das portrait
: Hans Blumenberg betrieb das Denken als Abenteuer

Ein Verfechter der Nachdenklichkeit und gedanklichen UmwegeFoto: Peter Zollna/Realfiction Filme

Er wollte Zeit seines Lebens ein Unsichtbarer sein, eine Figur, die sich hinter dem eigenen Denken verbirgt. Aber nun macht die Kieler Uni den Philosophen Hans Blumenberg sichtbar: mit der sechsteiligen Ringvorlesung „Theo­retische Neugierde“, den Auftakt macht heute Manfred Sommer, Herausgeber Blumenbergs und ehemaliger Assistent – und der Meinung: Das Werk ist alles, die Biografie nichts. Wieder eine Art der Unsichtbarkeit.

Blumenberg, geboren 1920 in Lübeck, war einer der einflussreichsten (west-)deutschen Philosophen der Nachkriegszeit – an den sich die längste Zeit nur Spezialisten erinnert haben dürften. Sein Thema: der Mensch als hinfälliges Mängelwesen, um seine Selbstbehauptung kämpfend gegen einen Absolutismus der Wirklichkeit. Das Instrument dafür: Denken, verstanden als Nachdenklichkeit; eines, das innehält und Umwege zulässt. Geradezu verkörpert hat er selbst das „Abenteuer des Denkens“ jahrelang in einem Hörsaal in Münster: Jeden Freitag trat er ans Pult, legte Handschuhe und Hut ab und hielt frei eine Vorlesung (abgesehen von gelegentlichen Karteikärtchen: Er wollte stets korrekt zitieren). Da kamen ganz normale Leute, die Reihen waren voll – dabei wäre Blumenberg am liebsten verschwunden hinter dem Denken.

Mit dieser Idee spielte 2018 Christoph Rüters Film „Hans Blumenberg. Der unsichtbare Philosoph“: Voraussetzung für dieses Roadmovie auf des Philosophen Spuren war freilich, dass dessen Tochter private (Bild-)Bestände öffnete – unsichtbar bleiben konnte er im Film nun gerade nicht. Nach dem Abitur im Jahr 1939 studierte er Katholische Theologie, musste das aber 1940 abbrechen – als Sohn einer jüdischen Mutter. Wieder in Lübeck, kam Blumenberg in den Arbeitsdienst bei den kriegswichtigen Drägerwerken, was ihn möglicherweise vor Schlimmerem bewahrte.

Wie um die biografische Zäsur wettzumachen, betrieb Blumenberg dann ab 1945 das akademische Vorankommen: Studium der Philosophie, Germanistik und Klassischen Philologie in Hamburg, 1947 Promotion an der Kieler Christian-Albrechts-Universität, 1950 die Habilitation. Ab 1958 außerordentlicher Professor in Hamburg, ging er 1960 nach Gießen, 1965 nach Bochum und 1970 nach Münster, wo er die letzten 15 akademischen Jahre verbringen sollte: hoch anerkannt (mit entsprechend vielen Gegnern, auch, aber nicht nur in Frankfurt), die Entwicklung des europäischen Denkens verständlich zu machen suchend, gerne auch in Medien wie der FAZ und NZZ. Die letzten Jahre vor seinem Tod 1996 verließ er kaum mehr die Höhle seines Arbeitszimmers, und seine Asche landete, wie von ihm verfügt, in der Lübecker Bucht. Alexander Diehl

18.15 Uhr, Kiel, CAU, Audimax, Horsaal C; www.uni-kiel.de/de/veranstaltungen/ringvorlesungen