Im Fluss des Harmoniums

Im weitesten Sinne Folk: Das bezaubernde Klangspektrum des schottischen Eigenbrötlers James Yorkston

Definitiv kein Außerirdischer, auch wenn das Bild so tut: James Yorkston Foto: Ren Rox

Von Dirk Schneider

Ob er Förderung für seine Musik bekomme? Ja, sagt James Yorkston, er profitiere von den Arctic Monkeys. Genau wie die britische Rockband steht nämlich auch der 48-jährige Schotte beim britischen Indielabel Domino unter Vertrag, das als klug geführte Plattenfirma eine Mischkalkulation betreibt: Erlöse erfolgreicher Acts werden in die Budgets von sperrigeren Künstlern gesteckt. Und so kann der Mann aus dem kleinen Fischerort Cellardyke an der schottischen Ostküste jeden Tag, nachdem er seine Kinder zur Schule gebracht hat, in dem kleinen Studio im Schuppen hinterm Haus Musik machen.

Dort lagern Instrumente, die er im Laufe der Zeit zusammengesammelt hat, ein Fender-Rhodes-E-Piano, ein schwedisches Streichinstrument namens Nyckelharpa, ein Harmonium, Konzertina, Banjos, und anderes, mit dem er die ausladenden Klanglandschaften unter seinen Songs erschafft. Ach, „Songs“, dieses Wort mag Yorkston gar nicht leiden: „ Als Künstler muss ich Begriffe wie ‚Song‘ oder ‚Folk‘ einfach vergessen. Sobald ich diese Schubladen aufmache, verändere ich die Dinge zum Schlechten.“

Na gut, James Yorkston macht Musik, und letztendlich schreibt er in den Texten auch sein Leben auf: Durch Yorkstons Songs geistern basale Themen wie Freundschaft, Liebe und Tod; darum geht es in den Stücken aber nicht im Allgemeinen, sondern in einem sehr persönlichen Sinn. „Ein Künstler wie David Bowie konnte über alles Mögliche singen, über Außerirdische zum Beispiel“, erklärt Yorkston. „Bei mir ist es anders, ich kann nur darüber schreiben, was ich selbst erlebe und was ich fühle. Ich habe mich nicht hingesetzt und gedacht: Jetzt komponiere ich Musik über Freundschaft, Verlust und das Älterwerden.“

Was dabei herauskommt, lässt sich keinem linientreuen Musikgenre zuordnen, obwohl eine vage Anlehnung an Folktraditionen immer wieder aus Yorkstons Sound herauszuhören ist. Das könnte an der traditionellen Instrumentierung liegen, Yorkston spielt alles im Alleingang selbst ein, auch wenn er die Instrumente nicht wirklich beherrscht: „Als Singer-Songwriter kann ich die besten Musiker als Gäste engagieren. Das macht jeder, und darum klingt alles ähnlich. Wenn ich die Instrumente selbst spiele, klingt es mehr nach mir. Heute kann man sich die Sounds jedes Instruments runterladen. Aber jedes meiner Instrumente klingt anders, einige sind ein paar Hundert Jahre alt. Das gibt es nicht als App.“

Yorkstons Sound lässt sich keinem linientreuen Musikgenre zuordnen, obwohl eine vage Anlehnung an Folktraditionen hier und da herauszuhören ist

Auch als Drittel der Gruppe Yorkston/Thorne/Khan sprengt dieser dünne, ruhige, freundliche Mann alle stilistischen Grenzen zwischen Jazz, klassischer indischer Musik, Folk und Pop. Am nächsten kann man ihm auf seinen Soloalben kommen, wie dem jetzt veröffentlichten „The Route To The Harmonium“. Es ist das erste Soloalbum seit langer Zeit, das Yorkston komplett alleine aufgenommen hat, und vielleicht auch das beste seit langem. Fröhlich klingt keines der Lieder darauf, die Texte sprechen eher von innerer Zerrissenheit und von existenziellen Kämpfen. Viele von Yorkstons Songtexten sind innere Monologe, Dialoge mit Freunden, Verflossenen und Verstorbenen.

Das gewaltige „My Mouth Ain’t No Bible“, Herzstück des Albums, ist nicht das erste, das Yorkston einem verstorbenen Freund gewidmet hat: „Das Stück ist entstanden, nachdem sich ein Musikerfreund von mir das Leben genommen hat. Ich habe für den Text versucht, mich in ihn hineinzuversetzen und mir vorzustellen, was mit ihm los war. Und natürlich geht es darin auch um mich. Die Zeile „As if I were some magical mystical healer“, handelt von mir: Hätte ich was für ihn tun können? Und wenn ja, wie?“

Auch Leonard Cohen zitiert Yorkston: „My mind just cracked / – But unlike Lenny Cohen, no light got in, just dark“ – James Yorkston wird wohl nie ein alter, eleganter Mann sein, dem mit jedem Wort pures Gold aus dem Mund purzelt. In Jeans und Schirmmütze kämpft er in seiner Musik ernsthaft darum, das eigene Leben, seine Beziehungen und die ewige Tragik zu verstehen – und Erleichterung zu finden. Auch Yorkston sinniert tolle Zeilen, wie „My love has been diluted, by the inadequacies of man“. Seine Liebe mag verwässert worden sein, die Musik fließt breit, schwer und glitzernd. Verbittert hat James Yorkston das Leben nicht, im Gegenteil: „Ich habe so viel Glück. Ich habe in meinem Leben bis jetzt weder Krieg erlebt, noch eine Hungersnot. Das ist nicht selbstverständlich. All die Flüchtlinge, die nach Europa wollen, und so viele von ihnen ertrinken – es sind auch Musiker unter ihnen. Was würden diese Leute darum geben, dass sie von der Musik leben können? Was für ein Luxus! Darum muss ich diesen Beruf ernst nehmen und Arbeit hineinstecken. Alles andere wäre eine Beleidigung für die Menschen, die diese Möglichkeit nicht haben.“

James Yorkston: „The Route To The Harmonium“ (Domino/GoodtoGo)