Kommentar Paketdienste und Bestellsucht: Das dressierte Kundenhirn

PaketbotInnen leiden unter miesen Arbeitsbedingungen, die Branche steht vor dem logistischen Kollaps. Aber es gibt einen Ausweg.

Pakete liegen in einem Paketzentrum von Deutsche Post und DHL

Die ZustellerInnen sind die Letzten in der Servicekette und verdienen mehr Wertschätzung Foto: dpa

Es ist diese Vorfreude, diese kindliche Ungeduld und Gier. Das Belohnungssystem im Hirn springt an. Klick. Und die Sache ist bestellt, für Premium-Kunden bei Amazon oder anderen Großversendern erfolgt die Lieferung vieler Artikel „kostenlos“, „gratis“. Das klingt so, als bekäme man was geschenkt. Super.

Dabei ist das Versprechen der „kostenlosen“ Lieferung nichts als ein Psychotrick, denn bezahlt wird immer, entweder durch die Amazon-Prime-Gebühr oder weil sonst an allem gespart wird, beim Produkt oder beim Versender oder beim Service, auch bei den Paketboten.

Sie sind die Letzten in der Servicekette und sie verdienen mehr Wertschätzung, als nur angeraunzt zu werden, wenn ihr Lieferfahrzeug mal wieder halb auf dem Radweg steht oder wenn sie nach dem Klingeln nicht lange genug an der Tür auf das Erscheinen der Hausherrin oder des Hausherrn gewartet haben. Es ist gut, wenn Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nun die Paketdienste dafür haftbar machen will, dass ihre Subunternehmer korrekt Sozialbeiträge für die Beschäftigten zahlen.

Nur wird der Vorstoß nicht viel an deren Bedingungen ändern. Die überlangen Schichten mit den vielen unbezahlten Überstunden, die die Zusteller leisten müssen, bis der Frachtraum des Wagens am Abend endlich leer ist, die werden bleiben.

Warum nicht ein Fair-Delivery-Siegel?

Zudem steht die Paketbranche vor dem logistischen Kollaps, denn die Bestellberge wachsen, und es ist absurd und unökologisch, dass sich heute Paketboten mit großen Lieferfahrzeugen durch die Staus kämpfen, weil sich KundInnen fast jede Unterhose, fast jeden Kugelschreiber in der gewünschten Marke und Farbe „kostenlos“ an ihre Haustür liefern lassen können. Gerade die Prime-Mitgliedschaft verführt dazu.

Dabei gibt es Alternativen: Packstationen sind gut. Ein Zusammenschluss der Paketdienste, sodass am Ende nur immer jeweils ein Bote einen bestimmten Kiez bedient, das wäre noch besser. Und warum nicht ein Fair-Delivery-Siegel für Versender, die über Paketdienste mit sozialen und ökologischen Standards verschicken, die Tarifentgelte zahlen und Lastenräder benutzen, zum Beispiel?

Dann könnte man sich den Rucksack aus reycelten PET-Flaschen über Fair Delivery an die Abholstation schicken lassen, eine Versandgebühr wird wieder ordentlich ausgewiesen, man würde etwas länger warten auf den Artikel, vielleicht nicht mehr so viel bestellen, also Geld sparen. Das KundInnenhirn würde nicht mehr im Kaufrausch wüten, sondern sich entschleunigen, erwachsener, unabhängiger werden. Klingt gut. Die Frage ist, ob wir uns so was überhaupt noch vorstellen können.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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