Was nach den Volksparteien kommt

Der Politikwissenschaftler Franz Walter denkt in seinem Essayband „Zeiten des Umbruchs?“ die Krise des politischen Systems weiter

Von Stefan Reinecke

Wenn man fragt, warum Franz Walter in Deutschland der wirkungsvollste Politikwissenschaftler seiner Generation wurde, findet man eine Antwort auf Seite 43 seines jüngsten Essaybandes: „Der populistische Agitator findet Gehör, wenn die Sprache des politischen und ökonomischen Establishments zum Distinktionsjargon geworden ist – introvertiert, abgehoben, technokratisch, herrisch“.

Kein Zweiter hat seit den 1990er Jahren ein so feines Gespür für die erst kaum merklichen, dann eruptiv ausbrechenden populistischen Unterströme gehabt wie der Göttinger Professor und Publizist. Zudem kann man diese Bemerkung auch als Selbstbeschreibung lesen: Walter ist zwar kein Populist, aber ein thesenstarker, stilistisch versierter Autor, der heraussticht, weil er den „technokratischen, abgehobenen Distinktionsjargon“ seines Faches meidet.

Die Leitfrage des zentralen Essays – „Die Mühen der Macht“ – dieses Buches lautet: Wie funktioniert Macht in den Zeiten von Populismus, Medien- und Beteiligungsdemokratie? Weil alles Markt wird, ist es kein Wunder, dass sich auch die BürgerInnen in Politik-KonsumentInnen verwandeln. Sie sind „launisch, ungeduldig, jederzeit fordernd“ (Walter). Langfristige politische Planungen werden schwierig, das Publikum ist notorisch unzufrieden, weil es prompte Lieferung erwartet. Weil die Gesellschaft zudem sozial zerklüftet, widersprüchlicher und eigensinniger in ihren Anforderungen an Politik ist, wird Regieren kompliziert.

Die Individualisierung hat Freiheitsgewinne beschert. Aber davon profitieren vor allem artikulationsstarke und durchsetzungsfähige akademische Milieus. So verstärkt die Partizipationsdemokratie die Gräben, die sie beseitigen sollte. Das neue Paradox lautet: Das Mehr an demokratischer Teilhabe und die bunte Parteienlandschaft bringen „Vielfalt hervor, aber die Ordnung dieser Vielfalt drängt zur Elitisierung, zur Intransparenz, zur Minimalisierung von Demokratie“.

Walter misst die veränderten Bedingungen von Politik nie unterkomplex, immer verständlich, meist zupackend aus.

Ein Effekt der sozial und habituell differenzierten Gesellschaft ist das Ende der Volksparteien. So weit, so bekannt. Interessanter als die Klage darüber ist die Frage, was danach kommt und wie Konsensbildung ablaufen wird, wenn drei oder gar vier Parteien Regierungen bilden. Je mehr Beteiligte sich einigen müssen, desto mehr wird in „kleinen, informellen, verschwiegenen Kreisen“ (Walter) gedealt werden. Daher wird die Kluft zwischen medialer Erwartung an Politik und der inneren Mechanik der Regierung in der Post-Volksparteien-Ära noch wachsen. „Medien lechzen nach dem Gewinner, in einer Koalition darf es den einen Gewinner im unvermeidlichen Kompromissbildungsprozess nicht geben.“

Die kommenden Bündnisse, Mitte-rechts oder Mitte-links, werden also kompliziert – und zur Abschottung neigen. Gerade weil Parteien zur engen Kooperation gezwungen sind und damit permanent an politischer Farbe verlieren, regt sich auch schnell der Gegenimpuls – nämlich mal entschlossen die Fahnen zu hissen. Das wiederum kann das ganze Bündnis zum Einsturz bringen. Insofern war Christian Lindners egotriphafter Ausstieg aus den Jamaikaverhandlungen nicht nur der Anfängerfehler eines Übereifrigen. Sondern ein Vorzeichen, wie fragil Regieren wird.

Franz Walter:„Zeiten des Umbruchs? Analysen zur Politik“. Ibidem Verlag, Stuttgart 2018, 270 Seiten, 18,80 Euro