Vergesst doch endlich eure Routinen

Harald Welzers neues Buch: diskursstark, arm an Nörgelei und mit prima Ideen

Harald Welzer:„Alles könnte anders sein. Eine Gesellschafts­utopie für freie Menschen“, S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2019, 22 Euro

Die beste Voraussetzung, um Harald Welzers neues Buch in voller Wucht genießen zu können, ist die Lektüre eines anderen, wenngleich schmaleren Büchleins: Michel Serres’ Pamphlet gegen alle, die sich das Gestern zurückwünschen. „Was genau war früher besser?“ ist ein erfrischendes (auch antilinkes) Machwerk, das aus der Perspektive des 88-jährigen Philosophen eine Welt von heute beschreibt, sehr anschaulich mit vielen privaten Beispielen, die sich fundamental zum Besseren von allem Früheren unterscheidet.

Eine lohnende Schrift, die, für den deutschen Diskursmarkt, seit Jahren Harald Welzer ergänzt. Der Sozialphilosoph, dem gerade von vielen aus unseren alternativen Kreisen übel genommen wird, durch offensive Diskussionsweisen das Gebot von linker Melancholie zu verletzen, hat aktuell unter dem Titel „Alles könnte anders sein“ eine, so die Unterzeile, „Gesellschaftsutopie für freie Menschen“ verfasst. Bei ihm sind die transformatischen Vorschläge im Hinblick auf die ökonomisch wie ökologisch zentrale Klimafrage nicht an die Logik von rechts gegen links, von Koalitionsspekulationen gebunden. Sondern an die Analyse der stofflichen Voraussetzungen einer besseren, nicht mehr klimaschadenden Welt.

Er spricht im ersten Teil vom „Wiedergutmachen“: der Renaturierung von Landschaften und Flüssen, im zweiten davon, dass „alles anders sein (könnte)“, im dritten vom „neuen Realismus“. Es ist ein solidarorientiertes Buch mit einer Fülle von vorstellbaren Besserungsvorschlägen – Arbeitszeitverkürzung, die nicht Arbeitslosigkeit heißt. „Statt uns im Untergangskitsch zu suhlen, können wir uns besser dem Restaurieren widmen.“ Warum? Weil es funktionieren würde. Jan Feddersen

Auf dem taz lab: 13.30 Uhr, Lesesaal, und 11 Uhr, taz Kantine.