Beziehungscoach über Selbstliebe: „Niemand muss sich ausziehen“

Ludwig Schwankl ist spiritueller Blogger und Beziehungscoach. Er erklärt, wie Menschen aus „toxischen Beziehungen“ herausfinden.

Ein nackter Mann steht zwischen Zimmerpflanzen

Ludwig Schwankl sieht sich selbst als Selbstdarsteller Foto: André Wunstorf

„Danke, dass ich hier sein darf“, sagt Ludwig Schwankl zur Begrüßung im Foyer des taz-Neubaus. Als wir einen kleinen Besprechungsraum mit kahlen Sichtbetonwänden betreten, lässt seine Begeisterung nach. Er könne die Energie in Räumen spüren, sagt er. Und dieser Raum fühle sich so an, als hielten sich die Menschen nicht sehr gerne darin auf. Bleiben will er trotzdem. Energie hin oder her.

taz am wochenende: Herr Schwankl, zur Vorbereitung auf dieses Gespräch habe ich Sie gegoogelt. Auf fast allen Bildern sind Sie mindestens oben ohne oder ganz nackt. Warum?

Ludwig Schwankl: Die Rolle der Nacktheit ist super gut geeignet, um mein Thema, das Thema der Freiheit und der inneren Befreiung, als Metapher darzustellen. Aber klar will sich da auch mein Ego austoben: Ich bin von Herzen Selbstdarsteller.

Das ist eine ziemlich ehrliche Antwort.

Für mich ist es essentiell, mit den eigenen Schattenaspekten Frieden zu schließen. Bestätigungsgeilheit ist da so ein Beispiel. Keiner will es sein, viele sind es. Erst wenn einem das gelingt, wenn man auch jene Eigenschaften liebevoll annimmt und akzeptiert, die man nicht so gerne mag, ist man wirklich frei.

Wenn Sie ein Formular ausfüllen müssen, was geben Sie als Beruf an?

Ich.

Ich?

Es gibt keine Berufsbezeichnung für mich. Auf meinem Blog spreche ich über innere Transformation, Persönlichkeitsentwicklung und Selbstheilung. Wenn man unbedingt einen Begriff dafür finden wollte, dann vielleicht: Spiritueller Coach mit Schwerpunkt Selbstliebe, Partnerschaft und Beziehung.

Warum ausgerechnet diese Themen?

Weil ich daran selbst schon mein ganzes Leben forsche. Der Grund, warum ich vor ein paar Jahren angefangen habe, mich mit Selbstheilung auseinanderzusetzen, war eine extrem dramatische Beziehung, die schmerzvoll in die Brüche ging. Ich wollte herausfinden, welchen Anteil ich daran hatte, dass es nicht funktioniert hat.

Was haben Sie herausgefunden?

In meiner Wahrnehmung sind Beziehungen immer der Spiegel unserer Seele. Damit meine ich, dass innere Verletzungen, die man als Kind oder später im Leben erlitten hat, in Beziehungen immer gespiegelt werden. Dementsprechend sucht man sich immer wieder Partner, die diese inneren Verletzungen hervorholen – so lange, bis man sich diese ansieht und sie heilt.

Woran ist Ihre Beziehung damals also zerbrochen?

Ich träumte von einer Beziehung, in der mein Partner meinen Mangel an Selbstwert kompensiert und mir die Liebe schenkt, die ich mir selbst nicht schenken konnte. So etwas funktioniert nie nachhaltig.

Was genau machen Sie in Ihren Workshops?

Spirituelle Heilarbeit setzt im Unterbewusstsein an. Es geht darum, die Muster aufzulösen, die den Verstand auf schmerzvolle Weise prägen. Ich gebe den Menschen Tools an die Hand, mit deren Hilfe sie sich selbst heilen können, um innerlich frei zu werden und um so zu handeln, wie es ihrer Seele entspricht: frei von Ängsten, Mustern und Konditionierungen, die hinderlich sind.

Müssen sich die Leute dazu nackig machen?

Nein. Niemand muss etwas. Auch nicht von sich erzählen. Und ausziehen muss sich natürlich auch niemand. Weder emotional noch tatsächlich. In erster Linie ist es ein Dialog. Ich erzähle, was in dem Moment fließen will, und die Menschen können Fragen stellen. Es gibt Heilmeditationen, die ich anleite. Dazu gehört auch Schattenarbeit, aber auch zum Beispiel die Arbeit mit dem Inneren Kind. Therapeuten arbeiten oft sehr ähnlich. Sie verwenden nur bisweilen andere Begriffe.

Therapeuten machen auch eine fundierte Ausbildung, die mehrere Jahre dauert, bevor sie sich mit dem Innenleben anderer Menschen befassen.

Der Coach

Ludwig Schwankl, Jahrgang 1989, stammt aus Deggendorf in Niederbayern. Studiert hat er Kulturwirtschaft, eine Mischung aus Kulturwissenschaften und BWL, in Passau und Berlin.

Sein Blog

2015 startete er den Blog seelenrave.de und schreibt dort über die Themen Selbstliebe, Partnerschaft und Beziehung sowie Hochsensibilität. Außerdem bietet er deutschlandweit Workshops zu diesen Themen an.

Das ist richtig. Die Menschen können und sollen sich auf jeden Fall therapeutische Unterstützung holen. Ich mache auch keine Einzelsitzungen. Das habe ich anderthalb Jahre versucht. Aber mir ist es viel zu anstrengend, mich ständig so intensiv mit den Problemen anderer Menschen zu befassen. Das bin ich nicht. Jede und jeder muss für sich selbst erfühlen, was für sie oder ihn richtig ist. Aber das Problem ist: Die meisten Menschen spüren sich gar nicht.

Was soll das bedeuten?

Ganz einfaches Beispiel: Sie gehen die Straße entlang. Von A nach B. Sind Sie dabei in ihrem Körper oder in ihrem Kopf?

Vermutlich denke ich über etwas nach.

Genau. Sie sind im Kopf. Und sie nehmen alles rein über den Verstand war. Sowohl das, was in ihren Gedanken passiert, als auch das, was um sie herum geschieht. Sie bewerten es und Sie setzten es zu sich selbst in Beziehung. Zu den Konzepten, die Sie sich über sich selbst und die Welt im Laufe Ihres Lebens zurechtgelegt haben.

Was ist daran verkehrt?

Sie sind in Gedankenschleifen gefangen und spüren ihren eigenen Körper nicht. Nehmen wir das Beispiel Tinder. Diese Verwirrung! Die Leute sind so überfüttert von Konzepten und Gedanken. Die nehmen gar nicht mehr wahr, was sie wirklich wollen.

Zum Beispiel?

Nehmen wir ein typisches Symptom unserer urbanen Gesellschaft: die vermeintliche Verpflichtung, immer cool zu sein. Wir haben gelernt: Unabhängigkeit ist sexy. Also denken viele beim Dating, sie müssten um jeden Preis frei und unabhängig wirken, damit man sie toll findet. Man chattet also, trifft sich vielleicht. Dann meldet sich der oder die andere nicht mehr. Das Drama ist groß. Aber man tut immer noch total souverän. Nach zehn Tagen meldet er oder sie sich dann wieder und man sagt immer noch: alles gut. Die Leute machen sich aber etwas vor. Viele wollen nicht bedürftig sein, also fühlen sie es nicht. Aber wie soll man, wenn man sich selbst verarscht, bitte einen Partner anziehen, der das nicht tut?

Tindern Sie auch?

Dating ist ein Hobby von mir, ich liebe es. Es wird dann sehr erfüllend, wenn die Angst vor Zurückweisung nicht mehr da ist, wenn man alles als Spielplatz betrachtet. Ich habe dank Tinder schon wahnsinnig inspirierende Begegnungen gehabt. Aber die wenigsten sind dazu geeignet, in eine feste Partnerschaft überzugehen. Dating kann ein wundervolles Abenteuer sein. Aber leider sind Liebe und Partnerschaft die letzte Volksdroge unserer Zeit.

Was meinen Sie damit?

„Nach klassischen Kriterien bin ich vermutlich beziehungsunfähig. Und trotzdem habe ich ganz viel Liebe in meinem Leben. Es geht darum, das zu machen, was sich richtig anfühlt“

Zum einen glauben die allermeisten Menschen, unbedingt einen Partner haben zu müssen, um vollkommen zu sein. Klar, wir tragen alle das Bedürfnis nach Nähe und Verbundenheit in uns, wenn auch unterschiedlich ausgeprägt. Aber muss es wirklich immer eine feste Partnerschaft sein, die das erfüllt? Und dann ist Liebe zu einer Projektionsfläche geworden. An Tinder sieht man das ziemlich gut. Man guckt sich ein Bild von jemandem an und bei den meisten Leuten will das Ego sofort wissen: Kannst du auch alle meine Bedürfnisse erfüllen? Die Folge sind verletzte innere Kinder, die in toxischen Beziehungen feststecken und nicht wissen, wie sie aus diesen Verstrickungen wieder herauskommen.

Wie sehen denn Ihre eigenen Beziehungen aus?

Nach klassischen Beziehungskriterien bin ich vermutlich beziehungsunfähig. Ich bin ziemlich egoistisch veranlagt und brauche wahnsinnig viel Freiheit. Es fällt mir schwer, Kompromisse einzugehen. Und trotzdem habe ich ganz viel Liebe in meinem Leben. Für mich ist Liebe nur dann lebbar, wenn ich weiß, dass ich ich selbst sein darf. Und Beziehung ist für mich ein lebenslanges Abenteuer, das ich nicht zu werten versuche. Partnerschaft ist nicht besser, als Single zu sein. Polygamie ist nicht besser als Monogamie. Es geht darum, das zu machen, was sich richtig anfühlt, und mit dem Flow zu gehen.

Was raten Sie Menschen, die das noch nicht erkannt haben?

Es geht darum, die eigenen Emotionen bewusst wahrzunehmen. Und das funktioniert über den Körper. Das Problem ist: Im Körper sitzen auch negative Emotionen, wie Angst, Schmerz, Scham, Trauer, Wut, Selbstzweifel. All das wollen wir in der Regel nicht spüren. Die menschliche Psyche ist stark auf Lustempfinden und Schmerzvermeidung gepolt. Aber immer dann, wenn wir nicht im Körper sind, verlieren wir die Verbindung zu uns selbst.

Also?

Wir müssen uns mit dem befassen, was ist. Nehmen wir an, Sie sind traurig oder wütend. Statt darüber nachzudenken, wer oder was Ihnen Unrecht getan hat, fühlen Sie: Wo im Körper sitzt die Emotion? Wie fühlt sie sich an? Ist es ein Druck auf der Brust? Ein Ziehen? Eine Schwere? In dem Moment, in dem Sie die Verbindung herstellen, werden Sie merken, dass die destruktive Gedankenschleife, die um die Emotion kreist, schwächer wird. Was bleibt, sind Verbundenheit und Achtsamkeit mit sich selbst. Nicht die Emotionen sind schmerzhaft, sondern die Storys, die wir uns selbst erzählen.

Auch bei Liebeskummer?

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Da besonders. Wenn man verlassen wird, ist nicht die Trauer schlimm, sondern es sind die Gedanken, die damit einhergehen: Ich bin nicht gut genug. Ich werde nie wieder jemanden finden. Ich bin es nicht wert, geliebt zu werden. Emotionen wollen erfühlt werden und nicht erdacht.

Das klingt so, als sei der Verstand etwas Schlechtes. Macht nicht der Verstand das Menschsein aus?

Unser Verstand ist gut und wichtig. Er hilft uns, im Alltag klarzukommen und komplexe Probleme zu lösen. Aber der Verstand, mit dem wir uns permanent selbst bewerten und verurteilen, diese Stimme im Kopf, die kann auch etwas sehr Schmerzhaftes sein. Was glauben Sie, warum sich die Leute jedes Wochenende besaufen?

Sagen Sie es mir.

Um den Verstand zu verlieren.

Sie raten den Menschen also, sich zu betrinken?

Nein. Ich rate den Menschen, innere Arbeit zu machen. Die Gefühle nicht zu betäuben, wie man das im Rausch tut, sondern sich mit ihnen auseinanderzusetzen, auch wenn das bedeutet, dass man sich auch mit Gefühlen befassen muss, die erst mal schmerzhaft und unangenehm sind.

Wie geht das?

Das Wichtigste ist Ehrlichkeit mit sich selbst. Man muss sich eingestehen, was man mit aller Macht wegzudrücken versucht. Man muss anerkennen, was da ist. Die meisten Menschen tragen keine Ehrlichkeit in die Beziehung, weil sie Angst haben, dass sie verlassen werden, wenn sie ihr wahres Selbst zeigen. In dem Moment aber, in dem ich aufhöre, mir oder einem anderen Menschen etwas vorzumachen, stelle ich Verbundenheit her und da beginnt Heilung.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Klar. Ihr Partner sagt zu Ihnen: Du bist eine eifersüchtige Klette und das engt mich ein. Das verletzt Sie, weil Sie das Gefühl haben, dass er recht hat. Ihr Verstand sagt: Das ist schrecklich. Ich will keine eifersüchtige Klette sein. Sie haben Angst, dass der Partner Sie deswegen verlässt. Umso mehr Sie versuchen, keine eifersüchtige Klette zu sein, umso weniger gelingt es Ihnen. Sie haben damit also ein Thema, das Heilung bedarf.

Okay, und jetzt?

Der Punkt ist: Wir sind alle mal eifersüchtige Kletten. Wir müssen in unser Herz spüren und uns sagen: Ich bin eine eifersüchtige Klette und das ist okay. Ich verspreche: Schon wird es besser.

Und wenn die Beziehung dann in die Brüche geht?

Dann ist es nicht der richtige Partner. Innere Ganzheit und Vollkommenheit entsteht da, wo wir alles annehmen, was wir sind. Nur dann ziehen wir auch Partner an, die uns so lieben, wie wir sind. Verletzung entsteht, wo wir etwas vor uns selbst leugnen. Wenn wir das begreifen, wollen wir von ganz alleine nicht mehr mit jemandem zusammen sein, der ständig von uns genervt ist, weil wir Menschen sind.

Ist das nicht total egozentrisch?

Es ist Selbstermächtigung. Man übernimmt Verantwortung für das eigene Handeln und die eigenen Bedürfnisse. Ich finde es immer wieder interessant, welche Disziplin Menschen aufbringen können, um einen guten Körper zu erschaffen. Aber wenn es um das Thema innere Arbeit geht, dann soll dagegen immer alles ganz einfach gehen. Glauben die Menschen ernsthaft, dass man der Beschäftigung mit sich selbst entrinnen kann? Dafür sind wir doch auf dieser Welt.

Nennen Sie sich deshalb auch spirituell?

Unter anderem. Ich glaube an die Seele und daran, dass sie einen Auftrag hat. Aber mein Wirken schließt auch den Glauben an eine höhere Kraft ein. Und an die Verbundenheit mit dieser höheren Kraft.

Gott?

Gott, das Universum, die Quelle allen Seins, die Frequenz bedingungsloser Liebe, nennen Sie es, wie Sie wollen. Wichtig ist nur: Diese Kraft ist kein Gott mit Rauschebart, der auf einem Thron sitzt und bewertet, ob wir uns richtig oder falsch verhalten, oder der uns für schuldig erklärt und bestraft.

Sondern?

Die Kraft, von der ich spreche, IST einfach. Wir spüren sie in den Momenten, in denen es in unserem Kopf ganz still ist. Wenn die Gedanken und der Verstand verstummen.

Wie kommen Sie auf die Idee, dass es diese Kraft gibt?

Das kann ich nicht rational erklären. Das war für mich von Kindesbeinen an klar. Ich hatte immer schon das Gefühl, dass die Welt mit mir kommuniziert.

Inwiefern?

Nehmen wir meine Arbeit. Ich komme aus Deggendorf in Niederbayern. Ich bin in einem Milieu aufgewachsen, in dem ich mich fremd gefühlt habe, weil ich schon immer irgendwie anders war, feinfühliger. Aber ich wollte trotzdem dazugehören. Also habe ich mein Abitur gemacht und studiert. Zuerst in Passau, dann in Berlin. Nach dem Studium habe ich dann ein Jahr lang versucht, in einer Werbeagentur Fuß zu fassen, aber ich wurde einfach nicht genommen.

Was hat das Universum damit zu tun?

Es hat mit mir kommuniziert. Eines Tages saß ich in einem Vorstellungsgespräch bei einer großen, bekannten Berliner Agentur, und der Mensch, der mir gegenübersaß, fragte mich: Willst du das denn wirklich? Er war wie der Spiegel meiner eigenen Seele. Wenn sich nicht derart deutlich gezeigt hätte, dass mein Weg ein anderer ist, ich bin sicher, ich hätte meine Seele in der Werbung verkauft.

Also haben Sie 2015 zu bloggen begonnen?

Ja. Das war ein ziemlich spontaner Impuls. Ich arbeitete damals an einer Bar. Meine Talente lagen brach. Also dachte ich: Das versuchst du jetzt einfach mal.

Und dann?

Dann haben sich plötzlich ziemlich schnell die Puzzleteile aneinandergefügt. Da wo wir vollkommen integer und im Einklang mit uns selbst sind, da funktionieren die Dinge, da stehen wir uns nicht selbst im Weg. Und ich muss sagen: Es läuft gut. Ich habe eine Zehnstundenwoche und ich kann von meiner Arbeit leben. Dass man hart arbeiten muss, um erfolgreich zu sein, ist ja auch nur ein Konzept.

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