Wo die wilden Kerle wohnen

WAGNER-PREMIERE Auch eine Art Heldentat: Wie „Siegfried“ den Hamburger „Ring des Nibelungen“ rettet

Siegfried ist kein germanischer Held, sondern ein adipöser Rabauke

Ein bisschen ungelenk wirkt es, wie sich Simone Young und Claus Guth am Ende umarmen. Flüchtig, zwischen zwei Verbeugungen in Richtung Publikum, das seit zehn Minuten euphorisch applaudiert. Es ist eine Umarmung, die laut Protokoll höchstens ein Händedruck werden sollte, wenn überhaupt. Aber wer konnte schon ahnen, dass die Premiere des „Siegfried“ in der Inszenierung von Claus Guth mit der Hamburger Opernintendantin Simone Young am Pult ein solcher Erfolg werden würde? Geschweige denn, überhaupt ein Erfolg – nach den eher suboptimalen Produktionen „Rheingold“ und „Walküre“, den beiden ersten Teilen von Wagners „Ring des Nibelungen“.

Aber: Es wurde einer. Guth erzählt die Geschichte von Siegfried, der kein germanischer Held ist, sondern ein adipöser Rabauke. Seine Eltern: das Geschwisterpaar Siegmund und Sieglinde, das in der „Walküre“ zueinander fand – das in Szene zu setzen, war Guth im Oktober vor einem Jahr weit weniger griffig gelungen. Siegfried (glänzend: Christian Franz) wächst verwahrlost auf, er- und verzogen von einem tablettensüchtigen Schmied namens Mime (noch glänzender: Peter Galliard). Seine Kinderstube: eine leer stehende Industriegarage – in der Zivilisation, aber unkultiviert. Sein Auftrag: die Welt retten.

Siegfried muss das Schwert reparieren, das seinem Vater im zweiten „Walküre“-Akt zerbrochen hatte, er muss den Drachen Fafner töten, der seit dem „Rheingold“ den Ring, um den sich alles dreht, bewacht. Und: Er muss Brünnhilde (Catherine Foster), die schlafende Lieblingstochter von Götterboss Wotan (Falk Struckmann), wecken und für sich gewinnen – was sich schwieriger gestaltet, als es anfangs scheint. Noch schwieriger ist nur, es auch – nach gut vier Stunden Vorgeschichte – gut zu singen und spannend zu inszenieren.

Beides ist an diesem Abend gelungen. Weil Guths Siegfried nicht nur deshalb ein Rabauke ist, weil es so im Textbuch steht, sondern weil er’s nicht besser weiß. Weil sein Drachen nicht Feuer, sondern Gift und Galle speit – eingepfercht in ein Terrarium. Und weil die Philharmoniker im Graben so spannungsgeladen musizieren, dass das noch nicht alles gewesen sein kann. War es auch nicht: Die „Götterdämmerung“, der letzte Teil von Wagners „Ring“, folgt im Herbst 2010. FLORIAN ZINNECKER

Weitere Vorstellungen: 22. Oktober, 1., 5., 8., 15. November, 17 Uhr