Grunewald ist das neue Kreuzberg

MyGruni-­Bürgerfest: sehr bunt, sehr kreativ, sehr heiter Foto: Florian Boillot/RubyImages

Auf der Suche nach Techno

Im Görlitzer Park fällt die große Party aus – zur Enttäuschung mancher BesucherInnen

Von Antje Lang-Lendorff

Die Freunde aus Cottbus stehen am Mittwochnachmittag am Eingang des Görlitzer Parks und haben ein Problem: wohin mit dem Bier? Glasflaschen dürfen nicht mit in den Park genommen werden. Sie überlegen, die Flaschen über die Mauer zu werfen. Schließlich verstecken sie das Bier im Gebüsch. Rein wollen sie unbedingt: „Wir sind zum ersten Mal hier, wir haben viel gehört vom 1. Mai“, sagt einer der jungen Männer. Was genau er gehört hat? „Viele Menschen, Techno, Bier.“

Da sind die Cottbusser in diesem Jahr im Görlitzer Park am falschen Ort: Die öffentliche Party, wie es sie 2018 gab, wollte das Bezirksamt nicht wiederholen. In einer Umfrage unter AnwohnerInnen hatten viele das Fest kritisch bewertet. Bühnen gibt es in diesem Jahr deshalb nicht. Um spontane Feiern zu verhindern, kontrollieren Sicherheitsleute an den Eingängen die Rucksäcke auch auf Musikanlagen.

Der Park ist am Nachmittag gut besucht, aber es bleibt ruhig. Gruppen von jungen Leuten sitzen auf den Wiesen, picknicken, kiffen oder spielen Karten. Auf den Stufen des Pamukkale-Brunnens trinken viele Bier aus Plastikbechern. Unten im Rund steht ein Lastenfahrrad mit Verstärker darauf. Dort kann man zwei Minuten lang in ein Mikro sprechen, was man gerade auf dem Herzen hat. Ein Mann imitiert mit dem Mund ein Schlagzeug, sofort beginnen einige zu tanzen.

Florian Fleischmann vom Parkrat bezeichnet die diesjährigen Regelungen als „faulen Kompromiss“. Wie viele AnwohnerInnen in der Umfrage kritisiert er die Eingangskon­trollen. Die Leute könnten nicht wie sonst durchfahren, auch die Familien, die sonst zum Grillen kommen, fehlten. „Die Party findet dann eben in den Nebenstraßen statt.“

Der Bass dröhnt

4.000 Menschen bei satirischer „MyGruni“-Aktion im Grunewald. Anwohner feiern nicht mit

Von Joana Nietfeld
und Erik Peter

Das „Quartiersmanagement Grunewald“ hat eingeladen – und rund 4.000 sind am Mittwoch der Einladung dieses fiktiven „Sozialraummanagements“ in den gut betuchten Südwesten gefolgt. Nach den Szenen bei der Erstauflage im vergangenen Jahr – Sticker auf Klingelschildern und Porsche-Heckscheiben, Konfetti in gepflegten Vorgärten – wollten die Organisatoren, die Hedonistische Internationale, diese „Mai-Krawalle“ nun mit einem „Bürgerfest befrieden“. „MyGruni“ haben sie ihre satirische Aktion benannt: nach dem Kreuzberger Vorbild, wo das vom Bezirk organisierte Volksfest („MaiGörli“) im Görlitzer Park in diesem Jahr seiner eigenen Ballermannisierung zum Opfer gefallen ist (s. Text rechts).

Die Auftaktkundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz Grunewald hat denn auch Volksfestcharakter: Bands spielen, DJs legen auf, viele Teilnehmer sind verkleidet und trinken Sekt. 900 Beamte hat die Polizei aufgefahren. Bei der Zugangskontrolle im Bahnhof werden Teilnehmern tatsächlich Sticker abgenommen. Die prächtigste Villa am Platz wird mit Polizeigittern geschützt.

Um 14.45 Uhr setzt sich schließlich die Demo in den engen Straßen in Bewegung. Der Bass dröhnt. Am ersten Lautsprecherwagen steht „Enteignung first. Bedenken second.“ Dutzende Schilder widmen sich dem Berliner Mietenwahnsinn.

Es geht vorbei an luxuriösen Villen, für viele Ausdruck einer problematischen Anhäufung von Kapital im „Problemkiez“. Dem Aufruf, die Gartentore zu öffnen, die Grills anzuschmeißen und Wein auszuschenken, mochten die Anwohner zumindest auf dem ersten Teil der Route nicht folgen.

Erdbeerwein, Mexikaner und eine Räumung

Am Rande des MyFestes gibt es Ärger, weil das Bezirksamt Obdachlosenbehausungen zerstören ließ

Von Claudius Prößer

„Glasflaschen sind hier leider nicht erwünscht“, sagt der bullige Bartträger mit der neongelben Weste und dem Funkgerät. „Oah neeee“, rufen die jungen Frauen, die sich gerade mit Erdbeerwein und billigem Sekt am Oranienplatz niedergelassen haben. „Wollen Sie die mit uns aus­exen?“, fragt eine den Ordner, aber der kennt keinen Spaß. Die Flaschen müssen entsorgt werden, der Inhalt wird vorher schnell getrunken oder in Plastikflaschen umgefüllt.

Beim MyFest in Kreuzberg wird jetzt stärker auf Sicherheit geachtet. Eine Legion von Ordnern ist unterwegs, die meist muskelbepackten jungen Männer schirmen schon am frühen Nachmittag die Bühnen ab wie bei einem Stones-Konzert. Die Polizei hat nach eigenen Angaben rund 5.500 BeamtInnen bei allen Mai-Feierlichkeiten im Einsatz; wie viele das Fest schützen, bleibt unklar. Auch wenn die Zufahrtsstraßen mit wassergefüllten Großbarrieren gesperrt sind: Eine besondere Gefährdung der Veranstaltung besteht laut Pressestelle nicht.

Schon bald ziehen Zehntausende durch die Straßen, es ist bunt und laut wie immer, von den in diesem Jahr deutlich reduzierten Verkaufsständen steigen Grillschwaden auf und hüllen die Sonne in silbernen Dunst. Zwischen den Bühnen, auf denen Jazz und Gangsta-Rap akustisch konkurrieren, wird viel gegessen und vor allem getrunken, auf improvisierten Tabletts verkaufen junge Menschen in der Menge „Mexikaner“-Shots aus Tomatensaft und Wodka für 2 Euro. Für 50 Cent können Fotografierende auf eine der vielen Haushaltsleitern steigen, die Geschäftstüchtige auf die Kreuzungen stellen.

Auf dem Mariannenplatz, wo das traditionelle Fest der Linkspartei für politische Inhalte sorgt, steht Oliver Nöll und ist sauer: „Wir sind aus allen Wolken gefallen, als wir gehört haben, was der grüne Stadtrat da gemacht hat.“ Nöll gehört der BVV-Linksfraktion an und ärgert sich über Baustadtrat Florian Schmidt. Der hatte am Dienstag einen gültigen BVV-Beschluss umgesetzt und zwei „Tiny ­Homes“ räumen lassen, in denen Obdachlose unter Duldung auf der öffentlichem Grünfläche lebten. Die Holzhütten wurden dabei zerstört.

Auf Twitter haben sich die Politiker schon verbal bekriegt. Immerhin sieht es jetzt so aus, als sei die Linke schuld an der Verdrängung. Jetzt sammelt die Partei für neue Tiny Homes. Andreas Düllick von der Kältehilfe, die mit Karuna e. V. die Häuschen gebaut hatte, steht bei Nöll. „Da sieht man mal, wie unpolitisch Kreuzberg geworden ist“, sagt er resigniert: „Das hier ist Rio Reisers Mariannenplatz. Vor Jahren hätte nach so einer Räumung Kreuzberg gebrannt.“

So viel Inhalt wie selten

Die Revolutionäre 1.-Mai-Demo ist von Kreuzberg nach Friedrichshain umgezogen. Ziel: Rigaer Straße

Von Erik Peter

Nach Jahren, in denen die Revolutionäre 1.-Mai-Demo inmitten des Kreuzberger MyFestes zunehmend vergeblich um Aufmerksamkeit kämpfte, haben die Organisatoren diesmal den Ausweg nach Friedrichshain gesucht. Weg vom Party- und Touristenpublikum, hinein in den linksradikalen Szenekiez – oder dem, was davon übrig ist.

Breite Themenpalette

Wer sich am Wismarplatz, dem Startpunkt der Demo, umschaute, sah kaum Zufallsgäste, sondern überzeugte TeilnehmerInnen der Revolutionären Demo. Viele von ihnen hörten aufmerksam den Reden vom Lautsprecherwagen zu – so viel Inhalt hatte es in den vergangenen Jahren am Oranienplatz nicht mehr gegeben. Türkische Gefangene und PKK, Freiheit im anarchistischen Sinne, Kämpfe gegen Verdrängung in Friedrichshain und darüber hin­aus oder deutsche Waffenexporte – die Themenpalette der Reden war breit.

Wie schon in den Vorjahren wurde die Demo im Vorfeld zwar angekündigt, bei der Versammlungsbehörde jedoch nicht angemeldet. Vor Ort, auf der angemeldeten Kundgebung am Wismarplatz, suchte die Polizei per Lautsprecher nach einem Demoanmelder – erfolglos. „Ganz Berlin hasst die Polizei“, schallte es ihnen entgegen.

Zunehmend angespannt warteten Tausende Menschen auf den Start der Demo unter dem Motto „Gegen die Stadt der Reichen“. Um 19.10 Uhr gab ein Feuerwerk vom Dach den Startschuss. Wie angekündigt, hinderten die Beamten die Demo dann dennoch nicht am Loslaufen. Ein schwarzer Block führte das Ganze an, „Antikapitalista“-Rufe erschallten.

Unklar war bis Redaktionsschluss, ob es die Demonstration in ihre Homezone, die Rigaer Straße, schaffte.