Kulturkampf unter der Erde

Kunstwelt und BVG feiern das Design der U-Bahnhöfe der 1970er Jahre – aber der Abrisshammer schlägt dennoch zu. Eine Denkmal-Initiative hält dagegen

Der Kerberors des Bild­hauers Walter Grizmek soll zurückkommen in den U-Bahnhof Steglitz und lebt im Namen der Initiative für den Denkmalschutz in den U-Bahnhöfen fort Foto: Berlinische Galerie

Von Giuseppe Pitronaci

In Berlin U-Bahn zu fahren ist, wie durch ein Geschichtsbuch zu brausen. Nur dass die BVG angefangen hat, aus dem Buch einige Seiten herauszureißen. Indem sie ­U-Bahnhöfe umbaut und ihnen einen neuen Look gibt. Vor allem den Bahnhöfen aus den 70er und 80er Jahren geht es an den Kragen: Statt runden Sitzen in Knallfarben findet man jetzt Metalldrahtbänke. Zitronengelbe Plastikkränze unter der Decke verschwinden. In Rudow ließ die BVG orangefarbene Wände ersetzen durch schwarze mit Metalllamellen. Und so ­weiter.

Doch der Widerstand gegen diese Umbauwut ist mittlerweile lauter als das Rattern eines Zuges – und hat erste Erfolge. Eine Initiative namens Kerberos hat den Denkmalschutz für viele Bahnhöfe erkämpft, die Berlinische Galerie zeigt eine Ausstellung zum Thema und lud zu einer internationalen Tagung dazu ein.

Und ein Buch ist erschienen, das Augen öffnet: „Der Himmel unter Westberlin“. Es ist die Doktorarbeit von Kerberos-Mitglied Verena Pfeiffer-Kloss. Ihr Hauptthema: ein Mann namens Rainer Rümmler. Er war der ­Unterwelt-da-Vinci Westberlins: 58 U-Bahnhöfe entwarf er von 1959 bis 1994 als verbeamteter Architekt der Westberliner Bauverwaltung. Begann mit geraden Linien und Farbakzenten wie im U-Bahnhof Alt-Mariendorf. Ging dann über zu bonbonbunten Popstudien wie am Fehrbelliner Platz. Um weiterzumachen mit psychedelischen Fliesendelirien wie unter der Paulsternstraße.

Das Buch beschreibt Rümmlers Ziel, aus Bahnhöfen Orte zu machen, die individuell sind und in denen sich die Passagiere wohlfühlen. Bahnhöfe, die verspielt Bezug nehmen zur Umgebung oder zum Bahnhofsnamen. Die grünen Farbtafeln im Bahnhof Eisenacher Straße erinnern an den Thüringer Wald. Das Mosaik im U-Bahnhof Jungfernheide stellt den Umriss des Volksparks dar. Der Bahnhof Zitadelle mit den roten Ziegelsteinwänden – logisch, eine Art Vorhalle zum Renaissancebau über der Erde. Bahnhöfe, die man aus dem Augenwinkel erkennt, wenn man im Zug sitzt und aufs Smartphone guckt – zu Rümmlers Zeit freilich auf die Papierzeitung.

Westberliner Zeitgeist

Gleichzeitig spiegeln die Bahnhöfe den kulturpolitischen Zeitgeist. Bunter Pop schloss sich der internationalen Kunstmoderne an und sollte Kontrast sein zum als grau postulierten Osten. Das zeigt sich am U-Bahnhof Jungfernheide, der unter dem Damm der S-Bahn gebaut wurde. Die marode S-Bahn war ein DDR-Betrieb, hatte Imageprobleme, die Fahrgastzahlen sanken. Der Eingang zum U-Bahnhof darunter: Ein gelber Wellenhimmel lädt ins Verteilerdeck mit knallroten Wänden.

Später überdeckte Normalität den Kalten Krieg, Westberlin suchte eine neue Rolle. Rümmlers Antwort: pompöse Kitschhallen wie am Rathaus Spandau oder Geschichtsunterricht auf Kacheln, wie an der Residenzstraße. Jeder dieser Bahnhöfe ist bis heute eine Art Knusperhäuschen, an dem man immer wieder Details entdecken kann. Pfeiffer-Kloss stellt Verbindungen her zwischen dem Bahnhofdesign und dem gesellschaftlichen Zeitgeist im Lauf der Jahrzehnte. Passend dazu ist das Buch selbst ein Design- und Farbrausch wie aus den 1970er Jahren, mit Abbildungen in höchster Taktfrequenz, dazu klar gegliedert wie die U-Bahnhof-Perlfäden über den Sitzen in den Waggons. Über manch umständliche Fachformulierung liest man lässig hinweg – angesichts der Infofülle, der verblüffenden Einsichten und des coolen Layouts.

Die Autorin hat Archive durchleuchtet und mit Rümmlers Familie Kontakt aufgenommen. Gemeinsam mit der Kerberos-Gruppe konzipierte sie auch die Ausstellung in der Berlinischen Galerie mit. Thema dort ist die Entwicklung der ­U-Bahnhöfe Berlins von den 1950er bis zu den 1990er Jahren. So können wir dort auch Entwurfsblätter sehen, auf denen Rümmler Säulen und Fliesenornamente gezeichnet hat – mit manischer Detailliebe.

Und die BVG, die Herrscherin über Berlins Unterwelt? Angesichts des Kunstruhms fühlt sie sich vielleicht geschmeichelt – oder verpflichtet zu reagieren. So war sie Partnerin der Tagung in der Berlinischen Galerie und machte Werbung für die Ausstellung in ihrem Monatsmagazin BVG Plus. Sie stellte der Ausstellung eine Kerberos-Skulptur von 1972 zur Verfügung. Kerberos – mythologischer Bewacher der Unterwelt – bewachte in diesem Fall mal den U-Bahnhof Rathaus Steglitz, im Auftrag von Rümmler. Bis die BVG auch diesen Bahnhof ins Umbauvisier nahm und die Skulptur entfernte. Die Rettungsinitiative Kerberos benannte sich nach der Skulptur des Bildhauers Waldemar Grzimek, die immerhin zurückkommen soll in den Untergrund.

Aber wird die BVG in Zukunft sensibler mit Bahnhöfen der Nachkriegsmoderne umgehen? Die Pressestelle der BVG weist darauf hin, dass sie diverse Bahnhöfe der besagten Epoche „weitgehend originalgetreu saniert“ hat. Ein neues Bewusstsein findet sie „daher nicht erforderlich“. Klingt, als wolle sie sagen, dass sie schon genug getan hat.

Ganz kunstgeläutert wirkt die BVG nicht. Den Ausbau von poppigen Kunststoffelementen rechtfertigt sie mit Brandschutz. Dieser Brandschutz ist für die BVG-Pressestelle aber auch der Grund, dass bei bestimmten Bahnhöfen „das alte gestalterische Konzept nicht mehr passend war“.

Frank Schmitz, Kunsthistoriker bei Kerberos, sieht das anders: „Auch wenn man Bauteile wegen Brandgefahr austauschen muss: Mit neuen Baustoffen und etwas Kreativität kann man einen U-Bahnhof weitgehend originalgetreu nachbilden.“ Durch moderne LED-Technik könne man einen Bahnhof heller machen, auch Einbauten für Barrierefreiheit wie Fahrstühle seien möglich, alles, ohne die Wirkung eines Bahnhofs zu zerstören.

Wäre eine unabhängige Kommission denkbar, die bei Gestaltungs- und Denkmalfragen mitspricht? Nicht gemäß BVG-Pressestelle, da „nur die Denkmalbehörden berechtigt sind, gestalterische Entscheidungen bei Umbaumaßnahmen festzulegen“. Als ob das Denkmalamt veranlasst hätte, U-Bahnhöfe wie Rathaus Steglitz, Rudow oder Jakob-Kaiser-Platz umzugestalten.

Wer in den U-Bahnhof Rathaus Steglitz fährt, sieht keine Aluwände mehr mit roten Bilderrahmen, die runden Sitznischen sind längst abmontiert. Im U-Bahnhof Yorckstraße hat man die orangefarbenen Fliesen abgeschlagen. Die silbrigen Raumschiffwände im U-Bahnhof Bismarckstraße werden gerade ersetzt durch historisierende Kacheln. Ein paar Seiten aus der unterirdischen Berlin-Chronik sind weg, unwiederbringlich.

U-Bahnhof-Architektur 1935–1994, in der Berlinischen Galerie bis 20. Mai.

Verena Pfeiffer-Kloss: „Der Himmel unter West-Berlin: Die post-sachlichen U-Bahnhöfe des Baudirektors Rainer G. Rümmler“, Urbanophil Verlag, 29 Euro