Nerd vor
Monitoren

Unentschieden: Linus de Paolis „A Young Man with High Potential“

Von Fabian Tietke

Piet geht nicht unter Menschen. Der brillante Informatikstudent weicht dem Strom seiner Kommilitonen aus, wann immer möglich, holt die Vorlesungen allein in der leeren Cafeteria per Stream nach und schreibt seine Arbeiten zu Hause vor einer Wand aus Monitoren. In seiner Arbeit geht es um ethische Fragen im Umgang mit digitalen Spuren.

Linus de Paolis Film „A Young Man with High Potential“ zeigt Piet als zurückgezogenen, hoch intelligenten Computernerd, der sich das Mittagessen per Paketlieferdienst schicken lässt und sich als Höhepunkt der Woche zu einem privaten Videochat in der Badewanne selbst befriedigt. Auf Anregung eines gemeinsamen Professors soll Piet mit der jungen Klara an einem Projekt arbeiten. Die beiden gegensätzlichen Charaktere finden wider Erwarten einen Zugang zueinander und Piet beginnt sich zu öffnen.

Als klar wird, dass er Klaras Sympathie für ihn überinterpretiert hat, zieht er sich sofort wieder zurück, bestellt sich ein Schlafmittel und versucht es mit einer Überdosis. Durch einen Zufall ist es letztlich jedoch Klara, die das Glas mit dem Schlafmittel austrinkt.

Linus de Paoli hat nach dem Regiestudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) gemeinsam mit seiner Frau Anna de Paoli (die an dem Film als Produzentin beteiligt ist) und Till Kleinert das Produktionskollektiv Schattenkante gegründet. „A Young Man with High Potential“ ist wie frühere Filme des Kollektivs ein Versuch, Autorenfilm und Genre­elemente zusammenzufügen.

Linus de Paoli entwarf 2011 in „Dr. Ketel“, seinem Abschlussfilm an der dffb, eine düstere Zukunftsvision: ein Arzt, der nach dem Zusammenbruch des Gesundheitssystems auf den Straßen Neuköllns Patienten behandelt. Till Kleinert vermengte in „Der Samurai“ von 2014 Wölfe im Brandenburger Wald, einen jungen Polizisten und eine Samurai-artige Figur zu einem der interessantesten Genrefilme des deutschen Kinos der letzten Jahre.

Bei „A Young Man with High Potential“ stehen sich Autorenfilm und Thrillerelemente jedoch im Weg. Die Darstellung Piets kommt nicht über das Klischee eines Computernerds hinaus. Das Klischee wiederum hätte sich in die Sterilität der Kulisse, die zumeist aus anonymen Neubauwohnungen und den Betonfassaden derselben besteht, durchaus eingefügt – wenn es denn um kühle Oberflächen, an denen es abprallt, und Suspense gegangen wäre. Stattdessen geht es vor allem zu Anfang um ein nachholendes Coming-of-Age. Das wird nicht besser dadurch, dass Paulina Galazkas Darstellung von Klaras Ungezwungenheit nicht weniger unbeholfen wirkt als Piets Unbeholfenheit selbst.

Der Lackmustest für aktuelle Versuche zur Wiederbelebung des Genrefilms sind die Geschlechterverhältnisse. „A Young Man with High Potential“ hat gegenüber anderen deutschen Genrefilmen wie Tarek Ehlails „Volt“ den Vorzug, es ohne mackerigen, männlichen Protagonisten zu versuchen – zugleich aber auch ohne queere Elemente wie in Kleinerts „Samurai“. Der Vergleich mit „Volt“ ist noch in anderer Hinsicht interessant: Nachdem Ehlails Film fulminant beginnt, nähert dieser sich gegen Ende rasant irrelevanter Mediokrität. An dieser Entwicklung dürften die koproduzierenden Fernsehsender nicht unbeteiligt gewesen sein.

Die unabhängige Produktion durch Schattenkante eröffnet demgegenüber große Freiheiten zum Experimentieren. „A Young Man with High Potential“ bleibt unentschieden und damit weit unter seinen Möglichkeiten, aber immerhin sind die Möglichkeiten vorhanden – das ist schon mehr als in vielen anderen deutschen Filmen.

„A Young Man with High Potential“. Regie: Linus de Paoli. Mit Adam Ild Rohweder, Amanda Plummer u. a. Deutschland 2018, 86 Min.