taz🐾thema
: eurovision

die verlagsseite der taz

Die Show ist wichtiger als die Lieder

Interview mit dem Jazzsänger Salvador Sobral, der 2017 Portugals erster Eurovisions-Gewinner wurde

Foto: Ana Paganini

Salvador Sobral 29, Spross einer adligen Familie Portugals, geboren und aufgewachsen in Lissabon, vom Selbstverständnis her kein Pop-Musiker, sondern im Jazz beheimatet. 2017 gewann er den 62. ESC in Kiew. Es war der erste Sieg für Portugal. Sobrals neueste Platte: „Paris, Lisboa“

taz: Erstaunlich, dass einer wie Sie, Jazzer, zum Eurovision Song Contest fand. Hatten Sie, als Sie 2017 zum ESC reisten, irgendeine Ahnung, was da auf Sie zukommt?

Salvador Sobral: Nein. Und ich vermute, das war unser Geheimnis: nicht über das Gewinnen nachgedacht zu haben. Ich kam ja erst später nach Kiew. Meine Ärzte erlaubten mir erst wenige Tage vor dem ESC überhaupt, dorthin zu fliegen. Mein Herz war krank, mein Bauch war voll Wasser, deshalb trug ich weite Shirts.

Waren Sie nervös?

Nein, nicht im Sinne einer Unruhe, die man sich selbst nicht erklären kann. Ich war immer überzeugt von unserem Lied und von meinem Auftritt. Ich war nur geschockt, als ich in Kiew ankam. Alles war so groß, so technisch, so maschinell. Ich hasse Stress – aber kaum war ich aus dem Flugzeug gestiegen, hieß es, komm, komm ganz schnell, gleich ist der rote Teppich. Alles ging: boom. Vorher war ich ein Jazzmusiker, plötzlich war ein roter Teppich zu begehen.

Und als dann die Tage von Kiew vergingen?

Da wurde es etwas besser. Ich hatte nicht damit gerechnet, niemals in meinem Leben, so bewundert zu werden – nicht eine Sekunde.

Und während der Proben?

Meine Schwester Luísa war an meiner Seite. Sie sagte nur: „Wir haben eine Mission mit unserem Lied.“ Ich sagte, ich habe keine Lust mehr, aber sie holte mich immer wieder runter. „Am Ende wird für mich – für uns – das Beste passieren“, so hat sie mich beruhigt.

Immerhin waren Sie in Kiew einer der Favoriten. Hat das Ihre Unruhe gesteigert?

Ja, man hat mir gesagt, dass ich als Favorit galt. Ich sagte nur: „Warum wetten sie auf mich? Wollen sie ihr Geld verlieren?“

Und was war neulich in der schwedischen Talkshow los, als Sie meinten, der ESC sei wie Prostitution?

Mit diesem Wort war das YouTube-Video der Show betitelt, aber meine Aussage wurde aus dem Kontext gerissen. Ich meinte es sarkastisch, aber nicht ernsthaft. Manchmal verstehen die Leute meinen Humor nicht.

Wir möchten Ihren Humor gern verstehen, bitte.

Ich meinte nicht die Lieder, sondern die Show – dieses Grelle. Jeder kann auf der Bühne machen, was er oder sie will. Aber es gibt Musik, die mich berührt, andere, die mich kalt lässt. Beim ESC geht es mehr um die Show als um die Lieder.

Aber Sie haben mit Ihrem unkonventionellen Lied „Amor pelos dois“ – „Liebe für zwei“ – gewonnen.

Gewonnen habe ich, weil ich anders war als die anderen. Ich bin kein Fundamentalist, der anderen vorschreibt, was sie tun dürfen. Die Leute mochten mein Lied, weil es sie berührte und sie seine Wahrhaftigkeit spürten.

Die auch Netta Barzilai verkörperte, die israelische Siegerin von Lissabon, oder?

Auch sie war anders als die anderen, aber ihre Musik ist nicht meine.

Sie mochte Ihr Lied.

Das ehrt mich, aber mir geht ein Lied wie „Toy“ von Netta nicht nah. Aber das heißt nur, dass das für mich gilt, anderen hat es ja am besten gefallen.

Würden Sie wieder bei einem ESC auftreten?

Nein, auf keinen Fall. Wäre ich dieses Jahr in Palästina dabei …

Sie sagen Palästina – nicht Israel?

Würde ich dieses Jahr mitmachen, würde ich ein T-Shirt mit der Aufschrift „Free Palastine“ tragen.

Politisches ist ja beim ESC im direkten Sinne verboten, wenngleich in Israel auch für diese Parole Meinungsfreiheit gilt, oder?

Ich werde nicht dorthin reisen, die Zeit ist vorbei. (Interview: jaf)