Aktivist über kommunale Wohnungen: „3.000 Wohnungen fehlen“

Das Osnabrücker Bündnis kämpft für die Schaffung einer kommunalen Wohnungsgesellschaft. Am 26. Mai findet dazu ein Bürgerentscheid statt.

Luftbild von der Stadt Osnabrück

Hübsch anzusehen, aber zu wenig Wohnungen: Osnabrück. Foto: dpa

taz: Herr Wilker, wie ist derzeit die Lage auf dem Osnabrücker Wohnungsmarkt?

Stefan Wilker: Angespannt. Auf Osnabrück trifft zu, was auch für viele andere Großstädte und Ballungszentren gilt: Die Mietpreise ziehen stark an. Innerhalb der letzten sechs Jahre sind sie durchschnittlich um ein Viertel gestiegen. 3000 Wohnungen fehlen, die Hälfte davon im unteren Preissegment.

Sie zielen auf „bezahlbaren“ Wohnraum. Wie definiert sich Bezahlbarkeit?

Es geht um das Verhältnis zwischen Miete und Haushaltseinkommen. 40 Prozent der Mieter geben 30 Prozent ihres Einkommens für die Bruttokaltmiete aus, das ist dann gerade noch so an der Grenze. Aber jeder fünfte Haushalt zahlt mehr als 40 Prozent, plus Nebenkosten. Da geht dann die Hälfte des Einkommens nur für die Miete drauf. Die Folge sind starke Einschnitte in anderem, das lebenswichtig ist, und das darf nicht sein.

Was erhoffen Sie sich von einer kommunalen Wohnungsgesellschaft?

Dass sie einen Richtungswechsel einleitet. Es wäre unrealistisch zu erwarten, dass sie kurzfristig in großem Umfang günstigen Wohnraum schafft, so etwas braucht Zeit. Aber vom ersten Tag an signalisiert sie: Wer die Mietpreise auf ein erträgliches Level reduzieren will, darf den Markt nicht den Privatinvestoren überlassen. Die öffentliche Hand übernimmt Verantwortung für die Schaffung von Wohnraum, den sich auch Menschen mit niedrigen Einkommen leisten können.

Stefan Wilker

arbeitet seit 35 Jahren als Sozialarbeiter. Er engagiert sich seit 2001 bei Attac und im letzten Jahr schwerpunktmäßig für das Osnabrücker Bündnis „Bezahlbarer Wohnraum für alle“.

Bis 2002 gab es in Osnabrück die kommunale „Osnabrücker Wohnungsbaugesellschaft“, die OWG. Sie wurde verkauft, auf Drängen von CDU und FDP.

Wir hätten heute eine andere Situation, wenn die Stadt dieses Instrument, den Markt zu beeinflussen, nicht aus der Hand gegeben hätte – immerhin war die OWG rund 3.700 Wohnungen stark. Dieselbe Anzahl von Wohnungen heute neu zu bauen, würde ein Vielfaches der 110 Millionen Euro kosten, die der Verkauf eingebracht hat.

110 Millionen für 3700 Wohnungen – klingt äußerst preisgünstig.

War es auch. Knapp 30.000 Euro pro Wohnung – deutlich unter Wert. Dafür kriege ich heute nicht mal ein Einzimmer-Appartement.

Die Stadt hat das „Handlungsprogramm Bezahlbarer Wohnraum“ aufgelegt: 3000 Wohnungen bis 2020, mit hohem Anteil an günstigen Mieten.

Das Bündnis „Bezahlbarer Wohnraum für alle“ mit 40 Unterstützer-Organisationen fordert eine kommunale Wohnungsgesellschaft für Osnabrück.

Ein Bürgerbegehren hat das Bündnis mit 13.500 Unterstützern gewonnen . Die konservative Mehrheit des Stadtrats lehnt die Gründung ab, gegen die Stimmen von SPD, Grünen und Linken.

Am 26. Mai kommt es zum Bürgerentscheid. Das Bündnis benötigt 20 Prozent Ja-Stimmen aller Wahlberechtigten - und die Mehrheit aller, die an der Wahl teilnehmen.

CDU und FDP erkennen damit an, dass in Osnabrück bezahlbare Wohnungen fehlen. Aber die Schaffung von zusätzlichem und günstigem Wohnraum soll aus ihrer Sicht in den Händen von privaten Investoren bleiben. Die könnten das schneller, effektiver und unbürokratischer. Tatsache ist dagegen: Es gibt zwar eine rege Neubautätigkeit in Osnabrück.

Aber?

Aber investiert wird nur in den Bau von Eigentums- und hochpreisigen Mietwohnungen. Für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, ist nicht lukrativ. Nur eine kommunale Wohnungsgesellschaft, die nicht auf Gewinn aus ist, wird diese Lücke schließen können. Dass CDU und FDP sich so dagegen sperren, hat vielleicht auch damit zu tun, dass sie indirekt zugeben müssten, dass der Verkauf der OWG ein kapitaler Fehler war.

Was hat eigentlich die Selbstverpflichtung der Stadt ergeben, Bauland nicht mehr nur zum Höchstpreis zu verkaufen, sondern auch andere Kriterien zu berücksichtigen, wie die Schaffung günstigen Wohnraums?

Das steht bis jetzt nur auf dem Papier. Der Haken ist ja, dass sich kaum ein Investor auf solche Einschränkungen einlässt. Und dass die Stadt ihm, um ihn zu ködern, erlaubt, für den Anteil seiner neuen Wohnungen, der nicht im unteren Preissegment liegt, höhere Mieten zu nehmen als marktüblich, macht die Sache nicht besser. Das treibt das Mietniveau in der Stadt dann weiter nach oben.

Der Rat hat alle Gesellschaften mit städtischer Beteiligung aufgerufen, „durch Neubauprojekte auf eigenen Grundstücken einen Beitrag zu ausreichendem und bezahlbaren Wohnraum zu leisten“. Tut sich da was?

Nicht viel. Höchstens 200 Wohnungen sind dadurch bis jetzt entstanden oder geplant – das sind Peanuts. Aber diese 200 zeigen: Das Argument, die Stadt habe dafür kein Knowhow und kein Geld, zieht nicht. Wenn ich es im Kleinen sinnvoll finde, warum lehne ich es dann im Großen ab? Es konzentriert aufzuziehen, mit gemeinsamer Strategie, wäre doch weit besser.

13.500 Osnabrücker haben bereits in einem Bürgerbegehren für die Schaffung einer kommunalen Wohnungsgesellschaft gestimmt, die konservative Mehrheit im Rat hat das einfach beiseite gewischt. Nehmen wir einmal an, der Bürgerentscheid scheitert: Gibt es trotzdem noch eine Chance?

Sollte der Bürgerentscheid scheitern, wird es sicher vor der nächsten Kommunalwahl keine neue Abstimmung im Rat geben. Das Thema „Kommunale Wohnungsgesellschaft“ liegt dann erst wieder auf dem Tisch, wenn es 2021 zu anderen Mehrheitsverhältnissen käme. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir nicht bis dahin warten müssen, sondern den Entscheid am 26. Mai gewinnen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.