Doku „Norddeutschland bei Nacht“: Viel Licht im Dunkel

In seinem Dokumentarfilm „Norddeutschland bei Nacht“ zeigt Marcus Fischötter beeindruckende Bilder von Land und Stadt in der Dunkelheit.

Eine Luftaufnahme des Schweriner Schlosses bei Nacht.

Sehenswert: Das Schweriner Schloss aus ungewöhnlicher Perspektive Foto: Marcus Fischötter

BREMEN taz | Vor ein paar Jahren waren Filme populär, für die Hubschrauber mit neu entwickelten Kamerasystemen über die Landschaften und Städte der Repu­blik flogen. Die Luftaufnahmen, die dabei entstanden, waren so scharf, detailliert und unverwackelt, wie man es vorher noch nicht gesehen hatte.

Aber dann: „Das Ding war durch!“, sagt der Hamburger Filmemacher Marcus Fischötter, der mit „Norddeutschland von oben“ und „Die Elbe von oben“ gleich zwei dieser neuen Heimatfilmen gedreht hat. Als er bei Dreharbeiten auf der Insel Rügen wegen einer Gewitterfront den Hubschrauber abdrehen lassen musste, war er dann doch von der dramatischen Wetterstimmung in der Dämmerung so beeindruckt, dass ihm die Idee für einen weiteren Film kam.

Vier Jahre hat es gedauert, bis Fischötter die Gremien bei Nordmedia und dem NDR davon überzeugt hatte, dass es interessant sein könnte, einen ganzen Film nur in der Nacht aufzunehmen. Im vergangenen Juni war die Finanzierung gesichert, gedreht wurde zwischen Juli und Oktober und erstaunlich schnell kommt der Film „Norddeutschland bei Nacht“ jetzt in die Kinos.

Das Teuerste waren Hubschrauberflüge: Vier Nächte lang flog Fischötter mit seinem Filmteam über Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg und Mecklenburg-Vor­pom­mern und klapperte die Sehenswürdigkeiten ab. Die Elbphilharmonie, der Bremer Marktplatz, die Fontäne in den Herrenhäuser Gärten in Hannover, die Stralsunder „Gorch Fock“ und der „wohl größte Parkplatz der Welt“ an der Autoverladestelle in Bremerhaven zeigt Fischötter in schönster nächtlicher Beleuchtung.

Die Lübecker Altstadtinsel wird von der gefährlich einschläfernden Stimme des Erzählers als ein „wunderschöner Blütenkelch“ besungen

Dazu gibt es einen Kommentar, der im klassischen Fremdenführerstil viele Fakten, die sofort wieder vergessen werden (soundso Millionen Tonnen Stahl werden pro Jahr im Stahlwerk von Salzgitter gegossen) mit manchmal unfreiwillig komischen Lobpreisungen der Sehenswürdigkeiten mischt. Die Lübecker Altstadtinsel wird da etwa von der soronen (und gefährlich einschläfernden) Stimme des Erzählers als ein „wunderschöner Blütenkelch“ besungen.

Dabei wäre das gar nicht nötig gewesen, denn die oft spektakulären Bilder sprechen für sich, und Fischötter hat ein gutes Gespür für interessante Motive: das Stadion am Millerntor unter Flutlicht bei einem Spiel (St. Pauli verliert), weiß strahlende Quadrate und Rechtecke, die sich als beleuchtete Gewächshäuser entpuppen, der menschenleere, computergesteuerte Containerhafen auf Altenwerder. Alles sieht bei diesem anderen Licht faszinierender, geheimnisvoller aus.

Aber abendfüllend sind diese schönen Bilder aus der Höhe nicht, das weiß auch Fischötter. Der Film erzählt deshalb auch von nachtaktiven Menschen, die im und mit dem Dunklen arbeiten.

Dunkles Mecklenburg-Vorpommern

Dabei wollte Fischötter nicht das zeigen, was alle erwarten, also nicht „Polizei, Krankenhaus, Großmarkt“. Stattdessen fährt er etwa mit einem Krabbenfischer auf dessen Kutter auf nächtliche Fangfahrt (bei Tageslicht würden die Krabben seine Netze ja sehen). Eine Fotografin macht nachts am Strand Zeitrafferaufnahmen von Wetterphänomenen wie den nachtleuchtenden Wolken in 85 Kilometer Höhe, und ein Hilfspolizist begleitet einen nächtlichen Schwertransport über Straßen.

Fischötter macht auch deutlich, dass es sich als Standortvorteil erweisen könnte, dass es in Mecklenburg-Vorpommern so duster ist. Er hat einen Physiker gefunden, der im dortigen Nationalpark mit einem Lichtmesser in der Hand nach Orten sucht, an denen es extrem dunkel ist. Dort soll ein „Sternenpark“ entstehen, und Touristen sollen anreisen, um in den Himmel zu schauen.

"Norddeutschland bei Nacht". Regie: Marcus Fischötter. Deutschland 2019, 93 Min.

Mit einem eigens dafür entworfenen Lichtfeld lockt ein Biologe in der Barker Heide bei Bad Segeberg Nachtfalter an, die wie alle anderen Insekten immer weniger werden und er zeigt, dass sie mit den filigranen Musterungen auf ihren Flügeln mehr sind als nur „graue Motten“. Eine Lichtdesignerin arbeitet an der Beleuchtung eines Pavillons in den Herrenhäuser Gärten in Hannover und demonstriert dabei, dass man mit möglichst wenig Licht die beste Wirkung erzielen kann. Diese Protagonisten beschäftigen sich mit verschiedenen Aspekten von Licht und Dunkelheit, und so liefern sie Fischötter nebenbei auch faszinierende nächtliche Bilder.

Ohne norddeutsches Landleben würde in einem Film wie diesem etwas fehlen. Fischötter setzt mit einer Taxifahrerin in Bockhorst im Emsland einen deftigen Kontrapunkt. Sie kutschiert betrunkene Fahrgäste zu den nächtlichen Festivitäten des Erntedankfests. Seit 30 Jahren macht sie diese Arbeit, und die fröhlichen Zecher von heute hat sie schon in den Kindergarten gefahren. Solange sie ihr nicht „in die Schaltung greifen“, ist alles gut.

Auch für einen emotionalen Höhepunkt kurz Ende des Films hat Fischötter gesorgt. Früh am Morgen begeben sich ehrenamtliche Tierfreunde auf eine Wiese, die gemäht werden soll. Dabei werden oft Rehkitze oder Hasen vom Mähdrescher getötet, deshalb lassen sie über der Wiese eine Drohne fliegen, die mit ihrer Wärmebildkamera jedes Lebewesens erkennt. Und die Drohne des Filmteams macht Aufnahmen von deren fliegender Drohne.

„Norddeutschland bei Nacht“ ist filmhandwerklich solide gezimmert, und was er verspricht, liefert er auch. Er ist so direkt und kunstlos wie sein Titel.

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