Umsturz im Sudan: Der Protest geht weiter

Sudans Protestbewegung hat gesiegt. Das Militär setzt Diktator Bashir ab. Sein Vize gilt allerdings als „Völkermordverantwortlicher“.

Sudanesische Frauen freuen sich

Auch sie wirkten am Sturz Omar Hassan al-Bashirs mit Foto: Reuters

BERLIN taz | Nach fast dreißig Jahren an der Macht ist Sudans Präsident Omar Hassan al-Bashir von der eigenen Armee abgesetzt worden. „Als Verteidigungsminister verkünde ich den Sturz des Regimes und die Verbringung seines Chefs in Gewahrsam an einen sicheren Ort“, erklärte Vizepräsident Awad Ibn Ouf am Donnerstagnachmittag im Staatsfernsehen. Ein Militärrat werde für zwei Jahre den Übergang zu freien Wahlen überwachen. Für drei Monate gilt der Ausnahmezustand. Die Verfassung ist suspendiert, alle staatlichen Institutionen sind aufgelöst.

Nach Tunesien, Ägypten und Libyen im Jahr 2011 und Algerien vor wenigen Wochen hat nun also auch im Sudan ein Volksaufstand den Sturz eines Langzeitherrschers erzwungen, und zwar ganz ohne fremde Hilfe, wie die Protestbewegung auf der Straße nicht müde wird zu betonen. Aber führt dieser Umsturz zur Demokratie wie in Tunesien, zu einem neuen Militärregime wie in Ägypten oder zum Bürgerkrieg wie in Libyen? Sudan kennt alle drei Optionen, und alle scheinen derzeit offen.

Die Protestbewegung wird sich die Früchte ihres Muts nicht leicht nehmen lassen. Der Aufstand gegen Bashirs Gewaltregime hatte am 18. Dezember 2018 in Atbara begonnen, einer Industriestadt im Norden Sudans, wo die Bahnlinie vom Roten Meer ins Landesinnere Richtung Khartum und der Schiffsweg auf dem Nil aus Ägypten zusammentreffen. Zunächst richtete sich der Protest in diesem Geburtsort der sudanesischen Gewerkschaftsbewegung einfach gegen die Verdreifachung der Brotpreise. Es wurde daraus ein landesweiter Aufstand, getragen vom Berufsverband SPA (Sudanese Professionals Association).

Jede Woche gingen Menschen in allen Landesteilen für Freiheit auf die Straße: Männer und Frauen, Araber und Schwarze, Studenten und Rentner, Religiöse und Säkulare, Berufstätige und Bauern – ein Querschnitt einer vielfältigen, offenen Gesellschaft, die sich in einem Militärregime nicht wiedererkennt. Zuweilen bewiesen sie beträchtlichen Mut gegen schießende Sicherheitskräfte.

„Diese Revolution ist eine Frauenrevolution“

Bemerkenswert ist dabei die herausragende Rolle von Frauen – anknüpfend an Frauendemonstrationen gegen sudanesische Militärherrscher, die die Männer in Bürgerkriegen an der Front verheizten, und an die Königinnen der Nubier in der Antike. Mehrmals sind unter Bashir harte islamische Urteile gegen Frauen Auslöser für Protest gewesen. Auf Demonstrationen ist die Parole „Diese Revolution ist eine Frauenrevolution“ zu hören gewesen. Dass Bashir am 8. März die Freilassung aller verhafteten Frauen verkündete, heizte den Protest eher weiter an.

Grafik: infotext-berlin

Am 6. April, dem Jahrestag eines früheren vom Volk bejubelten Militärputsches 1985, zogen die Demonstranten vor die Zentrale der Macht: das Militärhauptquartier in Khartum, zugleich Sitz der Präsidentschaft. Als sie dort tage- und nächtelang ausharrten und als sie im Laufe der Tage immer mehr wurden, waren Bashirs Tage gezählt.

Nun vollzieht das Militär den Wandel, und die Demonstranten sind ratlos. Ist das ihr Sieg? Soldaten der Armee hatten in den letzten Tagen die Massendemonstrationen gegen andere Teile des Sicherheitsapparats verteidigt. Aber Ibn Ouf, der jetzt Bashirs Sturz im Fernsehen verkündete, ist für einen Neuanfang nicht die erste Wahl.

Der Darfur-Exilverband „Darfur Union“ in Großbritannien bezeichnete Ouf bereits bei seiner Ernennung zum Vizepräsidenten im Februar als „Völkermordverantwortlichen“. Er sei zwischen 2003 und 2007 Verbindungsmann zwischen Sudans Regierung und den regimetreuen Janjaweed-Milizen gewesen, Hauptakteur des Völkermords an missliebigen Volksgruppen in Darfur. „Seine Hinterlassenschaft in der Region ist: Bombenangriffe durch Antonow-Flugzeuge, Niederbrennen von Dörfern, Zwangsvertreibung und Massenvergewaltigung.“

Der Wandel in Khartum ist nicht nur kosmetisch

Ouf kommt aus dem innersten Machtzirkel: Er war Chef des Militärgeheimdienstes und stellvertretender Generalstabschef, dann nach einer Auszeit Verteidigungsminister und seit Februar, als Präsident Bashir den Ausnahmezustand verhängte, Vizepräsident. Wegen mutmaßlicher Mitverantwortung für die Verbrechen in Darfur, derentwegen Bashir vom Internationalen Strafgerichtshof mit Haftbefehl gesucht wird, steht Ouf seit 2007 unter US-Sanktionen und stand auch auf Den Haags erster Liste möglicher wegen Darfur anzuklagender Verantwortlicher. 2010 hatte Bashir ihn deswegen schon in den Ruhestand versetzt und als Botschafter nach Oman abgeschoben, bevor er ihn als Verteidigungsminister zurückholte.

Als Minister integrierte Ouf 2017 die gefürchtete Miliz RSF (Rapid Support Force), hervorgegangen aus den Janjaweed-Milizen Darfurs, in die Streitkräfte als halbautonome Truppe, nachdem sie davor dem Geheimdienst unterstellt waren. Das war ein Teil der Politik, Sudans Militärapparat als Partner Europas bei der Sperrung der Migrationsrouten aus Eritrea hoffähig zu machen.

Ouf setzte sich damit gegen den mächtigen Geheimdienstchef Salah Gosh durch – ein Machtkampf, der auch in diesen Tagen eine Rolle beim Umgang des Regimes mit den Protesten gespielt hat, als die Armee Demonstranten gegen Scharfschützen des Geheimdienstes schützte.

Der Dachverband der Protestierenden ruft nun zu weiteren Protesten auf: „Wir lehnen den vom Regime inszenierten Putsch ab, der dieselben Gesichter und Institutionen reproduziert, die die Nation in Zorn versetzt haben“, erklärte am Nachmittag der Berufsverband SPA.

Der Wandel in Khartum ist aber keineswegs nur kosmetisch. Schon am Morgen wurde gemeldet, Vertraute Bashirs und Führungsmitglieder seiner Partei NCP (National Congerss Party) seien in Haft. Der Geheimdienst verkündete die Freilassung sämtlicher politischer Gefangener. In mehreren Städten wurden Regierungsgebäude gestürmt.

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