Exilaktivist über Umsturz im Sudan: „Die Entwicklung ist dramatisch“

Das Militär versuche in Sudan einfach, die Macht in die Hand zu nehmen, sagt Aktivist Adam Baher aus Darfur. Das Land brauche aber Demokratie.

Menschen mit sudanesischen Flaggen und Plakaten demonstrieren in Khartum

Khartum, 13. April: Die Demonstrationen dauern an Foto: reuters

taz: Herr Baher, Sudans langjähriger Machthaber Bashir ist zurückgetreten, das Militär hat die Macht übernommen. 2008 waren Sie selbst in einer politischen Gruppe aktiv, die Bashirs Sturz plante. Was sagen Sie zu den aktuellen Geschehnissen?

Adam Baher: Die Entwicklung im Sudan ist dramatisch. Das Militär versucht einfach, die Macht in die Hand zu nehmen. Aber es sind viele junge Leute auf der Straße, die sagen: Wir wollen das nicht. Der Sudan braucht keine Militärregierung, er braucht Demokratie. Diejenigen, die seit vier Monaten den ganzen Widerstand geleistet haben, wollen keine Armee an der Macht. Dafür muss weiter gekämpft werden. Trotzdem ist es eine große Sache, dass Bashir zurückgetreten ist.

Sie selbst waren schon früh als Oppsitioneller aktiv. Was war Ihr Beweggrund?

Ich komme aus Darfur. Die Regierung hat einfach einen Krieg gegen die Menschen in Darfur gestartet, 2003. Da sind mehr als 300.000 Leute gestorben, auch ein Onkel von mir. Zu dieser Zeit war ich an der Uni und studierte Wirtschaft. Uns Studenten war klar: Wir müssen etwas machen, wir sind in Khartum, der Hauptstadt. Wir haben uns zusammengetan, ich war im politischen Teil der Gruppe „Justice and Equality Movement“ aktiv, nicht im bewaffneten Teil. Einige haben versucht, die Armee zu unterwandern und so das Regime von innen zu stürzen. Aber es gab eine Niederlage. Daraufhin hat die Regierung viele Leute festgenommen und sie für Jahre ins Gefängnis gesteckt. Deswegen habe ich Sudan 2008 verlassen.

Und heute? Welche Probleme gibt es noch im Sudan?

Erstmal ist die Bashir-Regierung eine Regierung der Muslimbrüder. Das wollen wir nicht. Im Sudan haben besonders Frauen viele Probleme damit. Seit 2002 gibt es zum Beispiel ein Gesetz mit dem Namen „public order“, das besagt, dass Frauen keine Hosen tragen dürfen, und anderes mehr. Die Regierung ist eine Diktatur: Zwischen 2002 und heute haben im Sudan viermal Wahlen stattgefunden. Aber die Regierung gewinnt immer mit 99,9 Prozent.

A ls die Proteste im Dezember begannen, ging es noch um das zu teure Brot.

Adam Baher, 36, wurde in der Stadt El-Geneina in Sudans westlicher Region Darfur geboren. Er studierte Wirtschaft und Bankwesen in Kharthum und war in der Studentenbewegung und im politischen Flügel der Darfur-Rebellenbewegung „Justice and Equality Movement“ (JEM) aktiv, weshalb er das Land verlassen musste. Seit 2008 lebt er in Deutschland, wo er politisches Asyl erhalten hat. Baher arbeitet als Trainer in politischer Bildungsarbeit.

Natürlich ist die ökonomische Situation ein Teil der Kritik. Das Brot kostete plötzlich dreimal so viel wie vorher. Die Leute hatten nichts mehr zu essen und gingen auf die Straße. Aber in den Forderungen geht es jetzt nicht mehr um Brot. Die Leute brauchen mehr Freiheit, mehr Demokratie, mehr Menschenrechte. Die Regierung hat die Rassismus-Karte gespielt und gesagt, dass die Leute aus Darfur das Land spalten wollten. Aber das hat nicht funktioniert. Die Leute gingen auf die Straße und sangen, an Bashir adressiert: „Du bist Rassist, und wir sind alle aus Darfur“. Diese Entwicklung ist nicht selbstverständlich. Seit 2003 und bis heute wurden immer Menschen im Sudan getötet, aber niemanden hat das auf die Straße gebracht. Dass die Leute das Unrecht jetzt wahrnehmen, ist eine riesige Entwicklung.

Kann man sagen, dass die Protestbewegung säkulär orientiert ist?

Ich denke, keine oppositionelle Strömung kann im Sudan jetzt mit Religion kommen. Die Leute haben 30 Jahre lang gesehen, was die Muslimbruderschaft mit dem Sudan gemacht hat. Niemand will das – deshalb sind die Leute ja auf der Straße. Klar gibt es in verschiedenen oppositionellen Gruppen Muslime, denn die Mehrheit der Menschen im Sudan sind nun mal Muslime. Der Islam spielt also eine Rolle. Aber es sind viele junge Leute auf der Straße, und die sagen immer: Wir brauchen keine religiöse Regierung. Sie fordern eine klare Trennung zwischen Religion und Politik. Verschiedene Themen werden jetzt zum Thema im Sudan, Feminismus aber auch LGTBI-Themen, das ist neu im Sudan. Das wäre ohne diesen Protest nicht zustande gekommen.

Frauen spielen eine sehr starke Rolle in den Protesten.

Aus politischen Gründen möchte ich nicht für Frauen sprechen, denn ich bin ein Mann und kann mir ihren Kampf nicht aneignen. Aber ich kann bestätigen, dass Frauen eine große Rolle einnehmen in diesem Protest. Das kann man in den Videos sehen: Frauen sind immer in der ersten Reihe. Sie sind besser organisiert, weil sie sich seit langem zusammengetan haben um Widerstand gegen die Regierung zu leisten, besonders seit im Jahr 2002 das „public order“ Gesetz ihre Rechte eingeschränkt hat. Und in vielen Fällen haben sie es damals geschafft, dieses Gesetz abzumildern. Sie haben daher ihre eigene, autonome Struktur. In Europa gibt es diese Idee, dass Frauen überall in muslimischen oder arabischen Ländern unterdrückt sind. Aber das entspricht nicht der Realität.

Jetzt regiert ein Militärrat, aber der Protest geht weiter. Wird dieser Protest nun niedergeschlagen oder gibt es Hoffnung, oder droht gar ein Bürgerkrieg?

Angst habe ich immer. Aber die Leute im Sudan wollen keine Gewalt, die geht nur von der Regierung aus. Seit vier Monaten ist der Protest überall im Sudan friedlich. Es gab genug Gewalt: der Krieg zwischen Nord und Süd, der Krieg in Darfur, der Krieg gegen die Nubier. Die Leute wollen keine Gewalt mehr, es gibt nur friedliche Proteste. Aber die Regierung versucht immer, das in eine gewalttätige Richtung zu bringen, sie haben ja die Macht und können die Leute umbringen. Die Leute haben aber auch aus der Entwicklung von Syrien gelernt: Sie wollen nicht in diese Richtung gehen. Während der jetzigen Proteste wurden mehr als sechzig Leute getötet, aber die Proteste blieben friedlich. Das ist krass! Aber die Angst vor der weiteren Entwicklung ist da. Es könnte ja umschlagen, wenn die Leute sich nicht mehr anders halten können, und zu Gewalt übergehen. Ich hoffe, so weit kommt es nicht.

Wie reagieren die Menschen auf die Repression und die Gewalt?

Ich kann natürlich nicht alles sagen. Aber zum Beispiel war von Anfang an allein das Filmen mit dem Handy schon verboten. Also versteckten sich Leute in Gebäuden und filmten von oben den Protest auf der Straße. Sie schickten das Material dann direkt an Leute außerhalb vom Sudan, die das dann hochladen konnten. Dann gibt es die Tränengasgranaten: Es gibt Leute, die mit Wasserkanistern herumlaufen; wenn die Polizei Tränengas schießt, stecken sie die Granate in den Wasserkanister, damit sie nicht explodieren kann. Manche Frauen nutzen ihre Kopftücher, um das Tränengasgranaten zu fangen und zurück zur Polizei zu werfen. Viele Menschen sind aktuell im Gefängnis, 3000 Leute sicherlich. Aber das hindert den Protest nicht, es kommen immer neue Leute und die Organisationsstruktur ist flexibel und der Regierung nicht bekannt.

Welche Rolle spielen Deutschland und die EU ?

Manche Deutsche wollen das vielleicht nicht hören. Aber die EU hat der sudanesischen Regierung vor allem viel Geld gegeben, damit die Polizei die Grenzen besser schützt. Dafür wurde die sudanesische Polizei von Deutschland ausgebildet. Sie nennen das „Migrationsmanagement“ und „Bekämpfung von Fluchtursachen“. Diese Polizei tötet heute die Menschen auf der Straße. Und wenn es im Sudan nochmal so ein Problem wie in Syrien gibt, dann wird das ein Problem für die ganze Welt. Die Menschen werden nach Europa kommen, nicht, weil sie wollen, sondern weil es keinen anderen Weg gibt. Man kann nicht über Fluchtursachen reden, ohne jetzt etwas zu machen. Es macht mich traurig, in Deutschland zu sein, und es gibt keine Solidarität. Ich gehe ja auch zu deren Demos für Mieten, Klimaschutz und so weiter. Aber für den Sudan interessiert sich niemand.

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