FRIEDLICHE RÄUMUNG
: Pizzaschachtelpärchen

Ich finde es rührend, wie unbeholfen diese jungen Menschen sind

„Halbe Stunde“, sagt der Kellner. Für das Casolare, den größten Pizza-Durchlauferhitzer Berlins, ist das nicht schlecht.

Ich schlendere in meiner halbstündigen Freizeit zur Admiralbrücke. Es ist nicht mehr so viel los wie noch vor zwei, drei Jahren. Es sind nicht mehr sechs 60-jährige Frauen unterwegs, um das Flaschenleergut einzusammeln, sondern nur noch ein 65-jähriger Mann. Der geht an einer Krücke. Er humpelt herum und zeigt mit der freien Hand auf die Flaschen, die er sich dann reichen lässt. So geht’s natürlich auch. Ein junges Pärchen sieht sich nach einer Sitzgelegenheit um. Er hat zwei Pizzapappschachteln in den Händen. Sie versuchen, zusammen auf einem Verkehrspoller Platz zu nehmen, das geht schief. Dann doch auf dem Pflaster. Ich finde es rührend, wie unbeholfen diese jungen Menschen sind. Sie kratzt den Schinken von ihrer Pizza und legt ihn für ihren Freund beiseite. Er stopft sich den Schinken in den Mund. Ich glaube, „die gegenseitige Hilfe im Tierreich“, die Kropotkin beschrieben hat, gibt es auch zwischen den beiden. Um Punkt zehn kommen ein Polizist mit Polizistenjacke und eine Polizistin nur mit Hemd, also schon auch mit Hose, aber eben ohne Jacke. Sie gehen herum und sagen, dass die Admiralbrücke wegen Ruhestörung jetzt geschlossen ist. Das junge Pizzapappschachtelpärchen sagt, dass es nur schnell seine Pizza aufessen will. Nach 15 Minuten ist die Brücke geräumt.

Früher wär das nicht passiert, sagt eine Stimme in mir, die gewissen alten Traditionen nachtrauert und findet, dass es damals ein bisschen aufregender war, als die Polizisten das noch mit Knüppeln regelten und so Krawalle anzettelten, auf die man selber gar nicht gekommen wäre. Ich sage der inneren Stimme, sie soll die Klappe halten, denn die halbe Stunde ist um. Ich nehme meine Pizzapappschachtel in Empfang und gehe nach Hause. KLAUS BITTERMANN