Der Alltag nach der Schlacht am See

Eine Genossenschaft aus Bewohnern rettete vor eineinhalb Jahren das Studentendorf Schlachtensee vor dem Abriss. Langsam zieht in die Wohnanlage, die fast leer stand, wieder Leben ein: Die Hälfte der Zimmer ist vermietet. Ein Besuch

Manche Bewohner sind dem Dorf auch nach dem Studium treu geblieben

VON MARTIN MACHOWECZ

Die Waschmaschinen brummen laut. Sie laufen auf Hochtouren, in den Abendstunden pausenlos. Wer saubere Kleidung will, muss zuerst die Treppe runter: Durch einen dunklen, kalten Gang, immer in die Richtung, aus der schwaches Licht zu sehen ist. Dort heißt es warten, manchmal lange: Waschmaschinen sind rar im Studentendorf Schlachtensee. Der Raum ist so zu einem – nicht ganz gewöhnlichen – Treffpunkt der Bewohner des Dorfs geworden.

Laurent, Emily und Manuela sind drei von ihnen. Laurent Maffli stammt aus der französischsprachigen Schweiz, Emily Beatun aus Kanada, Manuela Conti ist Italienerin. Sie alle besuchen die Sommeruni der FU. Laurent wäscht seine Klamotten selbst – eine ganz neue Erfahrung für ihn.

Es ist fast ein Wunder, dass überhaupt noch Menschen die Möglichkeit haben, in den denkmalgeschützten Häusern am Schlachtensee zu waschen – und zu wohnen. Seit Ende der 90er-Jahre wurde hart um das Dorf gekämpft: Es sollte abgerissen werden, die Wohnungen wurden geräumt. Die Rettung war ein Kraftakt. Leute, die das Dorf liebten, haben sich für dessen Erhalt eingesetzt. Einer von ihnen ist Jens Uwe Köhler. Heute arbeitet er im Dorfhaus 11, dem Verwaltungsgebäude. Er ist heute quasi Dorfpapa. Früher war er einfacher Sympathisant, er hat hier gewohnt. „Ich liebe die Architektur, das Flair, die Atmosphäre“, schwärmt Köhler. Ganz ruhig sitzt er in seinem Stuhl, die Arme verschränkt. So sieht ein zufriedener Mann aus. Er schaut aus dem Fenster.

Köhler ist Herr über Häuser mit Geschichte: Als Wohngebiet nach amerikanischer Campus-Art wurde das Studentendorf mit Mitteln der US-Regierung 1957 am Schlachtensee gebaut. Die insgesamt 17 Häuser Wohnwürfel und Hochhäuser sind mausgrau, nur Steinblöcke – zumindest für den, der sich nicht genauer mit ihnen beschäftigt. Aber sie haben einen Reiz: Sie faszinieren mit ihren flachen Dächern, auf denen Wäschespinnen stehen und an deren Kanten Menschen sitzen, die ihre Beine baumeln lassen. Die Wiesen, auf denen Leute sitzen, grillen und Spaß haben, begeistern Bewohner – und Besucher.

Deshalb kämpfte Köhler, als die Stadt Berlin das Dorfgrundstück verscherbeln wollte. 12 Millionen Euro hatte der damalige Bausenator Peter Strieder (SPD) für das Areal verlangt – ein Preis, den niemand zahlen wollte oder konnte. Mit anderen Dorffreunden gründete Köhler schließlich eine Genossenschaft. Die unterbreitete dem Senat mehrmals Kaufangebote. Im Dezember 2003 kam der Durchbruch, der Sieg in der Schlacht am See: Das Dorf gehörte ab sofort den Studenten. 10 Millionen Euro mussten sie berappen, einen Teil davon zahlten der Discounter Aldi und ein Projektentwickler, die dafür Teile des Grundstücks erhielten. Jetzt werden zwar Eigenheime neben die Studentenhäuser gebaut. Aber das finden die meisten Bewohner nicht so tragisch.

Mittlerweile ist es dunkel geworden am Schlachtensee, es ist so ruhig, dass man die Bäume schaukeln hört. Wer ein Stück weiter ins Dorfinnere geht, vorbei an einem großen Wohnblock, aus dessen Fenster die Wäsche hängt, der läuft direkt zum Studentenclub A18. Musik hallt auf den Vorplatz, eine Band spielt. Kneipengeruch und Zigarettenrauch steigen in die Nase. Doch der Raum ist fast leer, nur ungefähr 15 Leute haben sind in den Club gekommen – zu wenige für einen rentablen Betrieb. Hinter dem Tresen steht Clubchef Nikolaus Jeschke. „Es muss sich nach Jahren des Stillstands im Dorf wieder etwas entwickeln. Das geht langsam“, sagt er. Wenn keine Sonderveranstaltungen stattfinden, verirre sich kaum jemand ins A18. Vielleicht müsse es sich einfach noch herumsprechen: Es ist wieder Leben ins Studentendorf gezogen, und man kann sich hier auch amüsieren. Jeschke war schon zu Krisenzeiten Clubchef.

Doch es gibt Anzeichen, dass die schwierigste Phase vorbei ist, dass es aufwärts geht. Gerade wurden zwei renovierte Gästehäuser eröffnet, die zu günstigen Preisen an Kurzzeitbesucher vermietet werden. „Wir haben jetzt schon wieder 590 Dorfbewohner – nachdem wir bei Null angefangen haben.“ Zu Spitzenzeiten vor zehn Jahren lebten hier 1.060 Leute. „Wir sind ja nicht so günstig wie das Studentenwerk“, sagt Köhler. Die Vorbelastung durch den Kauf des Gebäudes sei so hoch, dass die Schlachtenseer Genossenschaft nicht mit den üblichen Mieten mithalten könne, 250 Euro zahlt man hier schnell für ein gutes WG-Zimmer. Und der Berliner Wohnungsmarkt ist hart umkämpft – unter den Vermietern. „800 Zimmer sind renoviert“, sagt Köhler. Soll heißen: Die Wände wurden bemalt, die wichtigsten Reparaturen durchgeführt. Der jetzige Vermietungsstand decke alle Unkosten.

Vor einem der Häuser sitzt ein junger Mann und raucht Wasserpfeife. Mohammed Bani Jaber ist 20 Jahre alt und stammt aus Palästina. Als Gaststudent verweilt er in Berlin. Sein Deutsch ist noch brüchig, aber um das zu verbessern, ist er ja hier. „Zwei Deutsche und ein Russe wohnen noch mit in meiner WG“, sagt Mohammed. Dann zündet er ein neues Stück Kohle für seine Pfeife an. In einem Jahr dürfte er diese Sprache fast perfekt beherrschen. Das verdankt er auch dem Dorf mit seiner offenen Struktur. „Ich wohne hier, weil ich wusste, dass Menschen von überall in Schlachtensee sind“, sagt er. Das Internationale am Dorf, das Flair, die Vermischung vieler Kulturen – das Studentendorf ist ein Schmelztiegel.

Manche Bewohner bleiben dem Dorf treu, obwohl sie nicht mehr studieren – etwa, weil sie sich in die Umgebung verliebt haben. Elke Hermes kam vor vielen Jahren aus Bayern und kannte niemanden in der Großstadt – alles war erschlagend groß. „Eine Freundin hat hier im Studentendorf gewohnt und mir erzählt, wie toll es ist. Ich bin dann zur Untermiete eingezogen.“ Als die Genossenschaft das Dorf gekauft hatte, wurden Mitarbeiter gesucht. „Ich habe mein Studium abgebrochen und bin in die Verwaltung des Dorfes gewechselt.“ Jetzt ist sie die Mitarbeiterin von Jens Uwe Köhler, kümmert sich um die Wohnungen und Reservierungen. „Biochemie war wohl nichts für mich“, sagt Hermes. Hauptsache, die Chemie stimmt überhaupt im Dorf.

Für Hermes und Köhler tut sie das definitiv. Der Genossenschaftschef schwärmt noch immer: vom Grün vor seiner Tür, vom Gemeinschaftlichen im Dorf. Wahrscheinlich meint er das ordentliche Grün von früher; heute ist die Landschaft verwildert, um die Grünpflege kümmert sich im Dorf keiner. Irgendwo zwischen Bäumen, Gras und Sträuchern sitzt inzwischen Mohammed mit seiner Pfeife. „Guten Abend“, sagt er. Er begrüßt jeden, der an ihm vorbeigeht. Viele Bewohner kennen sich. Vielleicht ist das ein Argument für künftige Mieter, hierher zu ziehen. Sie müssten einige Macken, die das Dorf hat, übersehen und dafür etwas mehr Geld zahlen, als es in Berlin notwendig wäre. Aber sie dürften auch den Zigarettenrauch des Studentenklubs atmen und die frische Luft auf dem Dorfplatz sowieso. Und sie dürfen mit Emily, Manuela und Laurent ihre Wäsche waschen.