Der Sound der Unabhängigkeit

Sein Orchestra Baobab war eine der einflussreichsten Bands Westafrikas. Ein Nachruf auf den auch von Präsidenten geschätzten Saxofonisten Issa Cissokho. Er starb Ende März

Issa Cissokho Foto: Annett Busch

Von Max Annas
und Annett Busch

Wer Issa Cissokho in kleiner Runde oder solo in privatem Rahmen auf seinem Saxo spielen hörte, konnte ahnen, wie sehr er sich dem Blues verpflichtet fühlte. Das Wiederholen der Tonfolgen, das Bestehen auf einem Beat, physisch unterstrichen durch den sich immer wieder nach vorn neigenden Oberkörper. Auf der großen Bühne hatte der Blues nicht so viel Raum, aber auch hier war er auszumachen in den wenigen Momenten, in denen sein Instrument, lange Zeit fast ausschließlich das Tenorsaxofon, ganz im Vordergrund stand.

Die große Bühne hatte Cissokho von 1971 an bei Orchestra Baobab, einer der einflussreichsten Bands Westafrikas, die im Senegal und der Hauptstadt Dakar auch ohne die Bezeichnung Orchestra auskam. Baobab eben, wie der majestätisch wirkende Baum. Die Band bespielte zunächst den gleichnamigen Club im Zentrum der Stadt und etablierte sich dann in der ganzen Region als eine jener Combos, die aus kubanischen Wurzeln die interessantesten Ergebnisse entwickelte. Kubas Musik, in seiner Gänze nicht nur im Senegal Salsa genannt, war, was die Leute vor und nach der großen Unabhängigkeitswelle 1960 hörten.

Baobab spiegelte in den 1970ern mit seinen Musikern aus allen Landesteilen sowie Togo und Nigeria die Anziehungskraft Dakars als Metropole, während in den Nachbarländern Guinea und Mali die Bands staatlich und regional organisiert und von der Regierung bezahlt waren. Bis 1986 war Issa Cissokho ein prägender Teil des Sounds der Band, der sich mehr und mehr löste von Kuba und ein fluides, zum Melancholischen neigendes Hybrid entwickelte, das Tanz- und Hörmusik war. Das Saxofon ist dabei stets das Barometer für Stimmung und Tempo des jeweiligen Songs gewesen.

Wer Baobab zu welchem Zeitpunkt als Chef d’orchestre leitete, ist abhängig vom Narrativ der einzelnen Mitglieder. Issa Cissokho jedenfalls war einer ihrer Stars. Seine eigene Erzählung unterstützt eine echte Legende. Er war in Dakar lange mit einem Heckflossen-Daimler unterwegs, der ihm vom ersten Präsidenten des Senegal, Léopold Sédar Senghor, überreicht worden war. Das Saxofon, das er über Dekaden hinweg spielte, war ein Geschenk Ahmed Sékou Touré, des ersten Präsidenten Guineas. Also waren sich diese beiden Politiker, die sich sonst auf nicht viel verständigen konnten, wenigstens in der Wertschätzung des Saxofonisten einig.

Als Geschichte gefeiert

Die Geschichte Baobabs ist identisch mit dem Weg, den die großen populären Bands Westafrikas gingen – wobei die Betonung auf populär nicht zu verwechseln ist mit dem Popbegriff des Nordens. Baobab hatte seine große Zeit bis in die frühen 80er hinein, dann übernahmen Jüngere den musikalischen Diskurs. Die Band hielt sich noch ein paar Jahre, die Musiker spielten später in kleineren Combos oder machten andere Geschäfte. Issa Cissokho war lange noch mit Youssou N’Dour unterwegs, zu dem das Publikum Dakars abgewandert war.

Der späte internationale Erfolg entsprach auch einem gängigen Modell. Die Musik Baobabs war immer präsent gewesen durch CD-Kompilationen und eignete sich ideal als Startpunkt für eine Reunion. Hier wurde in den 2000ern eine musikalische Geschichte gefeiert, die genau das war – Historie. Die Musik des sogenannten Goldenen Zeitalters der Post­unabhängigkeit wurde im Norden zum Erfolg, während aktuelle Musikstile des Kontinents zu wenig Aufmerksamkeit fanden.

Eine Solokomposition von Issa Cissokho lässt sich am besten im Soundtrack von „Le Franc“ (1994) nachhören, einem der späten, kleinen Meisterwerke seines Freundes, des Filmregisseurs Djibril Diop-Mambéty. Neben der Stimme von Aminata Fall gibt vor allem das Saxofon den Ton an und verleiht dem Alltagsschmerz der kleinen Leute die Größe des Blues. An einer Straßenecke sieht man dann auch Cissokhos Oberkörper sich weit nach hinten und nach vorne beugen, wie er mit und gegen das Freitagsgebet des Imam in Dakar anbläst.

Issa Cissokho ist in der Nacht vom 24. auf den 25. März mit 73 Jahren verstorben. Am Abend zuvor hatte er noch in einem Restaurant Dakars vor Publikum gespielt.