Die Wahrheit: Sohn einer Hupe

Den lieben langen Tag nur klingeln, tröten und töten? Ein versierter Hamburger Kampfradler gibt Einblicke in den Alltag auf zwei Rädern.

Der gelernte Offensiv-Velofahrer Fritz Tietz kurz vor der Radweg-Attacke Foto: Marit Hofmann

„Diese Presslufthupe begeistert“, schwärmte neulich ein Tweet, an den ein kurzer Clip angehängt war. Na, das wollte ich doch mal sehen.

Gedreht aus der subjektiven Perspektive eines stramm pedalierenden Liegendradlers zeigte das Video, wie dieser in flotter Fahrt auf ein paar Fußgänger zukachelte, die an einer Ampel warteten. Zwei von ihnen aber taten das mitten auf dem Radweg. Während nun der Radler, ohne die Geschwindigkeit auch nur um ein Mü zu drosseln, auf die beiden zujagte, hörte man auf der fahrtwindumtosten Tonspur eine Fahrradglocke schellen. Zugleich ward am unteren Bildrand der Schriftzug „Wenn die Klingel nicht wirkt, dann hilft nur die AirZound XL“ eingeblendet. Dann vernahm man einen infernalischen Hupton – und siehe da: Zeigten sie sich eben noch vom lieblichen Klingelklang völlig unbeeindruckt, sprangen die beiden Radwegsteher nun hurtig beiseite, und schon konnte man den Radberserker die Situation ungebremst meistern sehen.

Da spontan „Donnerwetter!“ und „So ne Presslufttröte möcht ich auch!“ ausrufen war eins. Erst recht, wenn man zu jener Sorte Deutscher gehörte, die mit einem immer leicht besengten Ausdruck im scheißgegenwindzermürbten Gesicht durch Deutschlands Städte eher rabackeln, denn radeln und mit autohassverzerrtem und fußgängerverachtendem Blick jedem signalisieren, der ihnen in die Quere auch nur kommen könnte: „Siehst du nicht, wie krank ich ticke? Also mach mal lieber Platz da!“ Deutsche also wie ich – und du nicht. Kampfradler eben.

Doch nicht nur für uns total Besengte sind Fußgänger ein Problem. Auch weniger rabiate Radlerinnen müssen ständig bremsen, weil wieder irgendwelche Klotzköpfe völlig arg- und sorglos ihre Radwege kreuzen. Da hilft dann kein noch so daumenflatternd erzeugtes Dauerplingpling, und auch das durchdringendste Dingdong handelsüblicher Fahrradschellen erreicht selten solcher Radwegelagerer Ohren.

Höfliche Hinweise

Und selbst wenn! Dann treten sie nicht einfach einen Schritt zur Seite, sondern müssen erst einmal erschrocken stehenbleiben und sich schaudernd umschauend fragen, wer und was denn da um Himmels willen von hinten angeklingelt kommen könnte. Auf einem Radweg! Um dann endlich hektisch, aber garantiert immer auf genau die Seite auszuweichen, auf der die inzwischen Herangepreschten soeben zum Überholen ansetzen wollten.

Mitunter kann noch ein höflicher Hinweis wie „Merkst du eigentlich noch was, Wichser?“ dazu beitragen, den Überholvorgang kollisionsfrei abzuschließen, aber häufig genug hilft nur noch die Ultranotbremsung, und noch während man dann über den Lenker hinweg in die Rabatten segelt, fragt man sich: Warum gibt’s eigentlich den „7. Sinn“ nicht mehr oder sonst eine verkehrserzieherische Maßnahme, die Fußgängern endlich beibiegt, was genau sie zu tun haben, wenn’s hinter ihnen klingelt.

Radfahrerlehre beim Grandseigneur

Also, was blieb mir anderes übrig: Die Presslufttröte musste her. Doch kaum hatte ich „AirZound XL“ in die Amazon-Suchmaske eingegeben, kam plötzlich ein Zaudern über mich und eine innere Stimme fragte mich: Bist du nicht einst bei dem großen Horst Tomayer (1938–2013) in die Radfahrerlehre gegangen? Und hat dir dieser Grandseigneur des kultivierten Stadt-, Land- und Flussuferberadelns neben vielem anderen nicht auch beigebracht, dass kein zivilisiertes Radfahren möglich ist ohne den absoluten Klingelverzicht? Dass es niemandem, der den Ehrentitel Radfahrer zu führen beansprucht, gestattet sein darf, einen Fußgänger klingeltönend vom Radweg zu scheuchen?

Und hattest du nicht zigmal bewundern können, wie vorbildlich sich Tomayer zeitlebens verhielt? Wie er seinen ollen Karren immer rechtzeitig abbremste und sich dem Fußgänger stets so näherte, dass es diesen nie mehr als nötig verjagte? Und wie er ihn erst dann überholte, wenn jegliche Beeinträchtigung ausgeschlossen war? Und wie er schließlich beim Passieren niemals vergaß, den Überholten freundlichst zu grüßen? Was aber tust du? Klingelst! Liebäugelst gar mit Pressluft!

Aus dem Sattel geballert

So sprach es mich von innen an. Doch die Antwort kam rapido von außen: ein sagenhafter Huplärm, und schon knallte einer, angetan mit Helm und Gelbweste, auf zwei prallst bepumpten Pneus an mir vorbei, mich zugleich mit „Träum nicht, Arschloch!“ beehrend. Ich aber schwang mich flugs aufs Rad, zog in voller Fahrt mein Schießeisen, und noch ehe der andere die nächste Radwegbiegung erreichte, hatte ich ihn aus dem Sattel geballert.

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kari

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