berliner szenen
: Die aparten schlauen Frauen

Wir setzen unsere beiden Zehnjährigen in den Intercity nach Hannover, Wagen acht ist proppenvoll, erste Reise allein, ohne Eltern, yeah! Peinliche Abschiedsworte werden gekonnt überhört, in den Rücksäcken: Proviant für drei Monate und Minecraft auf dem Handy. Dann ist alles gut, dann kann man endlich Tschüss sagen und kinderlos durch den Hauptbahnhof spazieren.

Die Tram hält an der Chausseestraße, da könnten wir doch, ja, gute Idee, das machen wir und stehen um 10.59 Uhr im Hof von Brechts Haus und können uns der Führung anschließen und den schönsten Ort Berlins, Brechts Arbeitszimmer, betreten. Obwohl, ist Geschmackssache. Freundin K. findet es unten bei Weigel besser, mit dem großen Fenster, den Blumen und dem gemütlichen Bett. Was sagt das über mich aus? Liebe ich es klösterlich? Wäre ich gern schlau? Alle zwei Jahre besuche ich diese Wohnung, und jedes Mal erfahre ich andere Dinge von den meist sehr aparten (ich als Frau, darf ich das so sagen?) und schlauen Frauen, die bildungsbeflissene Bürger*innen durch ihr, so scheint’s, Allerheiligstes führen. Die Filme spülten derzeit wieder die Besucher herein, erfahren wir, Freundin K., ich und ein nach sehr hohem Kontostand und Bildungsgrad aussehendes Pärchen jenseits der Reproduk­tions­grenze.

Jedes Mal wieder staune ich über den honigfarbenen Holzboden, die Bücher und die Manuskriptschränke – wer zimmert mir so welche? – und die Sessel, die Sessel und die Schreibmaschinen. Hier will ich wohnen. Oder in der Disco. Danach eine Friedhofsrunde und dann, komplett geerdet, in die Ferien starten. Zu Hause wartet dann der Wiener Mann mit frisch bereiteten Käsenocken, fast wie bei Weigel, denke ich, nur dass die Rollen … ach wunderbare Neuzeit, du! Kirsten Reinhardt