Das Märchen vom Glück

LEBENSKUNST Nicht einfach blind ans Positive glauben und dabei das mögliche Negative übersehen: Der Berliner Lebenskunst-Philosoph Wilhelm Schmid warnt vor einer Diktatur der Zufriedenheit – und will alltagstauglich zum „Unglücklich sein“ ermutigen

Schmid wirbt dafür, das Unglück als notwendigen Teil des Lebens anzuerkennen

VON ALEXANDER DIEHL

In anderen Zusammenhängen würde man es vielleicht eine Variation nennen, in noch mal anderen einen Remix: Es gibt wohl hierzulande keinen Philosophen, der sich häufiger und nachhaltiger an Fragen des Glücks und des gelingenden Lebens, kurz: der Lebenskunst, abgearbeitet hat – und das für ein breites, nicht-spezialisiertes Publikum –, als Wilhelm Schmid.

Der Wahlberliner ist Herausgeber einer Suhrkamp-Reihe zur Lebenskunst und, vor allem, Autor des Bestsellers „Glück. Alles, was Sie darüber wissen müssen, und warum es nicht das Wichtigste im Leben ist“ (Insel, 79 S., 7 Euro) von 2007 sowie diverser Bücher zu benachbarten Themen, etwa der Liebe. Nun legt Schmid erklärtermaßen eine „Ermutigung“ vor, so sagt es der Untertitel, zum „Unglücklich sein“ (Insel, 102 S., 8 Euro).

Aus dem Wissen der Philosophie sich speisend, vor allem aber mit Alltagstauglichkeit aufgeladen, ist Schmids Ansatz zu nah dran an den Regalmetern Lebenshilfe, die heutzutage einen nennenswerten Teil des Buchhandelsumsätze ausmachen, als dass die Philosophie, die akademische zumal, ihn wohl so richtig zu den ihren zählt. Für seine Leser sind solche Zaunziehungen freilich egal: Sie lassen sich, wie es scheint, immer wieder gern ein auf die Schmid’sche Mischung aus Kanon-Wissen und Erbauung. Und historisch gesehen ist er damit ja durchaus konform mit den Aufgaben, die etwa die antiken Philosophen ihrem Denken und Tun zugedacht haben.

Im erwähnten Buchmarktsegment erkennt Schmid einen Imperativ, ja eine „Diktatur“: Der Mensch habe glücklich zu sein, und wer das nicht könne, strenge sich bloß nicht genug an. (Als Parteitags-Gastredner für die US-amerikanischen Republikaner empfiehlt man sich mit sowas schon mal nicht.) Schmid wirbt dafür, das Unglück als notwendigen Teil des Lebens, ja: des Menschseins an sich anzuerkennen, „schon weil es nicht einfach ‚weggemacht‘ werden kann“.

Dass es im Leben allein um Zufriedenheit gehe, nennt er gar „eine Märchenerzählung“ derjenigen, die „den schwindenden Sinn“ zu ersetzen suchten – ohne Aussicht auf Erfolg. Aus den antiken Vorstellungen vom Glück als Schicksal, das mal so, mal anders ausfalle, sei ein bloß in eine Richtung Gewendetes geworden. Dabei bestehe doch die Geschichte der Menschheit „aus einem schmalen Kapitel über das Glück und einem sehr umfangreichen Rest. Dieses Verhältnis verbessern zu wollen, ist unbedingt unterstützenswert, es umkehren zu wollen, ist unrealistisch.“

Für sein Projekt der Vermittlung einer Lebenskunst mit Nutzwert für den Alltag bedeutet das dann geradezu einen Auftrag: „Nicht blind an das Positive zu glauben und dabei blind gegen das mögliche Negative zu werde, sondern kritische Fragen zu stellen und sich an Verbesserungen zu versuchen. Nicht nur im Negativen das Positive, sondern auch im Positiven das Negative zu sehen.“

■ Oldenburg: Mo, 17. 9., 19.30 Uhr, Peter-Friedrich-Ludwigs-Kulturzentrum; Osnabrück: Di, 18. 9., 20 Uhr, BlueNote des Cinema-Arthouse; Hamburg: Mi, 19. 9., 19.30 Uhr, Laeiszhalle/Studio E