Drei Kopfschüsse

Sherry Hormanns Dokudrama „Nur eine Frau“ beruht aufeiner wahren Begebenheit: dem Ehrenmord an Hatun Sürücü

Aynurs (Almila Bagriacik) erzwungene Hochzeit mit Botan Foto: NFP

Von Silvia Hallensleben

Der Mord an der 23-jährigen Hatun Sürücü durch ihren jüngsten Bruder 2005 brachte hierzulande die Gewalt gegenüber Frauen in traditionalistischen Familien in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit. Das lag auch an der Persönlichkeit und der spezifischen Geschichte der jungen Berlinerin kurdischer Herkunft, die mit 16 Jahren, als sie noch auf ein Kreuzberger Gymnasium ging, mit einem Cousin in der Türkei verheiratet wurde. Nachdem sie erst hochschwanger vor dessen Misshandlungen in ihre Herkunftsfamilie geflohen war, gelang ihr von dort der Aufbruch in ein eigenes Leben. Und – trotz Drohungen von Brüdern und Ex-Mann – mit dem kleinen Kind wuppte sie die Schule und begann eine Lehre zur Elektrikerin. Als sie an einer Bushaltestelle drei Schüsse in den Kopf bekam, stand sie kurz vor der letzten Prüfung und dem – endlich geplanten – Fortzug in eine sicherere Umgebung.

Sürücüs Geschichte war eine der Vorlagen für Feo Aladags Melodram „Die Fremde“ (2010). Nun kommt von Regisseurin Sherry Hormann ein explizit ihr gewidmeter teildokumentarischer Film, der sich eng an den realen Ereignissen orientiert und besonders die innerfamiliären Konflikte nach der Rückkehr aus der Türkei in den Blick nimmt. Es ist nie einfach, eine Geschichte zu erzählen, deren tragischer Ausgang bereits bekannt ist. Hormann, Produzentin Sandra Maischberger und Drehbuchautor Florian Oeller (sonst vor allem TV-Krimi) haben sich dazu entschieden, die Geschichte elliptisch gebrochen im Rückblick aufzurollen. Die Perspektive ist dabei die der Verstorbenen selbst, die nach ihrem Tod (Tonfall Berliner Göre) als wissende Erzählerin zu uns spricht und so (wie mit dem selbst gewählten Namen Aynur) aus der Opferrolle Deutungsmacht über ihre eigene Geschichte zurückerhält.

Ein kluger Schachzug, der auch die Möglichkeit zum spielerischen Umgang mit dem Erzählen bietet: Etwa wenn Hatun anfangs in einer Art Liste fast karikaturesk zugespitzt ihre Brüder vorstellt oder später in Erklärstücken deutlich und prägnant die heimtückische Funktionsweise des patriarchalen Ehrsystems erklärt. Schriftliche Inserts kommentieren, gliedern und entindividualisieren zusätzlich das Geschehen.

Der Nachteil ist, dass alles, was außerhalb von Sürücüs Leben passiert, nur in engen Grenzen erzählt werden kann, ohne die Glaubwürdigkeit zu sprengen. So werden das Versagen der Polizei und das missglückte Gerichtsverfahren gegen Hatuns Familie nur kurz verhandelt. Auch (besonders schade!) die große Bedeutung, die Sürücüs Tod für die folgende deutsche Debatte und diverse Bewegungen gegen Zwangsheirat und Ehrenmord hatte, kann keinen Platz finden. Das nimmt dem Stoff einiges von seiner politischen Relevanz. Doch es liegt wohl auch an der Vorliebe von Fernsehredaktionen für das Gefühlige, dass der von den fünf ARD-Sendern gemeinsam verantwortete Film statt mit den gesellschaftlichen Nachwirkungen der Tat mit dem Ringen um Wohl und familiären Verbleib von Hatuns kleinem Sohn Can als emotionalem Ankerpunkt endet. Die Spielszenen überzeugen in ihrer klaren und sinnlichen Gestaltung der beengten Wohnverhältnisse samt kuscheligem Mädchenzimmer (großartig die Kamera von Judith Kaufmann), antinaturalistischer Inszenierung und einem das dramatische Geschehen kontrastierenden unterkühlten Farbspektrum. Hauptdarstellerin Almila Bagriacik (die in „Die Fremde“ die kleine Schwester spielte) überzeugt im Grenzbereich zwischen Aufbegehren, Naivität und einer töchterlichen Anhänglichkeit, die sie den Ernst der Lage zu spät erkennen lässt.

Die Spielszenen überzeugen inihrer klarenund sinnlichen Gestaltungder beengten Wohnverhältnisse samt kuschligem Mädchenzimmer

Dass die Wendung vom bedrängten Schwesterlein zur lebensfrohen Club-Gängerin dennoch eher überstürzt und plakativ daherkommt (Geh Tanzen und ändere dein Leben!), liegt nicht an ihrer Darstellung, sondern am Drehbuch, das übrigens auch die bleibende Religiosität der jungen Frau unterschlägt.

Einmontiertes Homemovie

Einmontiert ist (Schnitt: Bettina Böhler) neben Fotos von Sürücü auch ein Homemovie, dessen Intimität die Veröffentlichung im Film übergriffig aussehen lässt. Gelungen dagegen der Balanceakt, die Situation von Geschwistern und Eltern bei der Verteidigung ihrer vermeintlichen Familienehre eindringlich nachvollziehbar zu machen, ohne sie zu exkulpieren. Da wird der Druck der fast dörflichen Kreuzberger Community auf das Selbstbewusstsein der Jungmänner fast körperlich spürbar. Nach einem Auftritt bei der diesjährigen Berlinale hatte „Nur eine Frau“ die Ehre, seine Weltpremiere (als einer von zwei deutschen Filmen) beim Tribeca-Filmfestival in New York zu feiern.

Nur eine Frau“. Regie: Sherry Hormann. Mit Almila Bagriacik, Meral Perin u. a. Deutschland 2019, 90 Min. Läuft etwa im Babylon Kreuzberg, Blauer Stern Pankow, Delphi Charlottenburg