Der Status ist die Botschaft

Ruprecht von Kaufmann zeigt seine Porträts von Menschen mit Fluchtgeschichte im Bremer Roselius-Haus – und gerät damit in produktiven Konflikt mit dessen nationalistischer Sammlung

Ruprecht von Kaufmann: Porträt A., 2017 Foto: Museen Böttcherstraße

Von Benno Schirrmeister

Einen besseren Ort kann es gar nicht geben. Nicht für diese Ausstellung. „Inside the Outside“ hat der Berliner Maler Ruprecht von Kaufmann seine Reihe von Porträts genannt. Geflüchtete, mit einer Ausnahme als Kopfbilder gemalt, in Öl, also im Repräsentativ-Medium schlechthin, auf 40x30-Linolplatten. Zuletzt waren die 28 Bilder in New York, im UN-Hauptquartier zu sehen. Auch kein schlechter Platz.

Jetzt aber sind 27 von ihnen nach Bremen gekommen, ins kleine Roselius-Haus – und nirgends könnte die politische Spannung dieser Serie größer sein. Denn von Kaufmann macht keine politische Kunst im engeren Sinne. Seine 2015 entstandene Idee, einzelne Menschen, die eine Flucht- und Vertreibungsgeschichte haben, als Menschen zu porträtieren, einfach als Menschen; sie also aus dem medialen Bild von der Masse, dem Strom oder der großen Zahl herauszulösen, „folgte eher einem allgemein humanistischen Impuls“, sagt der Maler.

Aber der gerät in Konflikt mit der ursprünglichen Idee dieser Sammlung: Ludwig Roselius, Kaba- und Kaffee-Hag-Gründer, wollte eine Art nationalistisch-altdeutsches Manifest in Museumsform veranstalten, eine Feier rassistischer Abschottung. Der Mann war stinkreich, ein Vollblut-und-Boden-Chauvinist, und er war ein wichtiger Mäzen: Roselius privatisierte in Bremen eine Gasse alter, baufälliger Häuser, restaurierte die eine Hälfte im Neomedi­eval-Stil und ließ die andere von dem Architekten und Bildhauer Bernhard Hoetger mit rassistischen Skulpturen, Atlantis-Haus, einem goldenen „Lichtbringer“ als Hitler-Allegorie und einem Paula-Modersohn-Becker-Museum expressionistisch gestalten: die Böttcherstraße.

Das Roselius-Haus, Grundmauern aus dem 14. Jahrhundert, gehört zum Altbestand. Mit dessen Interieur fantasierte der Museumsgründer einen pseudohistorischen Wohnraum zusammen, mit Prunkschrank und Ledertapete und Lucas Cranach im Schnitzrahmen. Erst sollten es nur niederdeutsche Meister sein, am Ende sammelte Roselius aber doch auch süddeutsche Germanen. Und konnte doch den französischen und italienischen Einfluss auf deren Werke zwar leugnen, aber nicht verdecken.

In diese nationalistische Kunstkammer haben Museumsdirektor Frank Schmidt und von Kaufmann nun dessen Gemälde gehängt: Namenlos sind sie, Unbekannte, „wie die meisten unserer Porträts hier“, sagt Schmidt. Im Bildaufbau gibt es noch markantere Analogien zu den in der Dauerausstellung vorherrschenden Renaissancetafeln. Da sind die nur sparsam strukturierten, oft völlig monochromen Hintergründe, Melanch­ton auf Spinat, auf eingedunkeltem Grün auch der Architekt S., der im Iran monatelang wegen seines Glaubens in eine Folterzelle gesperrt war.

Manchmal scheinen zeitgenössische und alte Kunst regelrecht zu interagieren: Das Porträt von A., ein junger Mann, keine 30 wird er sein, skeptisch und voll Trauer, begegnet den goldgrundierten Tafeln einer um 1490 entstandenen Johannes-Legende, die Enthauptung, und das Gastmahl des Herodes. Aus Palmyra stammt A., geflüchtet ist er, als der Bürgerkrieg in Syrien ausbrach. Oder das Bild von R.: Der stammt aus Damaskus, hat sich als Straßenjunge durchschlagen müssen, fand Unterkunft in einem katholischen Kloster.

Heute ist er ein leicht untersetzter Mann mit längerem, etwas wirrem braunen Haar und Bart. Leger um den Hals geworfen ein heller Schal. Frontal blickt R. durch dicke Brillengläser auf den Betrachter, neugierig wirkt er, wach, offen: Die linke Hand hält R. knapp unter Kinnhöhe, Daumen und Zeigefinger stoßen aneinander. Genau dieselbe Geste vollführt links neben ihm die spätgotische Reliquienbüste einer unbekannten Heiligen, mit der Rechten, zum Gnadenwink. Auch der segnende Salvator Mundi rechts von R. könnte glatt dessen Bruder sein. „Ich habe beim Aufbau tatsächlich auch mit der Tradition gespielt, Dürers Selbstporträt etwa, das sehr offen mit Jesus-Darstellungen kokettiert“, sagt von Kaufmann. Gleichzeitig ist die Handhaltung aus den Porträtsitzungen heraus entwickelt. R. sei jemand, „der viel spricht, von unbändigem Optimismus erfüllt ist, trotz seiner wirklich harten Geschichte – und dabei sehr viel gestikuliert“.

Kein Gemalter lässt sich ja auf das Abbild seines Äußeren reduzieren. Es gibt ein Innenleben, nenn es Seele, Denken, Hirnstrom, Geist

Apostelhaltung, Madonnenblicke – die Bilder sind, auch im Vergleich zu Kaufmanns früheren, oft surrealen Werken, konventionell. Sie sind es bewusst: Das muss so sein, denn die Konvention, die jede Fremdheitserwartung enttäuschen wird und jeden Orientalismus unterläuft, ist hier Botschaft.

„Ein Ölporträt“, sagt von Kaufmann, „ist ein Statussymbol.“ Menschen die status- und oft genug staatenlos in Europa ankommen so wenigstens symbolisch zu einem Rang zu verhelfen, das ist es, was Malerei vermag. Die Kunst verleiht dem Unbekannten ein Gesicht, im Grunde als eine Herausforderung.

Und als eine Geschichte: Zu jedem der pastosen Porträts gehört ein protokollartiger Text, der die Person, ihre Lebensumstände, ihre Flucht erzählt. Kein Gemalter lässt sich ja auf das Abbild seines Äußeren reduzieren. Es gibt ein Innenleben, nenn es Seele, Denken, Hirnstrom, Geist, egal, das verläuft, immer weiter verläuft und das im Bild zu fixieren vielleicht nicht unmöglich wäre. Aber falsch.

Ruprecht von Kaufmann: „Inside the Outside“, bis 28. 4.

Katalog: 80 Seiten, 22 Euro