FDP-Politiker über Volksbegehren: „Erschreckende Staatsgläubigkeit“

Das Volksbegehren zur Enteignung der Deutsche Wohnen hält der FDP-Fraktionsvize Michael Theurer für falsch. Er fordert, den Artikel 15 des Grundgesetzes zu streichen.

Glatzköpfiger Mann vor gelbem Hintergrund hebt die Hand

„Staatsdirigistische Tendenzen bremsen die Wachstumsdynamik“, meint Michael Theurer Foto: dpa

taz: Herr Theurer, aufgrund des Berliner Volksbegehrens für eine Enteignung der Deutsche Wohnen bringen Sie auf dem FDP-Bundesparteitag einen Antrag ein, der die Streichung des Artikels 15 Grundgesetz fordert. Der ermöglicht bislang solche Enteignungen. Warum wollen Sie ihn nicht mehr?

Michael Theurer: Der Artikel 15 ist noch nie angewandt worden. Daher haben wir vor einigen Jahren diskutiert, ob man ihn noch braucht. Jetzt gibt es nicht nur in Berlin Enteignungsinitiativen, die in die völlig falsche Richtung laufen – durch die Verstaatlichung einer Wohnung entsteht keine einzige neue Wohnung. Wir wollen deshalb den Artikel 15 streichen, um solchen Enteignungsinitiativen die Grundlage zu entziehen.

Sie haben Linken, Grünen und SPD im Focus vorgeworfen, den „Sozialismus nicht ausschließen zu wollen“. Laut einer Civey-Umfrage befürworten 54,8 Prozent der Berliner eine Enteignung von großen Wohnungskonzernen. Sind diese Berliner Ihrer Ansicht nach alle Sozialisten geworden?

In Deutschland gibt es ein erschreckend hohes Maß an Staatsgläubigkeit. Das ist gefährlich, weil staatsdirigistische Tendenzen die Wachstumsdynamik bremsen. Damit verspielt Deutschland seine Zukunftsfähigkeit.

Wenn Sie sich in Berlin umhören, stehen selbst höhere Beamte hinter der Enteignungsinitiative. Die meisten sind für die soziale Marktwirtschaft, finden aber, dass sich die Immobilienunternehmen nicht sozial verhalten – und Enteignung die Konsequenz davon wäre.

52, ist Vizefraktionschef der FDP im Bundestag und FDP-Vorsitzender in Baden-Württemberg.

Es gibt eine berechtigte Kritik hinsichtlich des Mangels an bezahlbarem Wohnraum. Berlin wird verspätet von einer Entwicklung erfasst, die in anderen deutschen und europäischen Metropolen bereits stattgefunden hat. Die Mietpreise sind in Berlin im Vergleich zu Stuttgart und München eher niedrig. Die entscheidende Frage ist aber: Wie will man durch Verstaatlichung den Mangel bekämpfen? In einer Marktwirtschaft deuten steigende Preise auf eine Knappheit hin – und locken Investoren an, um das Angebot zu erhöhen. Das ist der einzige Weg, mit dem Wohnraummangel bekämpft werden kann.

Der Aufreger Kein anderes Thema der Mietenpolitik hat die bundesweite Öffentlichkeit so elektrisiert wie das Berliner Volksbegehren zur Enteignung der Deutsche Wohnen und anderer großer Wohnunternehmen. Die 20.000 Unterschriften für die erste Stufe kamen nach Angaben der Initiatoren schon in der ersten Woche nach dem Start am 6. April zusammen.

Die Reaktionen Die Parteienlandschaft ist polarisiert: Während die Linkspartei sowie Teile von Grünen und SPD in Berlin das Volksbegehren unterstützen, sprach sich SPD-Chefin Andrea Nahles dagegen aus. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer schrieb im Focus, Deutschland drohe „in die erste der drei Sozialismusphasen einzutreten“ – „die massive Umverteilung bestehenden Wohlstands, begleitet von einer kurzen Euphorie in Teilen der Bevölkerung“. Phase 2 und 3 ließen sich in Venezuela begutachten. Dann gehe „final alles den Bach runter, begleitet von unvorstellbarem Leid“.

Das ist das Argument „bauen, bauen, bauen“. In einer Stadt wie London mit einem liberalisierten Wohnungsmarkt sind die Wohnungspreise am höchsten, auch weil in den letzten 20 Jahren 1,7 Millionen Menschen zugezogen sind. Währenddessen sind die Mieten in Wien mit einem staatlich regulierten Wohnungsmarkt und weniger Zuzügen relativ niedrig. Zeigt das nicht, dass „bauen, bauen, bauen“ bei einem liberalen Wohnungsmarkt allein nicht hilft?

Zunächst einmal zeigt das Beispiel Wien, dass alle, die eine Wohnung haben, im Vorteil sind, weil ihre Mieten niedrig bleiben. Komme ich als neuer Wiener aber auch an eine solche Wohnung? Da gibt es grenzwertige Erlebnisse, weil die Vergabe der Wohnungen Gegenstand staatlicher Entscheidungen ist. Außerdem ist die Frage, ob bei niedrigen Mieten genügend Kapital zur Verfügung steht, um den Neubaubedarf zu finanzieren.

Und London?

Die dynamische Entwicklung des Immobilienmarkts hat dort einen Beitrag dazu geleistet, dass kräftig gebaut wurde. Ohne diese Neubauten wäre der Neubaumangel exorbitant hoch. Die Anhänger der Verstaatlichung sind bisher den Beweis schuldig geblieben, dass in einer Situation massiven Zuzugs genügend Wohnungen zur Verfügung stehen. In planwirtschaftlichen Systemen gab es häufig eine Rationierung von Wohnraum – in der DDR etwa war der Zuzug nach Berlin beschränkt.

Nach einem neuen Bericht der Bundesbank ist das Vermögen der Immobilienbesitzer in Deutschland von 2014 bis 2017 im Schnitt um rund 37.000 auf 277.000 Euro gestiegen. Mieterhaushalte haben dagegen nur 10.400 Euro Vermögen. Vertritt die FDP die Interessen der Immobilienbesitzer, die Angst vor Enteignung haben, auch wenn sie von der Berliner Initiative gar nicht betroffen wären?

Diese Überlegungen stehen bei der FDP nicht im Vordergrund. Wir sehen in marktwirtschaftlichen Instrumenten das effizienteste System zur Bedarfsdeckung. Die Frage der Vermögensbildung breiter Schichten ist aber in Deutschland unterbelichtet. Die Bundesbank weist auch darauf hin, dass die Wohneigentumsquote in Deutschland im europäischen Durchschnitt, etwa im Vergleich zu Frankreich und Italien, weit hinterherhinkt. Deshalb setzt die FDP auf die Bildung von Wohneigentum. Menschen, die in den eigenen vier Wänden wohnen, sind vor Mieterhöhungen geschützt.

Wo soll die Zweidrittelmehrheit im Bundestag für die Streichung von Artikel 15 herkommen?

Wir kämpfen bei dem Thema für unsere Grundüberzeugungen. Grüne und SPD können zeigen, dass sie sich nicht nur in Sonntagsreden zur sozialen Marktwirtschaft bekennen.

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