„Mir ist England ein wenig fremd geworden“

Die Bremerhavener Tanzlehrerin Maggie Hall-Donsbach hat den deutschen Pass beantragt – und ist für ein zweites Referendum

Foto: Jasmin Johannsen

Maggie Hall-Donsbach, 66, studierte Ballett und Tanzpädagogik an der Royal Academy of Dance in London, lebt seit 45 Jahren in Deutschland und betreibt nach Bühnen-Engagements seit 34 Jahren die Ballett- und Musicalschule „Tanz-Etage“ in Bremerhaven.

Protokoll Jasmin Johannsen

Als eine Mehrheit in England tatsächlich für „leave“ gestimmt hat, war ich regelrecht entsetzt und drauf und dran, meinen britischen Pass abzugeben. Hab ich natürlich nicht gemacht. Doch man kann sagen, dass mir England seitdem ein wenig fremd geworden ist. Dennoch habe ich nach wie vor ein tiefes Zugehörigkeitsgefühl zu meinem Herkunftsland und seiner Kultur.

Nach meinem Studium an der Royal Academy war ich eigentlich nur für ein Einjahres-Engagement am Theater in Oberhausen nach Deutschland gekommen. Danach wollte ich wieder nach London zurück, weil ich dachte: Das ist meine Stadt. Doch dann wurde mir durch einen Zufall ein Engagement am Stadttheater in Bremerhaven angeboten und ich sagte zu. Nach drei Spielzeiten habe ich begonnen, mich als Pädagogin selbstständig zu machen. 1985 dann mit meiner eigenen Tanzschule.

Ich habe mich in Deutschland und vor allem in Bremerhaven von Anfang an sehr wohl gefühlt. Die Stadt und die Menschen hier waren sehr offen für mich und zugewandt. Mein Vater war Lastwagenfahrer und meine Mutter hat geputzt, damit ich Ballettunterricht nehmen konnte. In England wäre die Herkunft aus der Arbeiterschicht immer unterschwellig ein Thema gewesen, denn das Klassenbewusstsein spielte dort zumindest damals immer noch eine große Rolle. Hier dagegen wurde ich allein als der Mensch beurteilt, der ich bin. Dafür bin ich bis heute dankbar, denn ich habe hier in meinem Beruf sehr viel erreichen können.

Früher hätte ich meine britische Staatsbürgerschaft aufgeben müssen, um die deutsche anzunehmen. Dass sich die Gesetzgebung inzwischen geändert hat, hatte ich gar nicht realisiert. Dann bekam ich einen Brief von der Stadt mit dem freundlichen Hinweis, dass ich die doppelte Staatsbürgerschaft nur noch bis zum tatsächlichen Austritt Großbritanniens aus der EU beantragen könne. Das habe ich sofort gemacht und ich bin sehr glücklich, dass ich bald auch einen deutschen Pass besitzen werde. Er ermöglicht es mir zum ersten Mal, in dem Land, das seit 45 Jahren zu meiner Heimat geworden ist, an Bundestagswahlen teilzunehmen.

Auf den Brexit werde ich ständig angesprochen, egal wo ich bin. In der Kneipe oder auf Partys, überall ist das ein großes Thema. Für die hier lebenden Briten, aber auch für meine deutschen Freunde. Artikel über den Brexit lese ich kaum noch. Für das Chaos, das sich da gerade im Unterhaus abspielt, kann man sich nur schämen. Beim Referendum haben die Menschen einfach nicht über den Tellerrand geguckt. Viele denken, dass es ihnen nach dem Austritt besser gehen wird, dabei weiß niemand wirklich, was dann passiert.

In der Gegend, aus der ich stamme, haben über 60 Prozent für „leave“ gestimmt. Auch meine Schwester und mein Schwager. Wir sind jetzt zwar nicht zerstritten, aber enttäuscht bin ich schon. Meine Schwester hat mir jetzt aber gesagt, dass sie bei einem zweiten Referendum anders entscheiden würde. Sie ist von der Politik sehr enttäuscht, vor allem von Theresa May. Die haben gedacht, da kommt jetzt so eine zweite Angela Merkel.

Viele Menschen haben auch darauf gehofft, dass das Geld, das an die EU gezahlt wird, in das Gesundheitssystem gesteckt wird. Das war ein Versprechen vor dem Referendum. Einen Tag danach wurde es aber schon wieder zurückgenommen. Der Brexit kam durch Falschinformationen zustande, man kann fast sagen durch Betrug. Eingebrockt hat uns das David Cameron, der hat um seiner politischen Zukunft willen zu hoch gepokert.

Europa wackelt durch diese Geschichte schon sehr. Man weiß ja auch nicht, was als nächstes kommt. Geht dann Italien? Folgen noch andere Länder? Ich habe mich immer so sicher gefühlt. Wir sind die erste Generation, zu deren Lebzeiten es keinen Krieg gab. Die EU war immer ein Garant für Frieden. Ich finde es deswegen wichtig, dass Europa zusammenhält. Wenn es einen europäischen Pass gäbe, dann würde ich den wollen. Mein größter Wunsch wäre ein zweites Referendum. Ich finde, dass noch einmal gewählt werden muss.