Grüne fragen Ministerin Karliczek: Nicht zuständig für Stickoxide

Forschungsministerin Karliczek schweigt zur Grenzwertdebatte. Die Grünen finden das „inakzeptabel“. Messstationen werden überprüft.

Anja Karliczek im Bundestag

Nicht zuständig: Anja Karliczek im Bundestag Foto: dpa

Wissenschaftsministerin Anja Karliczek (CDU) will sich nicht zu den öffentlich rege diskutierten Zweifeln an geltenden Feinstaub- und Stickoxid-Grenzwerten in deutschen Städten äußern. „Innerhalb der Regierung“ sei dafür vor allem „das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zuständig“, heißt es in einer schriftlichen Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Michael Meister auf eine Frage der Grünen-Fraktion im Bundestag, die der taz vorliegt.

Als weiteres Argument für das Schweigen seines Hauses zur Debatte um die Grenzwerte führt Meister „verkehrspolitisch relevante Fragen wie etwa Fahrverbote in Innenstädten“ an. Aus diesem Grund hätten sich „im Rahmen ihrer fachlichen Zuständigkeiten“ Umwelt- und Verkehrsministerium geäußert.

Kai Gehring, wissenschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, hält Karliczeks Haltung für „inakzeptabel“: Für eine Forschungsministerin sei das Verstecken hinter anderen Ressorts peinlich. „Wissenschaftsbasierte Politik gehört von einer Wissenschaftsministerin beherzt verteidigt“, sagte Gehring der taz. Andernfalls griffen „faktenfreier Abgas-Lobbyismus à la CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer und wachsende Wissenschaftsskepsis“ um sich.

Im Januar hatten gut 100 LungenärztInnen die geltenden Grenzwerte für Stickoxid infrage gestellt und öffentlich eine „Neubewertung der wissenschaftlichen Studien durch unabhängige Forscher“ gefordert. Im eigenen Fachverband blieben sie damit jedoch klar in der Minderheit. Dem Initiator der Stellungnahme, dem pensionierten Pneumologen Dieter Köhler, wies die taz Fehler bei der Berechnung der Feinstaub- und Stickoxidbelastung nach. Scheuer forderte dennoch eine Überprüfung der Grenzwerte.

Überprüfung der Messstationen diese Woche angelaufen

Dies kritisierte am Sonntag Umweltministerin Svenja Schulze (SPD): „Diese Grenzwerte werden regelmäßig von Wissenschaftlern und Medizinern auf den Prüfstand gestellt. Es gibt keinen vernünftigen Grund, daran zu rütteln.“

Gleichzeitig kündigte sie in der Bild am Sonntag an, die Genauigkeit der Abgas-Messstationen in Deutschland überprüfen. „Die Messstationen werden nach EU-weit gültigen Regeln laufend überprüft. Aber ich sehe ja, dass diese Debatte hierzulande sehr aufgeregt geführt wird, deshalb habe ich beim TÜV Rheinland ein unabhängiges Gutachten in Auftrag gegeben“, sagte sie der „Bild am Sonntag“. Die Überprüfung der Messstationen sei diese Woche angelaufen.

Der seit 2010 verbindliche EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft ist Grundlage für die in einigen Städten gerichtlich verhängten Diesel-Fahrverbote. Ende Januar hatte die Bundesregierung angekündigt, die Leopoldina als Nationale Akademie der Wissenschaften um eine Klärung zu bitten.

„Ich kann nur dazu raten, dem Diskurs in der Wissenschaft zu vertrauen“, sagte Schulze. „Das hätte auch Herr Scheuer tun sollen, anstatt vorschnell einzelne Ärzte zu loben.“

Die Union verstärkt indes ihre Attacken auf die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und macht weiter Druck, der Organisation die Gemeinnützigkeit abzuerkennen und diese so finanziell zu schädigen. Nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ wollen Politiker von CDU und CSU nun durch Gesetzesänderungen erreichen, dass der DUH die Gemeinnützigkeit entzogen wird.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stefan Müller, sagte dem Blatt: „Der Gesetzgeber muss die Kriterien der Gemeinnützigkeit überarbeiten.“ Es seien strengere Regeln nötig, „um Missbrauch wie im Fall der Umwelthilfe zu verhindern“.

Schulze verteidigt die DUH

Die Umwelthilfe hatte vor Gerichten in mehreren deutschen Städten Fahrverbote für ältere Diesel-Fahrzeuge erstritten. Sie spielte auch eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung des Abgas-Betrugs von Autokonzernen. Kritiker bezeichnen sie wegen der zahlreichen Verfahren als „Abmahnverein“, der Bußgelder kassiere.

Anlass für den erneuten Vorstoß ist das jüngste Urteil des Bundesfinanzhofes gegen die globalisierungskritische Organisation Attac. Die obersten Finanzrichter hatten Attac wegen politischer Kampagnen die Gemeinnützigkeit aberkannt, wodurch das Netzwerk Steuervorteile verliert.

SPD-Umweltministerin Schulze stellte sich hinter die DUH. Der „Bild am Sonntag“ sagte sie, „dass die DUH die Klagerechte wahrnimmt, mag nicht jedem gefallen, ist in einer Demokratie aber normal“. Die Lösung müsse sein, Luftreinhaltepläne vor Ort umzusetzen und dass die Autoindustrie endlich die Fahrzeuge technisch nachrüstet.

Die CDU hatte bereits bei ihrem Parteitag im Dezember beschlossen, prüfen zu lassen, ob die Deutsche Umwelthilfe weiterhin als gemeinnützige Organisation anerkannt werden sollte. Die Anerkennung der Gemeinnützigkeit liegt beim Finanzamt. DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch hatte zuletzt erklärt, das zuständige Finanzamt habe die Gemeinnützigkeit gerade erst bestätigt. Der Bescheid gelte bis August 2023. Auch die FDP zweifelt die Gemeinnützigkeit der Umwelthilfe an. (mit dpa)

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