„Ein kleiner Fall“

Das Amtsgericht stellt das Verfahren wegen Wuchers gegen eine Vermieterin ein. Zu unklar die Beweislage. Sie hatte ein überteuertes Zimmer an Hartz-IV-Bezieherin vermietet

Sie hoffen, dass in dieser Stadt der teuren und knappen Wohnungen das Gesicht der Profiteure einmal sichtbar wird

Von Friederike Gräff

Es sind so viele JournalistInnen in Raum 184 des Hamburger Amtsgerichts gekommen, dass der zuletzt Gekommene stehen muss. Kein Wunder, sie hoffen, dass in dieser Stadt der teuren und knappen Wohnungen an diesem Donnerstagmorgen das Gesicht der Profiteure einmal sichtbar wird. Dabei ist es doch, so wird der Anwalt der Angeklagten Zahra H. später am Telefon sagen, „ein kleiner Fall“ und das Urteil tauge auch nicht zur Abschreckung. Tatsächlich wird das Verfahren gegen Zahra H. wegen Mietwuchers nach nur eineinhalb Stunden gegen eine Zahlung von 2.000 Euro eingestellt.

Zahra H. ist 70 Jahre alt, eine kleine Frau in Jeans und lilafarbenem T-Shirt, unter den Augen hat sie tiefe Ringe. Ihre mitangeklagte Tochter ist nicht vor Gericht erschienen, sie habe keine Betreuung für ihre Kinder gefunden, hat sie dem Gericht mitgeteilt. H. betreibt eine Gaststätte in Jenfeld und hat darin laut Anklage einen zwölf Quadratmeter großen Raum, eine Toilette und eine Kochplatte im Flur zu einem Preis vermietet, der mehr als 100 Prozent über dem Mietspiegel lag: beide Male an Menschen, für die das Jobcenter die Miete übernahm. Bei Marion M. waren es 450 Euro, und bei Hermann J., der zuvor obdachlos gewesen war, immerhin noch 400 Euro warm.

Es gebe nichts zu sagen, meint Zahra H. auf die Frage der Richterin, aber auf Rat ihres Anwalts sagt sie aus. Es habe einen zweiten großen Raum gegeben, den Marion M. hätte nutzen können, sie habe aber de facto nie die Wohnung benutzt, sondern bei Freunden übernachtet. Aber ein Mitarbeiter des Jobcenters habe M. in der Wohnung angetroffen, wirft die Richterin ein. „Wenn sie sie angetroffen haben, dann ist es so“, sagt H. lakonisch. M. hatte in der Gaststätte ausgeholfen und habe aus ihrer Wohnung ausziehen müssen, das Angebot, so schildert es H., sei reine Gefälligkeit gewesen. Schließlich habe das Jobcenter den Mietvertrag ja akzeptiert.

Wie sie auf den Mietzins gekommen sei, fragt die Richterin. Für die gesamte Fläche von 120 Quadratmetern zahle sie 2.000 Euro, sagt H., den Rest der Rechnung muss das Gericht erledigen.

Von den geladenen Zeugen erscheint lediglich Marion M., weder ihr Nachmieter J. noch der Mitarbeiter des Jobcenters, der die Wohnung aufgesucht hat, tauchen auf. So bleibt die Faktenlage so dünn, dass hinterher weder Staatsanwalt noch Anwalt auf Nachfrage erklären können, wie die Anzeige durch das Jobcenter überhaupt ins Rollen kam. Und Marion M. erweist sich zumindest im Sinne der Anklage als wenig ergiebig.

Denn das, was strafrechtlich Voraussetzung von Wucher ist, nämlich eine Zwangslage, Unerfahrenheit, Mangel an Urteilsvermögen oder erhebliche Willensschwäche des Ausgebeuteten, lässt sich bei Marion M. nach Auffassung des Gerichts nicht so recht belegen. M., 43, von Beruf Hausfrau und Mutter, so sagt sie, und aus der vorherigen Wohnung gekündigt, weil die Ehefrau des Vermieters eifersüchtig auf sie gewesen sei, M. schmal, ungeschminkt, trägt Jeansjacke und Jeanshose, sie kennt Zahra H. schon jahrelang, das Verhältnis nennt sie „freundschaftlich“ und auf dem Gerichtsflur stehen sie beieinander.

Das hindert H. nicht daran, dem Gericht zu sagen, dass M. das Geld für die Einrichtung vertrunken habe, während M. aussagt, dass sie zu dem großen Raum keinen Zutritt gehabt habe. Von den Wohnverhältnissen erzählt sie ohne große Anteilnahme, die Höhe der Miete habe sie nicht irritiert, da das Amt sie gezahlt habe. Ja, sie habe eine andere Wohnung gesucht, aber die Saga habe sie wegen verjährter Mietschulden nicht vorgelassen, anderswo habe sie keinen Besichtigungstermin bekommen.

Der Anwalt von Zahra H. hakt nach, warum sie die Miete, doppelt so hoch wie die für ihre vorherige, besser ausgestattete Wohnung, nicht beanstandet habe. „Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen“, sagt Marion M., zunehmend gereizt. Die Miete habe sie nicht interessiert und nein, sie habe nicht die Vorstellung gehabt, dass eines Tages sie und nicht das Amt die Miete habe zahlen müssen. Der Anwalt wendet sich an den Staatsanwalt: „Ich kann hier keine Zwangslage erkennen“, sagt er und der Staatsanwalt stimmt ihm zu: „Es ist ihr tatsächlich komplett egal.“

Manches bleibt unklar an diesem Donnerstagvormittag. Das Gericht zieht sich kurz zurück, dann verkündet die Richterin die Einstellung des Verfahrens. Es sei „nicht ganz klar“, ob es sich um eine Zwangslage der Mieterin handle, zudem unwahrscheinlich, dass sich die Gewerbsmäßigkeit des Vorgehens der Angeklagten nachweisen ließe. Dazu komme H.s fortgeschrittenes Alter und die Tatsache, dass sie seit längerer Zeit nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Zahra H. belebt sich bei dieser Mitteilung. Die 2.000 Euro Auflage könne ihre Schwester übernehmen, die beim Prozess dabei ist, sagt H. Am besten direkt, dann überlege sie es sich nicht anders.

Die Unklarheiten bleiben auch nach Ende des Prozesses. Warum, so fragt der Anwalt, habe laut Akte ein Mitarbeiter des Jobcenters die Wohnung von Marion M. aufgesucht, um sie wegen eines Antrags auf Erst­einrichtung in Augenschein zu nehmen und nicht Anstoß an den Verhältnissen genommen? Weniger Wochen später habe ein anderer Mitarbeiter des Jobcenters den Ort als „menschenunwürdig“ beschrieben und damit die Anzeige gegen Zahra H. ins Rollen gebracht.

In der Sozialbehörde kann man dazu keine Auskunft geben. Auch nicht zu der Frage, wie oft EmpfängerInnen von Sozialleistungen eigentlich in überteuerten oder unzumutbaren Wohnungen lebten. Klar sei lediglich, so sagt Martin Helfrich, der Sprecher der Behörde, dass das Problem existiere, oft auch für Menschen mit ungesichertem Aufenthaltsstatus. Deshalb gebe es seit vergangenem Jahr Aktionstage, bei denen verdächtigte Mietverhältnisse aufgesucht würden. Auch Marc Meyer vom Mieterverein „Mieter helfen Mietern“ hat keine genauen Zahlen zum Ausmaß des Problems. „Es sind keine Einzelfälle“, sagt er. Und dass das Problem nicht allein mit mehr Kontrolle zu lösen sei – sondern mit mehr bezahlbarem Wohnraum.