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Erstmals könnten sich 129 Staaten auf eine Mindeststeuer für Unternehmen einigen, hofft Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Um dies nicht zu gefährden, opfert er die europäische Google-Steuer. Eine guter Tausch?

Wo werden künftig Steuern fällig? Logistik­zentrum von Amazon in Italien Foto: Alberto Bernasconi/laif

Von Hannes Koch

Weltpolitik wird ­gerade im Bundesfinanzministerium gemacht. SPD-­Minister Olaf Scholz, seine Staatssekretäre und Abteilungs­leiter hegen große Hoffnungen. Sie glauben, ein internatio­nales Steuerabkommen mit 129 Staaten zustande bringen zu können. Es geht um eine Mindeststeuer für transnationale Konzerne. Kein Großunternehmen, egal ob aus den USA, China, Großbritannien oder Deutschland, soll sich davor drücken können, einen angemessenen Teil seines Gewinns an den Staat und damit an die Bürger*innen abzugeben.

Sollte das gelingen, wäre es eine Premiere. Verbindliche globale Regeln für Unternehmen schienen jahrzehntelang undenkbar. Seit der großen Finanzkrise ab 2009 verändert sich jedoch die Stimmung. Die Gruppe der zwanzig wichtigsten Wirtschaftsnationen, der Deutschland angehört, macht Druck. Die Industrieländerorganisation OECD verhandelt. „Wir wollen verhindern, dass sich große, weltweit agierende Konzerne ihrer Steuerpflicht entziehen“, sagt Scholz.

Fachleute der OECD haben ausgerechnet, um welche Beträge es geht. Sie kamen auf gut 200 Milliar­den Euro pro Jahr, die Konzerne den Staatskassen vorenthalten, indem sie ihre Gewinne klein rechnen, verstecken oder dort horten, wo die Steuern sehr niedrig sind. Dutzende Milliarden fehlen deshalb auch hierzulande, um Schulen zu bauen, Lehrer*innen zu bezahlen und die öffentliche Infrastruktur in Ordnung zu halten.

Selbst harte Kritiker der herrschenden Finanzpolitik meinen jetzt: Da geht was. „Es ist ein großer Durchbruch, dass die internationalen Steuerregeln nun offen diskutiert werden“, sagt Alex Cobham vom Netzwerk für Steuergerechtigkeit. Klingt gut. Und ist doch seltsam. Denn Scholz’ Vorhaben hat einen doppelten Boden. Um das internationale Abkommen zu erreichen, verzichtet er auf die neue Umsatzsteuer für Digitalkonzerne wie Amazon, Apple, Facebook oder Google in Europa. Die will die EU-Kommission einführen. Auch Frankreich und Österreich plädieren dafür. Doch der deutsche Finanzminister hat sich quergestellt. Nun lautet die Frage: Ist das eine schlaue Strategie – internationale Mindeststeuer statt europäischer Google-Steuer? Warum macht Scholz das?

Lisa Paus, die finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, ist argwöhnisch: „Eine internationale Mindestbesteuerung ist nur ein Puzzleteil für ein faires Steuersystem im digitalen Zeitalter. Ziel muss es sein, dass Konzerne wie Amazon genauso ihren fairen Beitrag leisten wie der Buchladen an der Ecke.“

Eines der größten Steuerpro­bleme ist heute dies: Gerade die Digitalkonzerne zahlen kaum Abgaben auf ihre horrenden Gewinne. Nach Angaben der EU-Kommission entrichten sie durchschnittlich 9,5 Prozent Unternehmensteuern, während konventionelle Firmen in Europa 23,2 Prozent an die Allgemeinheit abtreten. Wenn Facebook, Google & Co. überhaupt Steuern zahlen, tun sie das im Wesentlichen zu Hause, in den USA.

Deswegen hat die EU-Kommission vor einem Jahr vorgeschlagen, eine zusätzliche Abgabe unter anderem auf Umsätze durch Internetwerbung zu erheben, die für Europa geschaltet wird. Die Logik dahinter: Google beispielsweise soll seine Gewinne und Umsätze nicht nur am Sitz des Unternehmens und am Ort seiner digitalen Produktion versteuern, sondern auch dort, wo die Einnahmen erwirtschaftet werden, also im jeweiligen Markt. Die EU-Kommission fordert eine gewisse geografische Verlagerung der Besteuerung und beansprucht damit einen zusätzlichen Teil der Google-Gewinne für Europa.

Finanzminister Scholz lehnt diesen Plan der Abgabenverschiebung vom Sitz- zum Marktland jedoch ab. Er und seine Fachleute fürchten, dass sich das Vorhaben zum Bumerang für die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft entwickeln könnte. Denn bei vielen großen deutschen Unternehmen ist es ähnlich wie bei Google und Face­book. Die Autokonzerne Daimler und BMW oder Chemiefirmen Bayer und BASF verkaufen rund um die Welt, versteuern ihre Einnahmen aber zum guten Teil am Konzernsitz in Deutschland.

Kämen China oder die USA nun auf die Idee, daran ebenfalls stärker partizipieren zu wollen, könnten den bundesdeutschen Finanzämtern Milliarden Euro verloren gehen. Und gerade angesichts des aktuellen Handelsstreits zwischen den USA und Europa findet das Bundesfinanzministerium die Ansage einer neuen Digitalsteuer für US-Konzerne gefährlich. Die Rache könnte auf dem Fuße folgen.

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Sollte diese Steuer kommen, wäre das eine Premiere. Verbindliche globale Regeln für Unternehmen schienen jahrzehntelang undenkbar

Die bessere Alternative sei deshalb die Mindeststeuer, glaubt man an der Spitze des Finanzministeriums. Alle 129 Staaten, die bei den OECD-Verhandlungen mitmischen, würden sich dabei auf eine Untergrenze für die Gewinnbesteuerung einigen, beispielsweise 10 Prozent. Sollte ein in Deutschland ansässiger Konzern für seine im Ausland erwirtschafteten Gewinne dort weniger als die Mindeststeuer entrichten, dürften hiesige Finanzämter einen Aufschlag bis zur Untergrenze verlangen. Alle Unternehmen würden dann wenigstens die Minimalabgabe leisten: immerhin etwas – und mehr als heute.

Scholz findet das gut, weil damit das Sitzlandprinzip erhalten bliebe. Gewinne würden weiterhin dort belastet, wo die Unternehmen ihre Zentralen haben, nicht dort, wo die Märkte sind. Zweitens lässt die Untergrenze Spielraum für Steuerwettbewerb zwischen Staaten, den marktfreundliche Finanzpolitiker für wünschenswert halten, um die Regierungen fiskalisch zu disziplinieren. Und – ganz wichtig: Die USA haben unter Donald Trump eine Mindeststeuer für Unternehmen bereits eingeführt. Bei 13,1 Prozent liegt dort nun die Untergrenze. Deshalb wäre die größte Wirtschaftsnation der Welt mit an Bord, hofft der Bundesfinanzminister.

Bei der OECD in Paris ist die Gewichtung allerdings eine andere. „Derzeit sind für bestimmte Aspek­te der Besteuerung Elemente beider Modelle im Verhandlungsprozess, sowohl die Anknüpfung an den Sitzstaat als auch an den Marktstaat“, erklärt OECD-Steuerexperte Achim Pross. Eventuell kommt im Herbst 2020, wenn die Verhandlungen beendet sein sollen, eine Kombination aus beidem heraus. Dann mag es auch sein, dass die Steuerzahlung von Unternehmen weltweit wieder etwas zunimmt.

Sollte sich aber Deutschland zusammen mit anderen Staaten durchsetzen, könnte der Trend zu sinkenden Firmenabgaben weitergehen. Zwar dürfte die Mindeststeuer einige Einnahmen ein­bringen, doch andererseits erspart man den Firmen die zusätzliche Digitalsteuer. Parallel dazu senken Länder wie die USA und Großbritannien ihre Steuersätze für Unter­nehmensgewinne. Wirtschaftspolitiker von CDU und CSU fordern hierzulande Ähnliches. Die Mindeststeuer bremst diese Talfahrt nicht. So dürfen die großen deutschen Exportunternehmen optimistisch in die Zukunft schauen. Und auch US-Digitalkonzerne können sich freuen.

Was bei den komplizierten internationalen Verhandlungen he­rauskommt, steht jedoch in den Sternen – auch ob sie überhaupt funktionieren. Frankreich und Österreich wollen die Digitalsteuer deshalb allein einführen. „Minister Scholz hat Partner wie Frankreich regelrecht vor den Kopf gestoßen“, kritisiert Finanzpolitikerin Paus, „wir können nicht einfach weiter tatenlos zusehen, wie interna­tionale Konzerne Staaten gegeneinander ausspielen.“