Algerien steuert auf einen neuen Zweikampf zu

Nach dem Rücktritt von Präsident Bouteflika positionieren sich die politischen Akteure des Landes neu. Für Freitag wird wieder mit Großprotesten gegen „das System“ gerechnet

Werden nicht müde: Demonstrantinnen am Dienstag in Algier Foto: Ryad Kramdir/afp

Aus Tunis Sofian Philip Naceur

Der Schritt war überfällig, doch die hinter Abdelaziz Bouteflika stehende Fraktion in Algeriens Machtapparat hatte bis zuletzt versucht, sich mit rivalisierenden Teilen des Sicherheitsapparats zu arrangieren. Vergeblich: Am Dienstagabend, nach mehr als sechswöchigen Massenprotesten, verkündete der Langzeitpräsident seinen Rücktritt. Bouteflikas Seilschaften in dem zersplitterten Regime sind angezählt und werden immer mehr zur Zielscheibe aufstrebender und sich neu organisierender Interessengruppen, die seit Wochen auf Bouteflikas Sturz hingearbeitet hatten.

Algeriens Generalstabschef und Vize-Verteidigungsminister Ahmed Gaid Salah wird nun zur zentralen Figur. Nur Stunden vor Bouteflikas Rücktrittserklärung hatte er sich mit der Militärführung getroffen und die „sofortige“ Anwendung von Artikel 102 der Verfassung und damit einen Rücktritt oder ein Amtsenthebungsverfahren gefordert. „Unsere Entscheidung ist klar und unwiderruflich. Wir unterstützen das Volk, bis seine Forderungen voll und ganz erfüllt sind“, so der Armeechef. Die Präsidentschaft werde seit Jahren von einer „Bande“ dirigiert, der Salah vorwarf, die jüngsten schriftlichen Erklärungen des kranken Präsidenten diktiert zu haben. Der in der Vergangenheit eng mit Bouteflikas Fraktion verbündete Salah hat damit endgültig die Seiten gewechselt. Nun versucht er, sich für die bevorstehende Übergangsphase zu positionieren.

Noch am Dienstag strahlten algerische TV-Kanäle Aufnahmen einer Zusammenkunft Bouteflikas mit dem Präsidenten des Verfassungsrats, Tayeb Belaiz, und dem Präsidenten des Oberhauses des algerischen Parlaments, Abdelkader Bensalah, aus. Der Verfassungsrat ist – wie in Artikel 102 der Verfassung festgelegt – diejenige Institution, die im Falle eines Rücktritts des Präsidenten die interimsmäßige Übernahme des Postens durch den Präsidenten des Oberhauses initiieren kann. Damit wird die Ernennung von Bensalah als Übergangspräsident immer wahrscheinlicher. Dieser müsste innerhalb der kommenden 90 Tage eine Präsidentschaftswahl organisieren und abhalten. Möglich ist jedoch, dass sich die Armeeführung erneut einmischt und versucht, einen anderen Kandidaten mit der Übergangsphase zu betrauen.

Bensalahs Partei, die noch bis Mitte März an der Regierung beteiligte RND von Ex-Regierungschef Ahmed Ouyahia, zeigte sich derweil „zufrieden“ mit der von der Armee unterstützten „Lösung der Krise“. Obwohl die Partei in heftigen internen Flügelkämpfen versinkt, hofft sie offenbar, aus Bouteflikas Fall politisches Kapital zu schlagen.

„Wir unterstützen das Volk, bis seine Forderungen erfüllt sind“

Ahmed Gaid Salah, Armeechef

Nachdem bereits am Wochenende gerichtliche Untersuchungen gegen zwölf mit Bouteflika verbündete Oligarchen eingeleitet worden waren, berichtete das gut informierte algerische Nachrichtenportal Inter Lignes am Dienstag von unmittelbar bevorstehenden Verhaftungen mehrerer Familienmitglieder Bouteflikas. Die „Entbouteflikanisierung“ des Systems – so die Internetzeitung TSA Algérie – nimmt damit Fahrt auf.

Salahs Verbalattacke gegen Bouteflikas Seilschaften und das juristische Vorgehen gegen sie zeigt derweil, wie sich regime­nahe Kräfte neu positionieren. Algerien steuert auf einen neuen Zweikampf zu – diesmal zwischen Salah und dem hinter verschlossenen Türen intrigierenden Ex-Geheimdienstchef Mohammed „Tewfik“ Mediène. Ob sich Algeriens Protestbewegung von diesem regimeinternen Kräftemessen einschüchtern lässt, bleibt zweifelhaft. Für Freitag wird erneut mit Protesten gegen „das System“ gerechnet.

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