„Scham ist ein hervorragendes Druckmittel für mich“

Acht Jahre hat es gedauert bis zum dritten Album. Jetzt hat Dendemann „da nich für!“ veröffentlicht. So klar wie darauf hat er sich in seiner Musik noch nie politisch positioniert. Heute Abend tritt er in der Columbiahalle auf

Dendemann kann gut im Flugzeug von Berlin nach Köln denken und schreiben Foto: Nils Müller

Interview Johann Voigt

taz: Dendemann, „… es werden wieder muttersprachen gefirkt“, das müssen Sie erklären.

Dendemann: Natürlich hätte es „Müttersprachen“ heißen müssen im Bezug auf andere Rapper, die irgendwas über fremde Mütter sagen. Das war mein Beitrag zum Tag der Muttersprache vor Kurzem. Die Muttersprache hat es auf Twitter ja nicht leicht.

Das ist einer Ihrer letzten Posts auf Ihrem Twitter-Account. Wie lange denken Sie meist nach, bevor Sie etwas posten?

Gar nicht. (lacht) Das ist das Schöne daran. Ich benutze das als öffentlichen Filter für die Wortspiele, die geschrieben besser klingen als gerappt. Nachdem ich sie gepostet habe, habe ich sie nicht mehr im System.

Sie haben über 7.500 Tweets gepostet (Stand Februar 2019). Was ist für Sie als Künstler der Reiz daran, Texte zu produzieren, für die Sie nicht bezahlt werden und von denen vor allem ein Multimillionen-Dollar-Unternehmen profitiert?

Ich will jetzt nicht vom sechsten Element sprechen, aber die Geschwindigkeit, die Sprachfixiertheit, die Schlagfertigkeit, die einem abverlangt werden – das ist alles sehr hiphoppig. Von den Autoren vom „Neo Magazin Royale“ habe ich mir lustige Privataccounts empfehlen lassen, die dort seit Jahren ihr Tagebuch führen. Das macht meine Time­line inte­res­sant. Man denkt ja beim Scrollen durch die Timeline, man bekommt alles mit. Aber man hat das selber ganz stark gefiltert. Es ist nicht repräsentativ. Es ist Quatsch, aber ist so schön unvisuell. Es gibt nichts, was zu schlecht ist, um es bei Twitter rauszuhauen. (lacht)

Warum schreiben Sie gerne?

Ehrlich gesagt, würde ich infrage stellen, dass ich gerne schreibe. Ich rappe gerne. Und es ist furchtbar, immer das Gleiche zu rappen. So kommt eins zum andern. Aber ich habe noch nie etwas aufgeschrieben, um es festzuhalten – keine drei Sätze am Stück, nur, weil ich schreiben wollte. Viele meiner Texte sind zuerst im Kopf entstanden. Außerdem schreibe ich seit zehn Jahren Notizen ins Handy. Das fühlt sich nicht wie Autorenarbeit an. Das ist alles eher Mittel zum Zweck.

Sie könnten sich ja Texte schrei­ben lassen, wenn es nur ums Rappen geht.

Nee, das geht nicht. Ich habe ja schon Probleme mit meinen eigenen Texten. Leuten etwas ins Gesicht zu rappen ist das, was mich so penibel gemacht hat beim Texten. Das war zwei-, dreimal so unangenehm.

Wann war es das letzte Mal unangenehm?

In den frühen Eins-zwo-Zeiten. Ich musste ja schreiben, um zu rappen. Das war immer eine Qual für mich. Bis zu meiner Arbeit fürs „Neo Magazin Royale“. Da musste ich schreiben, um nicht vor Scham im Boden zu versinken. Scham ist ein hervorragendes Druckmittel für mich.

Inwiefern?

Von den ersten „Neo Magazin“-Sendungen, in denen ich dabei bin, gibt es keine Einzelclips meiner Auftritte. Weil ich da eher James Brown-Adlibs mache als einen Song zum politischen Tagesgeschehen. Der Slot ist gewachsen, das hat sich entwickelt. Irgendwann hatte ich einen Werkzeugkasten. Ich wusste: Wenn ich mich im Flugzeug von Berlin nach Köln mit den Themen des Tages beschäftige, dann kann ich bis zur Aufzeichnung der Sendung einen Text schreiben.

Stimmt es, dass Sie sich erst durchs „Neo Magazin Royale“ wieder mit dem tagespolitischen Geschehen beschäftigt haben?

Ich meide das Fernsehen seit Jahren, ich meide Nachrichten. Nicht aktiv, aber das Interesse ist so gering. Ich komme sehr gut damit klar, nicht zu wissen, was los ist.

Wovor wollen Sie sich mit dieser Haltung schützen?

Es ist nicht nur die „schlechte Welt“, es ist auch die Art der Berichterstattung, die mich daran zweifeln lässt, dass sich was ändert. Selbst die seriöseste, normalste Nachrichtensendung hat schon einen Infotainmentstil.

Politische Popmusik ist auch Infotainment. Auf Ihrem neuen Album gibt es Songs über den Rechtsruck („Keine Parolen“), Selbstausbeutung („Menschine“) und Flucht („Zauberland“). Was erwarten Sie sich von solchen Songs?

Daniel Ebel alias Dendemann zählt seit den 90er Jahren zu den einflussreichsten Rappern Deutschlands. Er zeigte als einer der Ersten, wie man als Rapper kreativ mit der deutschen Sprache umgehen kann und Wortspiele ins Absurde verdreht. Dank seiner Band Eins Zwo (1999 –2003) zusammen mit DJ Rabauke, seiner Connection zur Hamburger Szene rund um Jan Delay, seinen ersten beiden Soloalben und seiner Rolle als Studiorapper bei Jan Böhmermanns „Neo Magazin Royale“ blieb er die letzten 25 Jahre im Gespräch. Am Donnerstag, 28. 2., spielt er in der Berliner Columbiahalle.

Ich möchte, dass die Songs gut gefunden werden. Ich möchte mich gesteigert haben. Meine Schwäche als Rapper war die Delivery, also eine echte, nicht unemotionale Aufnahme abzuliefern, die mehr ist als gut gerappt. Das sollen die Leute wahrnehmen, das Gefühl. Politisch kam eins zum anderen. „Menschine“ war ein ganz frühes Ding, die Politik im Song habe ich gar nicht wahrgenommen. Es war für mich ganz einfaches Beobachten von Menschen. Der Song besagt ja auch: Wenn ihr wie Maschinen arbeitet, dann tanzt und feiert doch auch mal wie Maschinen. „Keine Parolen“ war der Schlachtruf des Studiogitarristen des „Vom Vintage verweht“-Albums. Ich wusste schon vor neun Jahren, dass daraus ein Song wird.

Und jetzt war der Zeitpunkt reif.

Ich wusste: Solange ich mich einbeziehe, geht das gut. Beim „Neo Magazin Royale“ habe ich zuvor ganz konkret zynisch den Zeigefinger gegen rechts ausgefahren. Ich habe alle beim Namen genannt. So, wie ich es auf Platte nicht machen möchte. So habe ich mir den Zeigefinger abgestoßen.

Als die Strophen von „Keine Parolen“ fertig waren, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es gab schon zwei „Keine“-Songs [Absolute Beginner, „K.E.I.N.E.“, und Slice, „Wir wollen keine Bullenschweine“; Anm. d. Red.]. Die waren beide hochpolitisch. Das ist eine Art politische Musik, für die sie heute Feine Sahne Fischfilet ans Leder wollen. Deswegen wollte ich diese Hook zitieren. Das ist meine Generation. Mittlerweile ist es eher so: Linke Tweets rausballern, während man „Germany’s Next Topmodel“ guckt. Das ist der Unterschied zu Slime.

Rio Reiser, Hildegard Knef oder Schwesta Ewa haben in verschiedenen Formen auf Ihr Album gefunden. Woher kommt die Vorliebe für deutschsprachige Musik?

Ich hatte die schon immer. Der erste deutsche Text, den ich 1994 im Arme-Ritter-Proberaum geschrieben habe, war getriggert von Drafi Deutschers „Weine nicht“. Dann wurde im US-Rap viel mit Vocals gearbeitet, beim Wu-Tang-Clan zum Beispiel. Das fand ich gut. Wenn du ein klassisches Soul-Sample nimmst, dann hast du das schon zehnmal besser gehört. Die Deutschen Quellen klingen dagegen anders als die Motown-Sachen. Die klingen kleiner. Aber damit kann man was machen, was gerade kein anderer macht.

Auf „Wo ich wech bin“ ­rappen Sie übers Aufwachsen in Menden. Damals war man als HipHopper Außenseiter. Das war vor über 20 Jahren. Wann haben Sie zuletzt Ressentiments erlebt, weil Sie Rapper sind?

Das ist echt schon eine Weile her. Die letzten Bröckchen aus dieser Zeit sind auf unserer Tour gerade Running Gags. Ich klopfe den Bandmitgliedern nach der Show auf die Schulter und sage „Yo, Leute, für HipHop nicht schlecht“. Das hat man als Rapper früher immer vom lokalen Techniker gesagt bekommen. Dann gab es noch mal ein paar Jahre awkwardness, als ich in jedem Interview über den gewaltverherrlichenden Rap von anderen Leuten reden sollte. Es war mir sehr unangenehm, dass ich damit etwas zu tun haben sollte. Aber mittlerweile sind wir auf einem Level, in dem der junge Zahnarzt sagt: „Ah, Sie sind Rapper, oder?“ Er erkennt mein Gesicht und benutzt „Rapper“ wie eine Berufsbezeichnung. Unironisch, ohne eine Geste mit der Hand zu machen. Das ist wirklich schön.