Sex ist etwas Komisches

Mit ihren Arbeiten möchte sie dem Publikum den öffentlich-naiven Spaß an der Nacktheit verderben: Der Kunstverein Hamburg zeigt eine große Retrospektive der britischen Künstlerin Sarah Lucas

VON GLORIA ZEIN

Sex ist bei Sarah Lucas eine unappetitliche Angelegenheit. Da werden zwei Schweinshaxen, gewandet in eine altmodische Damenunterhose, auf einer abgenutzten Matratze arrangiert. Das Fett ist in den Stoff gezogen und hat ranzige Flecken gebildet. „I might be shy but I’m still a Pig“ heißt diese Arbeit von 2000. Unweit hat sie ein gerupftes Huhn mit gespreizten Beinen an ein Bettgestell gebunden. Der Kopf baumelt zwischen dem Metallgeflecht, darüber liegt ein fleischfarbener BH.

„Ich spiele mit stereotypen Geschlechterrollen“, erklärt die 1962 in London geborene Goldsmith-Absolventin in einem Interview mit Beatrix Ruf. Mit ruppigen Adaptionen zumeist männlicher Klischees wurde sie in den Neunzigern durch die Young-British-Art-Welle schnell bekannt. Nun widmen die Kunsthalle Zürich und der Hamburger Kunstverein ihr eine Retrospektive, die im Anschluss auch in der Tate Liverpool zu sehen sein wird.

Das dominierende Exponat der Hamburger Ausstellung ist eine Fotografie von 1993. Sie zeigt einen androgynen Rücken samt entblößtem Hinterteil. „Complete Arsehole“ steht in schwarzen Lettern auf dem T-Shirt. Für den Hamburger Kunstverein wurde das Bild vergrößert und als fünf Meter hohe Tapete gedruckt. Die Augen des Ausstellungsbesuchers befinden sich so in etwa auf der Höhe des bezeichneten Loches. Die indirekte Beschäftigung mit Fäkalien nimmt einen wichtigen Platz im Werk von Sarah Lukas ein. Wiederholt hat sie WCs fotografiert, mit Frottee-Handtüchern (Achtung: Alkohol-Reklame!) bezogen oder aus goldgelbem Polyurethan fertigen lassen. Ihre wohl bekannteste Arbeit aus dieser Serie zeigt eine dreckige Toilettenmuschel, aus der die mit brauner Farbe gemalte Frage schallt: „Is suicide genetic?“

Meist verweigert Lucas (weiblich?) Gefälliges in ihren Arbeiten. Die Häschen, mit denen Hugh Hefner berühmt und reich wurde, fließen bei Lucas als dürftig ausgestopfte Perlonstrumpfhosen von einfachen Holzstühlen. Der restliche Körper, reduziert auf abstrahierte Gliedmaße, ist mit einer Schraubzwinge an der Rückenlehne befestigt. Ein Dutzend solcher „Bunnies“ hat Sarah Lucas seit 1997 produziert, rund die Hälfte ist in Hamburg zu sehen.

Eines der Häschen wird von einem stuhlhohen Objekt anvisiert, einer Kreuzung aus alter Socke und erschlaffendem Penis. Bei näherer Betrachtung erweist es sich als Assemblage von ungerauchten Zigaretten. Aus denen sind weitere Skulpturen entstanden, wie Gartenzwerge und Brüste. Rauchen, erklärt Lucas, sei für sie eine aktive Zeiterfahrung. Ein Selbstporträt mit Glimmstängel hängt ebenfalls in dieser Ausstellung. Andere, aufgenommen mit leichter Untersicht, zeigen die Künstlerin in burschikoser Kleidung. Breitbeinig und Raum greifend sitzt sie auf Sessel, Stuhl oder auf dem Boden. Stets scheint ihr unverblümt direkter Blick den Bildbetrachter zu fixieren. Aggressiv wirken diese Posen besonders, weil eine Frau sie einnimmt.

Hier liegt ein Vergleich mit der Arbeit der österreichischen Künstlerin Valie Export nahe, die bereits 1968 bei der Performance „Aktionshose: Genitalpanik“ mit einer an den Genitalien ausgeschnittenen Hose im Stadtkino München auftrat. Später fotografierte sie sich, breitbeinig die Kamera fixierend, in diesem Kostüm.

Bei Sarah Lucas ist der feministisch-sozialkritische Impetus jedoch nur noch Zitat und Pose. Ihr burschikoses und weniger drastisches Auftreten entspringt derselben merkantilistischen Leichtigkeit im Umgang mit Sexualität, wie sie ihre befreundete Kollegin Tracy Emin für sich in Anspruch nimmt. Künstlerinnen wie Valie Export waren mit ihrem Habitus und ihrer Streitkultur dem Zeitgeist der späten Sechziger und Siebziger verpflichtet. Sarah Lucas aber ist ein Kind der Postmoderne. Ihre Strategie besteht gerade darin, Sexualität nicht mehr ernst zu nehmen: Wenn Lucas auf einer Matratze Orangen, Gurke, Melonen und Eimer zu einem beziehungsreichen Stillleben arrangiert, nimmt sie Mann und Frau gleichermaßen auf die Schippe.

Dieser spielerische, bisweilen obsessive Umgang mit sexuellen Attributen zeugt eher von ihrer formalen Nähe zu den Surrealisten, mit denen sie auch die Freude an Wortspielen teilt. Fragile Kompositionen, in denen ein Kleiderbügel, drei Glühbirnen und ein Eimer zu „Mary“ werden, oder auch ihr Selbstporträt mit Spiegeleiern auf den Brüsten erinnern an Max Ernst. In Collageromanen wie „La femme 100 têtes“ (1929) verband dieser Illustrationen aus Zeitschriften des 19. Jahrhunderts mit eigenen Grafiken. Geprägt von der aufgekommenen Psychoanalyse thematisierte er darin humorvoll bis sarkastisch den im damaligen Bürgertum noch zwanghaften Umgang mit Sexualität. Lucas hingegen will uns den inzwischen grassierenden öffentlich-naiven Spaß an Nacktheit und Sex ein wenig verderben: Rotierende Unterarme mit zu Röhren geformten Händen stehen für „Wanker“ (Wichser); die weiblichen Genitalien werden von ihr rückverwandelt in das Bedrohlich-Ekelhafte der Prä-Kinsey-Ära: gerupfte Hühnchen, stinkende Fische oder vertrocknete Kebabs.

Locker hingestreut wirken diese für die obere Halle des Kunstvereins sorgsam ausgewählten Installationen – eine Präsentation, die Lucas’ gekonnt reduzierte Kompositionen auch plastisch wirken lässt. Dankbar für diesen Raum ist man(n) spätestens beim Anblick von „Year of the Rooster“ (2005), in der eine leuchtende Neonröhre vital ein Bettgestell durchstößt.

„Sarah Lucas“ im Hamburger Kunstverein. Noch bis zum 9. Oktober