Neuer Schritt zur Eskalation in Venezuela

Die regierungstreue Verfassunggebende Versammlung entzieht Juan Guaidó die Immunität

Von Jürgen Vogt Buenos Aires

Venezuelas selbsternannter Interimspräsident Juan Guaidó ist nicht mehr immun. Am Dienstag hob die Verfassunggebende Versammlung seine politische Immunität als Abgeordneter und Präsident der Nationalversammlung auf. Die von der chavistischen Regierung dominierte Verfassunggebende Versammlung folgte damit einem Antrag des Obersten Gerichtshofs, der tags zuvor die Aufhebung gefordert hatte. Die Obersten Richter wollen, dass sich Guaidó wegen seiner Auslandsreisen verantworten soll, die er trotz seines Ausreiseverbotes unternommen hatte.

Guaidó erklärte, er werde sich nicht einschüchtern lassen. „Als ich in der Studentenbewegung diesen Kampf begann, hatte ich keine parlamentarische Immunität, und wir haben uns immer wieder gegen die Diktatur gestellt“, sagte er. Da er Interimspräsident sei, käme seine Verhaftung einem Staatsstreich gleich: „Sollte das Regime es wagen, mich zu verhaften, wäre das ein Anschlag auf das Land.“ Verfassungsrechtlich ist der Vorgang tatsächlich fragwürdig, da nur die Nationalversammlung die Immunität ihrer Mitglieder aufheben kann.

Doch der Vorgang reiht sich ein in die gegenseitige Nichtanerkennung von Parlament und Regierung. Beobachter vermuten, dass die Regierung ein Szenario aufbaut, innerhalb dessen sie Guaidó jederzeit festsetzen und dies vor allem vor der internationalen Öffentlichkeit begründen kann.

Denn die Bevölkerung nimmt solche politisch-juristischen Scharmützel kaum noch wahr. Den VenezolanerInnen machen vielmehr die anhaltenden Stromausfälle weiter schwer zu schaffen. Noch schwerer zu ertragen ist der Wassermangel durch den Ausfall der elektrisch betriebenen Pumpen. Die Bilder von Menschen, die mit Kanistern zu den umliegenden Berghängen ziehen, um aus den herabfließenden Bächlein Trinkwasser aufzufangen, gehören in der Hauptstadt Caracas zum Alltag.

Am Dienstag durchbrachen VenezolanerInnen die Absperrungen auf der Brücke Simón Bolívar, die das kolumbianische Cúcuta mit dem venezolanischen San Antonio del Táchira verbindet – allerdings offenbar nicht, wie manche Agenturen berichteten, um nach Kolumbien zu gelangen, sondern auf dem Rückweg nach Venezuela. Zuvor waren sie nach Cúcuta gegangen, um Lebensmittel einzukaufen. Zwar sind die Grenzbrücken zwischen Venezuela und Kolumbien gesperrt, aber jenseits der offiziellen Übergänge herrscht auf den Furten durch den Fluss Táchira eine reges Kommen und Gehen, das von den Grenzposten geduldet wird. Auf dem Rückweg der Menschen waren die Schleichwege durch den angestiegenen Flusspegel unpassierbar geworden.