Runterkloppen mit Kajal

Die Berliner Band Drangsal macht gruftigen Pop mit Schlagerschlagseite. Die coolen Kids stehen so sehr drauf, dass das Konzert verlegt wurde in Huxleys Neue Welt. Damit musste die Band erst klarkommen

Von Jan Jekal

Für den zwischen Coolness und Camp changierenden Drangsal-Frontmann Max Gruber wäre mit der Teilnahme am Eurovision Song Contest (natürlich ironisch gemeint, aber eigentlich nicht ironisch gemeint) offenbar ein großer Traum in Erfüllung gegangen. In den sozialen Netzwerken betrieb er vor einiger Zeit eine leidenschaftliche Lobbykampagne, der Hashtag lautete #DRANGSAL4ESC2019.

Aber den Bürokraten vom Auswahlkomitee war Gruber einfach zu aufregend. „Viel Erfolg mit den verformbaren Ja-Sagern und Castingshow-Viertplatzierten, die keiner ernst nimmt und die nicht mal wissen, was ein Akkord ist“, schickte er den Entscheidungsträgern nach seiner Ablehnung ein wenig unsportlich (und nicht ganz ernst gemeint) hinterher. Das Trauma ist, ein halbes Jahr später, nicht überwunden. „Wir hätten gewonnen!“, insistiert Gruber am Samstagabend in Huxleys Neue Welt. „Deutschland, es passt zu dir, dass du dich selber in den Ruin treibst.“

Dass Gruber mit seiner Band an diesem Abend sein bisher größtes Headliner-Konzert spielt, tröstet über die Eurovision-Katastrophe wohl ein wenig hinweg. Ursprünglich war das Konzert für den Punkclub SO36 angekündigt. Der war schnell ausverkauft, die Veranstaltung wurde in den größeren Festsaal Kreuzberg verlegt. Der war ebenfalls schnell ausverkauft, also wurde das Berliner Konzert der Berliner Band noch einmal verlegt: in die schon ziemlich große Huxleys Neue Welt. Vor einer Woche meldete Gruber, dass nun auch dieser Saal ausverkauft und er „schockiert und ganz und gar vom Dank durchzogen“ sei.

Dieser Schock sitzt ihm zu Beginn des Konzerts noch in den Knochen. Gruber bewegt sich kaum, schaut auf das Griffbrett seiner E-Gitarre oder fixiert einen Punkt am anderen Ende der Halle. „Ich sag euch, wie’s ist“, sagt er nach dem zweiten oder dritten Lied. „Ich mache mir in die Hose!“ Das Eingeständnis der Nervosität steht im krassen Gegensatz zu den tighten, effektvoll mit dynamischen Ausbrüchen arbeitenden New-Wave-Songs, die er mit seinen vier Bandkollegen runterkloppt. Während der Stücke behält Gruber, dessen Augen durch dramatisch eingesetzten Kajal betont sind, eine ernste Miene. Sein Singen ist verbissen, da ist keine Leichtigkeit, das Drängende passt zum unruhig nach vorne treibenden Beat.

Jede zweite Zeile ein Schrei

Gruber singt energisch, endet auf Umlauten, um möglichst viel Volumen in seine Stimme zu bekommen (aus „meine“ wird zum Beispiel „meinö“). Jede zweite Zeile ungefähr beschließt er mit einem Schrei, den er, einen Schritt zurück und in die Knie gegangen, Richtung Hallendecke ausstößt. Zwischen den Songs aber verschwindet die Stilisierung, und Gruber freut sich so rührend über die vielen Zuschauer („Tausend Dank euch allen!“), dass er in seiner sympathisch-unbedarften Dankbarkeit daherkommt wie ein, na ja, Castingshow-Viertplatziger.

Gruber hat eine Vorliebe und eine Begabung für eingängige Singsang-Melodien. In seinen besten Momenten – „Magst du mich (Oder magst du nur noch ein altes Bild vor mir)“ heißt eines der besonders gelungenen Lieder – schreibt er Kaugummi-Indiepop-Hymnen, die, zumal er überwiegend auf Deutsch singt, durchaus eine Wesensverwandtschaft zur Schlagermusik aufzeigen, was ihn bei aller subkultureller Affinität wohl kaum stören dürfte (Eurovision Song Contest!).

Das Konzert beschließt er mit einem unerwarteten und gleichzeitig völlig erwartbaren Cover: „1000 und 1 Nacht (Zoom!)“ – so heißt das Lied offiziell, nicht „Tausendmal berührt“ – von der Klaus-Lage-Band. Gruber und Kollegen spielen den Song mit Leidenschaft und Pathos, strecken im Refrain die Fäuste in die Luft, und die coolen Kids im Publikum drehen völlig durch.