Chemnitzer FC und sein Neonazi-Problem: Tatort Südtribüne

Der Chemnitzer FC hat den Aufstieg geschafft. Doch der Verein ist eher für sein Problem mit Rechten bekannt. Doch jetzt tut sich ewas. Wird das reichen?

Bengalos werden auf einer Tribüne gezündet - hinter einem Transpi mit Frakturschrift

Eindeutig: So demonstrierte die Südtribüne im März ihre Trauer für einen toten Neonazi Foto: imago-images/Harry Haertel

CHEMNITZ taz | Deutlicher hätte man die unerwünschten Gäste vorab nicht ausladen können. Gekommen sind sie trotzdem. Keine Neonazis, bitte! Darauf haben die Veranstalter in Chemnitz im Internet hingewiesen. Robert Claus, der eingeladene Rechtsextremismus- und Hooliganexperte, hat die Botschaft über die sozialen Netzwerke gestreut. Vor Ort selbst, im Wirkbau, einem ehemaligen Industriegebäude der Textilindustrie, ist direkt neben dem Eingang des hohen Raums ein Warnzettel angebracht. Man werde vom Hausrecht Gebrauch machen, steht dort geschrieben.

Die Umsetzung erfolgt prompt. Die Verwiesenen fügen sich ohne große Diskussionen. Den Chemnitzer Veranstaltern sind sie bekannt, aber auch so fallen die in der Mehrzahl stämmigen Typen auf, was auch am eher studentisch geprägten Publikum liegen mag. An diesem frühen Abend unter der Woche liest Claus aus seinem Buch „Hooligans – Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik“ vor. In der anschließenden Podiumsdiskussion soll es auch konkret um den Chemnitzer FC gehen.

Den neun fortgeschickten Gästen stehen an diesem Abend weit über einhundert Menschen entgegen, die sich ein anderes Chemnitz und einen anderen Chemnitzer FC wünschen. Dort auf der Südtribüne, davon zeugen die Schilderungen eines Zuschauers bei der Diskussion, sind die Verhältnisse allerdings umgekehrt. Einige Male, berichtet er, habe er sich bei antisemitischen und rassistischen Beschimpfungen offen dagegen positioniert. Die Folge: „Das bedeutet, dass man umringt wird von Hooligans oder von irgendwelchen Vollidioten, die einem dann zeigen, entweder du hältst deinen Mund, oder du bist halt raus aus dem Stadion.“ Man bekomme den Eindruck, ein Großteil der Fans auf der Südtribüne seien Neonazis. Zwangsläufig sei er zurückhaltender geworden. „Ich will meine körperliche Unversehrtheit nicht aufs Spiel setzen.“

Das Stadion an der Gellertstraße liegt im Stadtteil Sonnenberg, einem Problemviertel, unter Chemnitzern auch „Assiviertel“ genannt. Und wenn „die Himmelblauen“, wie die Spieler des Chemnitzer FC genannt werden, in dieser 2016 eingeweihten Arena auflaufen, dann drängt sich die Mehrheit der Zuschauer im ansonsten eher leeren Stadion auf der Südtribüne. Neonazis, Familien und Studenten feuern von hier aus gemeinsam ihren Klub an.

Der 9. März: Huldigungen für einen Neonazi im Stadion

Und sie streckten fast alle ihre Schals in die Höhe, als am 9. März unter maßgeblicher Mitwirkung der Vereinsverantwortlichen dem verstorbenen Thomas Haller gehuldigt wurde. Dem Mann, der in den 90er Jahren die Hoonara (Hools Nazis und Rassisten) mitbegründete und dessen Name sich in den Telefonbüchern von NSU-Unterstützern fand. Beim Chemnitzer FC schaute er lange mit seiner Sicherheitsfirma nach dem Rechten.

Ein Fan, der lieber anonym bleiben möchte

„Entweder du hältst deinenMund, oder du bist halt raus aus dem Stadion“

Zweifellos kann die Zeremonie im Stadion als eine große Machtdemonstration der rechten Szene in Chemnitz gelten, ebenso wie die da­rauf folgende Begräbnisfeier von Thomas Haller selbst, zu der an einem Montag 1.000 Hooligans und Neonazis aus ganz Deutschland nach Chemnitz anreisten.

Zu den neun unerwünschten Gästen bei der Lesung von Robert Claus zählt neben dem Sohn von Thomas Haller auch Yves Rahmel, der ehemalige Betreiber des rechtsextremen Labels PC Records, das den „Döner-Killer-Song“ über die rassistisch motivierte Mordserie des NSU produzierte. Im Jahre 2010 war das, als der neonazistische Hintergrund der Gruppe noch gar nicht bekannt war.

Vogelperspektive auf das Fußballstadion in Chemnitz

Himmelblau wie die Vereinsfarben: Das Stadion des Chemnitzer FC ist auch Bühne der Rechten Foto: imago-image/Uwe Meinhold

Träume von einem antifaschistischen Fanclub

An diesem gesellschaftspolitischen Fußballdiskussionsabend gibt es auf die Frage, ob auch Fans des Chemnitzer FC anwesend sind, nur diesen einen, der sich zu Wort meldet. Auch wenn der Regionalligist zeitgleich mit der Veranstaltung ein nahe gelegenes Auswärtsspiel bestreitet, scheint dieser Umstand zu bestätigen, was Robert Claus in seinem Vortrag zuvor erklärt hat: Hooligans und Rechtsextremisten halten sich in nahezu jedem Fußballstadion auf, das Besondere beim Chemnitzer FC sei, dass es an einem Gegengewicht fehle.

Auch deshalb will der Stadiongänger sich nach der Veranstaltung gegenüber der taz nur anonym äußern. Von einem antifaschistischen Fanklub beim Chemnitzer FC träumt er schon länger. „Aber meine Freunde, die sich für Politik interessieren, haben keine Lust auf Fußball, und meine Fußballfreunde, mit denen ich ins Stadion gehe, keine Lust auf Politik. Eine Frau von der christlichen Fanvereinigung „Totale Offensive“ kommt an diesem Abend noch auf ihn zu und stellt schüchtern die Idee in den Raum, man könnte sich vielleicht zusammentun.

Ihre Gruppierung zählt ganze 15 Mitglieder. Als Gegenspieler zu den verbotenen Fangruppierungen NS Boys und Kaotic Chemnitz, deren Mitglieder nach wie vor auf der Südtribüne präsent sind, kann man sich die Chemnitzer Christen eher nicht vorstellen. Ende August waren es nach der tödlichen Messerattacke auf Daniel H. im Übrigen die Kaotic Chemnitz, die mit einem Facebook-Aufruf einen großen Teil zur Mobilisierung der Demonstranten beitrugen, von denen einige bald darauf Ausländer durch die Stadt jagten.

Die Vertreterin der „Totalen Offensive“ will ebenfalls anonym bleiben. Immer noch ein wenig fassungslos berichtet sie, wie bei der Stadionzeremonie für die rechte Hooligangröße Thomas Haller, der über einige Jahre auch für den Sicherheitsdienst im Stadion verantwortlich war, „unser Fahnenträger“ minutenlang mit der Flagge vor der Südkurve kniete. Einem CFC-Fan habe sie gesagt, sie knie nur vor Jesus, worauf dieser entgegnet habe: „Für viele hier war Thomas Haller der Jesus.“

Möglicherweise liegt in der Erschütterung, die die Haller-Heiligsprechung im Stadion auslöste, aber auch eine Chance. Diese Zuspitzung hat einige Anhänger hautnah erfahren lassen, dass sich Fußball und Politik eben doch nicht so einfach trennen lassen. Die Ignoranten und Unwissenden auf der Südtribüne wurden plötzlich zu Bestandteilen einer rechtsextremen Kulisse.

Erst jetzt hält der Verein dagegen

Der Verein, der derzeit von Insolvenzverwalter Klaus Siemon geführt wird, versucht mittlerweile, mit markanten Maßnahmen gegenzusteuern. Neben der Entlassung mehrerer Vereinsmitarbeiter kündigte man auch den Vertrag mit dem alten Sicherheitsdienst. Eine offizielle Begründung gab es nicht. Jüngst erklärte Siemon jedoch, private Sicherheitsdienste seien das Einfallstor für rechte Ideologien. Nach Informationen verschiedener Quellen waren über Subunternehmen bis zuletzt Angestellte von Haller im Stadion zugange.

Der CFC-Fan von der Buchlesung erzählt, unter dem neuen Sicherheitsdienst sei er erstmals mit seinem T-Shirt mit dem Aufdruck „ Antifascist – for a reason“ auf die Tribüne gekommen. Das wäre vorher nicht möglich gewesen. Er begrüßt das harte Durchgreifen, das Sportchef Thomas Sobotzik jüngst angekündigt hat. Ein neues Sicherheitskonzept wolle man bald vorstellen. Er sagte: „Wir müssen raus aus der Anonymität des Stadions und in der Lage sein, gewisse Personen zu identifizieren und aus dem Stadion dauerhaft zu entfernen.“

Bei den Nachwuchskräften der Fanszene gebe es zu den Haller-Ehrungen im Stadion sehr unterschiedliche Meinungen, erklärt Fanprojektleiterin Franziska Junker. „Manche sagen, das geht aber überhaupt nicht, andere verteidigen die Aktionen. Es gibt einen Austausch auf Augenhöhe. Diese Diskussion beschäftigt die Fans aber nicht allein, weil sie von einem anderen Thema überlagert wird.“ Die Entwicklung des Vereins unter dem Insolvenzverwalter Klaus Siemon mache ihr Sorgen.

In der Fanszene ist der kompromisslose Jurist aus Düsseldorf verhasst, weil er bei der Konsolidierung des Vereins bisher wenig Rücksicht auf Befindlichkeiten seines Umfelds genommen hat. Im Stadion häufen sich die Missmutsbekundungen gegen ihn, obwohl es sportlich bestens läuft. Am Freitag sicherte sich das Team vorzeitig den Aufstieg in die Dritte Liga.

Der von vielen gehegte Groll gegen Siemon könnte den Rechtsextremen im Stadion in die Hände spielen und ihre Position stärken. Es wird unter der Anhängerschaft gemutmaßt, Siemon wolle bei der Aufarbeitung der Haller-Gedenkzeremonie sehr großzügig Stadionverbote erlassen, um für klare Verhältnisse zu sorgen.

Das Fanprojekt: Vom Bohren dicker Bretter

Die Fanprojektmitarbeiter sind sich einig, dass man das härtesten Sanktionsmittel nur anhand strengster Kriterien einsetzen sollte, weil ansonsten die Eskalationsgefahr steigen und die Pro­bleme nur an andere Orte in der Stadt verlagert würden. „Ich bin optimistisch, dass die Entscheidungsträger im Verein sich ihrer Verantwortung bewusst sind und entsprechend handeln“, sagt Kay Herrmann in der Diplomatensprache für Fortgeschrittene. Bei der Gründung des Fanprojekts in Chemnitz 2007 war Herrmann bereits dabei, inzwischen ist er beim Träger, der Arbeiterwohlfahrt, zum Fachbereichsleiter aufgestiegen.

Er und seine zwei Mitarbeiterinnen sind in einer misslichen Situation. Während in Chemnitz und beim Chemnitzer FC die großen Fragen rund um Zivilcourage, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit verhandelt werden, ist ihr Arbeitsauftrag ein sehr kleinteiliger. Jugendliche sollen vor dem Abgleiten in extremistische Subkulturen durch „sinngebende Identitätsstiftung“ bewahrt werden, wie es Herrmann formuliert.

Sie arbeiten in Grauzonen. Deren Ausleuchtung könnte ihre Bemühungen sofort zunichtemachen. Über Konkretes spricht man mit Medienvertretern deshalb höchst ungern. Über Chris Jung­hänel etwa, ein aktives Mitglied der NS-Boys, der auf einem Foto des Fanprojekt-Fußballturniers vor einigen Jahren zu sehen ist. Die allgemeine schwer zu fassende Grenzregelung lautet: keine Kooperation mit Personen, die in neonazistischen Strukturen verankert sind. Andererseits sieht man bei den Fanprojekten offensichtlich angesichts der großen Aufmerksamkeit für die Probleme beim Chemnitzer FC die Notwendigkeit, für das eigene Engagement zu werben.

Matthias Stein, Leiter des Fanprojekts in Jena

„Es ist gut möglich, dass man in Chemnitz an einem anderen Punkt wäre, hätte man ein paar Jahre vorher mit dem Fanprojekt begonnen“

Bescheidene Erwartungen

Für bescheidenere Erwartungen plädiert Kay Herrmann letztlich, wenn er sagt: „Wir versuchen, Erfolg differenziert zu messen.“ Man müsse sich auch Zwischenziele setzen. Wenn in der Chemnitzer Fankurve rechtsextreme Aktionen von „Fußball, Fußball“-Rufen übertönt würden, sei das ein Erfolg. Dass es in den letzten Jahren weniger Polizeieinsätze bei den Spielen gegeben hätte, sei ein Erfolg. Zudem habe man unter den Jugendlichen die Bereitschaft zur politischen Partizipation gestärkt, indem man sie bei der deutschlandweiten Auseinandersetzung um die Legalisierung von Pyrotechnik begleitet hat.

Trotz aller Vorbehalte, erzählen Herrmann und Junker, hätten sie sich mit der Polizei an einen Tisch gesetzt und damit die Bedingungen für ein Pilotprojekt in Chemnitz geschaffen – bis dann plötzlich die Spitze des Deutschen Fußball-Bundes die Gespräche wieder einstellte.

„Wir stehen in einem Spannungsfeld zwischen Landespolitik, Kommunalpolitik, dem Verein und dem DFB“ sagt Herrmann. Lax könnte man das auch so übersetzen: In Chemnitz wird einem die Arbeit nicht gerade leicht gemacht. Der Mangel an Problembewusstsein im Bundesland Sachsen, in der Stadt Chemnitz und beim örtlichen Fußballverein, welche Gefahren von der starken rechtsextremistischen Szene in der Stadt ausgehen, hat die aktuelle Situation verschärft. Erst 2007 nahm das Fanprojekt seine Arbeit auf, weil die Landesregierung – auch unter Verantwortung des späteren Innenministers Thomas de Maizière – und die Stadt die Unkosten scheute.

Erst jetzt ist der Verein auf der Suche nach einem Fanbetreuer als Vollzeitkraft. Erst jetzt hat man – auch wegen der Insolvenzturbulenzen – für das Fanprojekt wieder einen Ansprechpartner im Verein benannt – es sind die Verantwortlichen der Marketingabteilung. Zu befürchten ist nach wie vor, dass man in der Tradition der vergangenen Jahre das Rechtsextremismusproblem in der Fanszene in erster Linie als Imageproblem begreift.

Carl Zeiss Jena zeigt, wie es auch gehen könnte

Dabei könnte man in Chemnitz vom gut 100 Kilometer entfernten Jena lernen, wie gut verschiedene Kräfte gewinnbringend zusammenarbeiten können. „Mit Unterstützung der Landesregierung in Thüringen und engagierten Stadtpolitikern ist das Fanprojekt bereits 1991 gegründet worden“, erzählt Matthias Stein, der als Projektleiter arbeitet. Der Verein habe sich von Anfang an klar positioniert. In der Stadionzeitung seien schon früh Banner „Gegen Rassismus“ gedruckt worden. „Der Verein“, sagt Stein, „ist ein guter, konstruktiver Partner. Das hat Einfluss auf die Fanszene.“ Carl Zeiss Jena habe als einer der ersten Klubs in Deutschland einen Antirassismusparagrafen in die Vereinssatzung aufgenommen.

Das Problembewusstsein gegenüber der rechtsextremistischen Szene sei auch in Jena lange keine Selbstverständlichkeit gewesen. Pfarrer Lothar König, einer der großen Vorkämpfer gegen rechts in der Stadt, habe lange als Nestbeschmutzer gegolten.

Neonazis gibt es auch im Stadion von Jena, räumt Stein ein. „Sobald sie aber ihre Gesinnung sichtbar oder hörbar machen, gibt es eine starke Gegenreaktion. Rechtsradikale Parolen werden in der Kurve nicht geduldet.“

Den Fanprojektmitarbeitern in Chemnitz bescheinigt Matthias Stein „gute Arbeit“. Er sagt: „Es ist gut möglich, dass man in Chemnitz an einem anderen Punkt wäre, hätte man ein paar Jahre vorher mit dem Fanprojekt begonnen.“

Die Arbeitsbedingungen bleiben jedoch vorerst deutlich schwieriger. Nach dem vorletzten Heimspiel kam es in Chemnitz erneut zu einer Eskalation. Syrische Angestellte des neuen Sicherheitsdienstes wurden in Stadionnähe aus der Fankneipe „Pub à la Pub“ heraus von rechten CFC-Fans angegriffen. Einer von ihnen musste seine Verletzungen im Krankenhaus behandeln lassen. Carsten Klauer, der Chef der Sicherheitsfirma, sagte der Bild-Zeitung: WWir haben in vielen Einsatzjahren in vielen verschiedenen Stadien so etwas noch nie erlebt.“ Szenekundige Menschen in Chemnitz wissen: Thomas Haller war der Besitzer der Fankneipe.

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