Studie über Crowdworking: Die nächste Arbeiterklasse

Wer sind eigentlich die Menschen, die ihr Geld mithilfe von Online-Plattformen verdienen? Eine Studie gibt Antworten.

An einem Schreibtisch sitzen zwei Personen vor Laptops

Sogenannte Crowdworker sind Teil des Plattform-Kapitalismus Foto: dpa

Sie vermieten ab und an Ihre Wohnung über Airbnb? Herzlichen Glückwunsch! Dann gehören auch Sie zu denen, die man „Crowdworkers“ nennt, auf Deutsch: Plattformarbeiter:innen. Das sind Menschen, die sich über Online-Dienste Arbeit vermitteln lassen und damit Geld verdienen. Sie sind Teil des Plattform-Kapitalismus. Ihnen gegenüber stehen die Plattform-Betreiber. Die stellen eine Win-win-win-Situation in Aussicht: für die Arbeitenden, für die Konsument:innen und für sich selbst – nur Letzteres sagen sie meist nicht so laut.

Die Bertelsmann-Stiftung hat am Dienstag auf der re:publica eine Studie vorgestellt, die unter anderem untersucht, wer das eigentlich ist, dieser Mensch, der seine Arbeitskraft den Plattformen zur Verfügung stellt. Sie haben dafür im vergangenen September 710 Plattformarbeiter:innen aus einem repräsentativen Panel befragt. 437 Cloudworker:innen und 375 Gigworker:innen waren darin.

Der Unterschied: Cloudworker:innen finden nicht nur die Arbeit über eine Online-Plattform, sondern absolvieren sie auch online – zum Beispiel das Verfassen von Produktbeschreibungen. Gigworker:innen dagegen lassen sich zwar die Arbeit über eine Online-Plattform vermitteln, absolvieren sie aber offline – zum Beispiel Lieferdienste.

Die am häufigsten genutzte Vermittlungsplattform ist das Übernachtungsportal Airbnb. Knapp ein Drittel der Befragten bot hier seine Dienste an. Auf Platz zwei landet der Lieferdienst Lieferando, hier ließ sich gut ein Viertel der Aufträge vermitteln. Es folgt das Portal Freelancer, das Selbständige mit Auftraggebern zusammenbringen will, und Clickworker, das Mikrojobs wie das Schreiben von Glossaren oder die Verschlagwortung von Bildern vermittelt.

Untersuchungen aus den vergangenen Jahren beziffern den Anteil von Plattformarbeitenden niedrig – im einstelligen Prozentbereich, gemessen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen. Werden es in den kommenden Jahren deutlich mehr werden? Werden Unternehmen sie als Drohpotenzial für Festangestellte nutzen? Wird die Deutsche Rentenversicherung reihenweise Bescheide verschicken, wegen mutmaßlicher Scheinselbständigkeit?

Oder werden irgendwann mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Schreib- und Verwaltungsprogramme zumindest einen Teil der Aufgaben übernehmen? Und verstärkt sich für alle anderen die Spaltung zwischen hochqualifizierten Spezialisten, die sich ihre Tätigkeiten aussuchen können, und Geringqualifizierten, die nehmen müssen, was sie kriegen? Die in der Bertelsmann-Studie befragten Expert:innen kommen jedenfalls zu einer Reihe an Maßnahmen, die helfen könnten, etwa: Plattformen regulieren, Betroffene mit einbeziehen, transparente Lohnstrukturen, verbesserte soziale Absicherung. Und das klingt wiederum ganz klassisch.

Gebildet und in der Stadt zu Hause

41 Jahre alt, verheiratet, aber ohne familiäre Verpflichtungen, höher gebildet. Nein, das ist nicht der:die typische Einwohner:in in Deutschland, da liegt das Durchschnittsalter mit 44,4 Jahren doch noch einen Tick höher. Sondern der:die typische Plattformarbeiter:in. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten ist männlich, das kann aber auch an der für die aktuelle Studie getroffenen Auswahl der Plattformen liegen. So hatte nämlich der erste Crowdworking-Monitor des Bundessozialministeriums ergeben, dass eine leichte Mehrheit weiblich ist.

Und auch wenn die meisten der Befragten auf dem Land leben: Verglichen mit der Bevölkerungsverteilung wohnen Crowdworker:innen überdurchschnittlich häufig in Städten. Das erklärt sich zum Teil mit der Art der Jobs, die die Arbeitenden verrichten. Jedenfalls: Mehr als zwei Drittel haben Abitur oder Fachabitur, die Hälfte aller Befragten einen Hochschulabschluss. Doch die Plattformen setzen mitunter auf eigene Tests, um Arbeiter:innen für bestimmte Aufträge zuzulassen – oder eben auszuschließen.

Vermieten, liefern, ­programmieren

Crowdworking – der Begriff suggeriert, dass da Menschen den ganzen Tag vor dem Computer sitzen und durch Klicken und Tippen Geld verdienen. In der Praxis sind die Arbeiter:innen allerdings, was die konkrete Tätigkeit angeht, erstaunlich analog unterwegs. Auch das könnte allerdings an der Auswahl der abgefragten Plattformen liegen. Die häufigsten Tätigkeiten sind plattformbasiertes Vermieten von Zimmern, das praktiziert mehr als ein Viertel der Befragten, und Lieferdienste mit knapp einem Viertel.

Dazu kommen weitere analoge Arbeiten wie Personenbeförderung (7 Prozent) und Putztätigkeiten (4 Prozent). Alles Tätigkeiten also, die in Metropolen schon allein deshalb besser funktionieren, weil durch die höhere Dichte an Menschen die Nachfrage nach solchen Dienstleistungen höher ist. Bei reinen IT-Tätigkeiten landet mit 16 Prozent das Programmieren vorne.

Lieber flexibel

Den Engpass am Monatsende mal eben mit ein paar bezahlten Produkttests überbrücken? Ein Zimmer vermieten, weil man sich sonst die Miete nicht mehr leisten kann? Nein, das ist nicht das Bild, das die Studie zeichnet. Geldnot als Motivation für die Plattformarbeit landet mit Platz 13 ganz hinten. Häufigere Gründe: „netter Neben­erwerb“, zeitliche Flexibilität, Unabhängigkeit. Dazu passt: Für die allermeisten Befragten, nämlich 99 Prozent, ist die Tätigkeit nur ein Nebenjob.

Praktisch für die Plattformen: Wer nur nebenbei arbeitet, schaut wahrscheinlich nicht so genau auf den Stundenlohn. Denn wer – wie mit 56 Prozent die Mehrheit – 6 Stunden pro Woche investiert und dafür bis zu 400 Euro verdient, kommt zwar bestenfalls auf einen Stundenlohn von 15 Euro. Aber eben nur bestenfalls. Denn je nach persönlicher Arbeits- und Einkommenssituation gehen davon auch noch Steuern und Sozialabgaben ab.

Neue Technik? Yeah!

Wenig überraschend: Die Befragten interessieren sich für technische Trends und bewerten die Digitalisierung positiv. Sie schaffe neue Chancen für ihr Arbeitsumfeld, ermögliche flexibleres Arbeiten und damit einen Zeitgewinn – weil sie beispielsweise nicht in ein Büro fahren müssen. Aber: Die Hälfte gibt an, dass das flexible Arbeiten bei ihnen dazu führt, dass sie mehr arbeiten.

Harte Konkurrenz

Die Lieferfahrerin ist krank geworden, der Texter hat einen besseren Job gefunden – kein Problem für die Plattformen, die diese Tätigkeiten vermitteln. Indem sie umfangreiche oder komplexe Tätigkeiten in viele kleine Jobs aufsplitten, sind die einzelnen Arbeiter:innen leichter zu ersetzen. Denen wiederum ist das wohl bewusst: Konkurrenzkampf ist einer der Punkte, denen die Befragten mit am häufigsten kritisieren.

Außerdem unter den am meisten genannten Problemen: unbezahlte Zusatzarbeit, die häufig anfällt, und die fehlende soziale Absicherung. Dementsprechend wünschen sie sich gleichermaßen eine Regulierung der Plattformarbeit und einen Plattform-TÜV, eine Interessenvertretung und eine soziale Absicherung. Denn dass es die nicht gibt, ist Kalkül der Plattformen und der Unternehmen, die über sie Aufträge vergeben: Sie können diesen Teil des unternehmerischen Risikos einfach auf die Arbeiter:innen auslagern. Diese Probleme könnten auch Ursachen dafür sein, dass mit 58 Prozent die Mehrheit die Plattformarbeit nicht als Bestandteil des künftigen beruflichen Werdegangs sieht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.