Drama, Clashes, pralles Leben

Constanza Macras überall: An der Volksbühne zeigte die Choreografin „Megalopolis“ – im April inszeniert sie dort „Palast“. Auch beim Oscar-Favoriten „The Favourite“ wirkte die Wahlberlinerin mit

Szene aus „Megalopolis“ Foto: Thomas Aurin

Von Astrid Kaminski

Andere werden älter, Constanza Macras wird mehr wie Beethoven. Arbeitet an zehn Sachen gleichzeitig, macht zwischen Proben, Einarbeitung eines neuen Büroteams für ihre Kompanie DorkyPark, Interview und Abendaufführung von „Megalopolis“ noch Tortilla für den Sohn. Ob sie die nicht einfach to go besorgen könnte? Nein, muss mama-made sein.

Offensichtlich kann man mehrstimmig leben. Macras kann es. Sie ist eine urbane Choreografin. Langsamkeit war nie ihr Ding. Sie braucht die Energie von Lebensentwürfen, die aufeinanderprallen, Brachen, auf denen sie schaukampfartig explodieren, sie braucht Drama, Clashes, Storys, Randgruppen, Überlebensfantasie. Soziologisches Interesse hat sich schon immer durch ihr Werk gezogen, bereits 2003 nahm die aus Argentinien stammende Wahlberlinerin Neukölln unter die Lupe, den europäischen Roma-Communities hat sie sich lange vor dem Gorki („Roma Armee“) und der Kulturstiftung des Bundes („RomArchive“) gewidmet, in den vergangenen Jahren arbeitete sie viel in Südafrika, hat mit „On Fire“ unter anderem sexuelle Diskriminierung thematisiert, in „Hillbrowfication“ Johannesburger Jugendliche die Zukunft tanzen lassen und sich in „Chatsworth“ mit dem Bollywood-Entwurf der indischen Immigranten im Südafrika der Apartheid auseinandergesetzt. Temporäre Communitys entstehen zu lassen ist eine ihrer Superbegabungen.

Zurzeit läuft es gut für Macras. Während der Berlinale lief der für 10 Oscars nominierte „The Favourite“ von Giorgos Lanthimos in den deutschen Kinos an, Macras hat die Choreografie dafür gemacht. Mit „Megalopolis“, einem Teil ihrer Städtetrilogie, hatte sie gerade Einstand an der Volksbühne, Anfang April wird sie dort ihre erste Premiere „Der Palast“ zeigen. Interims-Intendant Klaus Dörr macht’s möglich und setzt, im Gegensatz zum gescheiterten Vorgänger Chris Dercon, den Tanz betreffend auf lokale Produkte. Weshalb auch gleich bei der Choreografin Sasha Waltz, die eigentlich schon alle Hände voll damit zu tun hat, im Sommer endlich ihre Staatsballettdirektion anzutreten, noch eine Uraufführung bestellt wurde. Dörr knüpft damit klar an die Tanztheatertradition und nicht an Diskurstanz an. Das Publikum zieht, was den Auftakt zum Dörr-Tanzprogramm angeht, mit.

Dabei ist „Megalopolis“ ein Macras-Dinosaurier von 2010. Immer mal wieder an verschiedenen Orten in Berlin gespielt. Ein Callcenter-, Knieschoner- und Highheelstück. Aus dem Publikum sagt jemand in den Applaus „sexualisierter Favela-Pop“. Der Begriff träfe zu, wenn ‚Favela‘ für von Menschenhandel, Armut, Krankheit, Überlebenstricks und Beziehungsdramen geprägte Prekariatszonen der Megastädte stünde. Macras zitiert dagegen den Architekten Rem Koolhaas mit Überlegungen zur „generischen Stadt“, was bei ihm für eine Stadt steht, deren Dimensionen und damit verbundenen Eigendynamiken jede architektonische Planbarkeit sprengen.

Eine Mischung aus pointiert, kalkuliert, hart, charmant, saturiert, stolz – das geht nicht besser

Königin dieses generischen Pops ist Fernanda Farah, als Clan-Mutter eine Art jüngeres Macras-Alter-Ego, die sich als Tochter von Che Guevara ausgibt und sich zwischenzeitlich in Leni Riefenstahl verwandelt. Die Mischung aus pointiert, kalkuliert, hart, charmant, saturiert, stolz, überheblich und vereinnahmend geht nicht besser als bei Farah. Sie hätte mit ihren Ambivalenzen und ihrem ­brüchigen Zynismus auch in „The Fa­vourite“ gepasst. Constanza Macras wiederum schwärmt von der Arbeit mit dem Filmproduktionsteam genauso wie vom Techniker*innenteam der Volksbühne: „They love what they do“.

In der Arbeit am Kostüm- und Historienfilm „The Favourite“ schätzte die Choreografin die nicht-psychologische Herangehensweise an das Schauspiel. „Giorgos gab ihnen so viel mentale Übungen, sie hatten gar keinen Platz zum Schauspielen mehr“. Die choreografische Arbeit bestand daher nicht nur aus dem Arrangement der Tanzszenen, sondern auch darin, das Team durch Bewegung vertrauter miteinander werden zu lassen. Und natürlich wird bei Lanthimos/Macras der Historientanz gesprengt, wenn es – zwischen machtpolitischen Entscheidungen zum Frankreich-England-Krieg – heißt: Let’s dance. Was folgt, geht in Richtung Contact Improvisation und Voguing. Der Kino-Lacher ist an dieser Stelle sicher.

Eine Parallele zwischen „The Favourite“ und der im April anstehenden Uraufführung „Der Palast“ bildet das historische Ausgangsmaterial. Auf der Grundlage alter Meistergemälde hat der britische Fotograf Tom Hunter den DorkyPark-Cast einschließlich Volksbühnentechniker*innen im Stadtraum abgelichtet. Bei diesen Stills aber wird es natürlich nicht bleiben. Sie sind die Grundlage von Macras’ Recherche zu Gentrifizierungskriminalität. „Disgusting things!“, stöhnt sie. Und zählt gleichzeitig eine Reihe Gast-Stars auf, die den Kampf um die Stadt durch einen ‚Dance Contest‘ austragen werden – an der Volksbühne.