Porträtist der Unkenntlichen

In der Welt der Maskeraden: Charles Frégers Fotoserie „Cimarron“

Charles Fréger, Diablicos Sucios, La Villa de los Santos, Panama Foto: Foto: Aus dem besprochenen Band

Von Brigitte Werneburg

Auch das bedeutet Fotografie: Dokumentation und Katalogisierung. Das wird gerne vergessen. Zumal im Bauhausjahr 2019, wo alles Experiment, Neues Sehen und Neue Sachlichkeit ist.

Die Neue Sachlichkeit allerdings, zumindest einer ihrer herausragenden Protagonisten stand tatsächlich Pate für Charles Frégers Unterfangen, möglichst umfassend und vollständig die Kostümierungen und Maskierungen zu fotografieren, die im Zusammenhang mit dem Karneval und ähnlichen Festivitäten auf dem Nord- und vor allem Südamerikanischen Kontinent zu beobachten sind: August Sander. Allerdings ist Charles Fréger ein leidenschaftlicher Reisender, der anders als sein Vorbild weltweit auf die Menschen trifft, die er in umfangreichen Serien dokumentiert und katalogisiert: Fremdenlegionäre oder Namibierinnen in Schwarzwaldtrachten, Hinterlassenschaften der deutschen Kolonialherren, bretonische Nonnen, Uniformierte und Kostümierte in jedem Fall.

Feste entlaufener Sklaven

Jetzt also spürt er den Cimarron nach, genauer deren Nachfahren. Als Cimarron wurden seit dem 16. Jahrhundert die Sklaven bezeichnet, die auf dem amerikanischen Kontinent ihren Besitzern entkommenen waren. Dabei taten sie sich auch mit indigenen Völkern zusammen und bildeten so neue Gemeinschaften aus. Die Feste und Maskeraden, in denen sie ihre Geschichte und eigensinnige Kultur beschworen, werden von ihren Nachfahren in Brasilien, Kolumbien, auf den karibischen Inseln, in Zentralamerika und im Süden der Vereinigten Staaten noch heute zelebriert und lebendig gehalten.

Schaut man sich nun die Porträts an, die der 1975 in Bourges geborene Fotograf und Mitbegründer der internationalen Künstlergruppe POC (Piece of Cake) hier gemacht hat, dann kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Voller Bewunderung für den Erfindungsreichtum der Kostüme und voller Ehrfurcht vor dem Stolz, aber auch der Lust, mit der sie getragen und präsentiert werden, bleibt man, weil in die Bedeutung der Masken und Verkleidungen nicht eingeweiht, natürlich erst einmal beim rein ästhetischen Eindruck hängen.

Man findet Stoffe und Materialien, die zu modischer Verwendung reizen, aber dann erkennt man auch die Wichtigkeit von Fransen, Troddeln und Haaren, die Faszination an der Tiergestalt, der in vielen Verkleidungen gehuldigt wird, die Leidenschaft für Schminke, für blaue und knallrosafarbene Gesichter, für tiefschwarz oder kalkweiß gefärbte Haut. Klar wird auch: all dies dient dazu der Seele und Identität Ausdruck zu geben. Deshalb ist es gut und richtig, dass Frégers Bilder durch Texte ergänzt werden, die den ethnographischen und historischen Kontext liefern, und vor allem durch die großartigen Illustrationen von Christóbal Schmal, die es erlauben Genaueres über die einzelnen Masken und Maskeraden zu erfahren.

Charles Fréger: „Cimarron. Freiheit und Maskerade“. Texte von Ishmael Reed und Ana Ruiz Valencia. Illustrationen von Christóbal Schmal. Kehrer Verlag, Heidelberg 2019, 320 Seiten, 30 Euro