ er dem damaligen Tabellenzweiten Trost, Hoffnung und etwas Zuversicht zukommen: „Was ist denn unsere Würde anderes, als die Kraft und der Entschluss, Gott ähnlich zu werden, die Unendlichkeit immer vor Augen zu haben. Vor allem dann, wenn man sich mal einen Scheißdreck zusammenspielt.“

Die Kampagne zeigte Wirkung. Mit freundlicher Unterstützung des Bundestrainers Löw, der die drei altersschwachen Bayern-Profis Müller, Hummels und Boateng von anstrengenden Länderspielen freistellte, erholte sich die Mannschaft zusehends und steht am Ende der Spielzeit nun wieder da, wo sie sich auskennt.

Es ist schade, dass die laufende Saison morgen ausläuft. Zweifel sind angebracht, ob die kommende auch so spannend gerät. Wie ungewöhnlich unterrichtete DFL-Insider wenige Sekunden vor Redaktionsschluss leakten, soll der wegen eines Voruhrteils in einem Kölner Keller einsitzende Ex-DFB-Präsident Grindel einen Arbeitskreis leiten, der eine Novellierung der Strafraumprozessordnung vorbereitet.

Demnach soll der Video-Assistant-Referee nur noch spielunterbrechend eingreifen, wenn der Executive-Field-Referee ein von einem Spieler im passiven Abseits vorbereitetes und in einer neuen Spielsituation durch ein aktives, von einem anderen Spieler mittels einer unnatürlichen Vergrößerung der Körperfläche absichtlich oder unabsichtliches Handspiel vereiteltes und/oder erzieltes Tor anerkannt und/oder nicht anerkannt hat.

Und wenn es so kommt, dann wird es sicher in der Bundesligasaison 2019/20 total öde.

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