Vom Reiz des Tanzes auf dem Vulkan

Mit der Ausstellung „Welt im Umbruch. Kunst der 20er Jahre“ sollten eigentlich die neuen Räume des Hamburger Bucerius Kunst Forums eröffnet werden. Nun drängen sich 175 Exponate noch im alten Haus am Alten Wall – zu wenig Raum für die großen Ambitionen der Ausstellungsmacher*innen

Gesellschaftskritisches Abbild der Nachkriegsgesellschaft: Georg Scholz' „Arbeit schändet“, vermutlich aus dem Jahr 1921 Foto: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Von Falk Schreiber

Ein arg billiger Witz: Das Hamburger Bucerius Kunst Forum ist ein Ausstellungshaus im Umbruch. Eigentlich war der Plan, mit der Ausstellung „Welt im Umbruch“ die neuen Räume im Alten Wall zu eröffnen. Der Umzug hat sich allerdings verschoben, die Präsentation deutscher Kunst der 1920er Jahre findet nun noch in den alten Räumlichkeiten am Rathausmarkt statt – deutlich beengter als gedacht.

Und dort will „Welt im Umbruch“, die mit rund 175 Exponaten umfangreichste Ausstellung in der 17-jährigen Geschichte des Hauses, viel, vielleicht zu viel. Sie will als Teil der 100-Jahre-Bauhaus-Feierlichkeiten einen umfassenden Überblick über die Kunst der Neuen Sachlichkeit in Deutschland erstellen. Sie will eine gesellschaftliche Krisensituation porträtieren: die Weimarer Republik kurz vor dem Abgleiten in den Nationalsozialismus, eingeschlossen die Warnung vor rechtsnationalistischen Umtrieben in der Gegenwart. Sie will auch eine Untersuchung des Verhältnisses zwischen Fotografie und Malerei anstoßen, ein Verhältnis, das sich um 1925 radikal zu wandeln begann.

Und nicht zuletzt will „Welt im Umbruch“ eine populäre Schau sein, die den grausigen Reiz des Tanzes auf dem Vulkan umkreist – nicht umsonst greift Andreas Hoffmann gleich in den ersten Sätzen des Kataloges auf die Fernsehserie „Babylon Berlin“ zurück, die für das Leben der 1920er Jahre mittlerweile eine Blaupause darstellt: „Vor unseren Augen entsteht ein lebendiger Eindruck der Weltstadt Berlin im Rausch zwischen Ku’damm und Kaschemmen, Swingmusik und Sittenpolizei, Kümmelschnaps und Kokain.“ Kann man natürlich machen. Man darf sich dann aber nicht wundern, wenn die 850 Quadratmeter Ausstellungsfläche ein bisschen überfüllt wirkt.

Behauptete Harmonie

Unterteilt ist die als Kooperation von Bucerius Kunst Forum und Münchner Stadtmuseum erstellte Ausstellung in sieben Kapitel, die sich mit den Themen Stillleben, Selbstbildnis, Akt, Architektur und Stadtansicht, Industrie und Technik, Porträt sowie politischer Montage beschäftigen. Das Ergebnis ist eine extrem heterogene Ausstellung, die wild zwischen Genres, Künstlern und Sujets hin- und herspringt. Freilich bekommen die Kuratoren diese Heterogenität durchaus elegant zu fassen: Das Architekturkapitel etwa präsentiert Reinhold Nägeles Gemälde „Weißenhofsiedlung Stuttgart bei Nacht“ (1928), die realistische Darstellung eines der bedeutendsten Projekte des Neuen Bauens in Deutschland.

Von dort führt der Gang an Karl Völkers angedeutet kritischem „Industriebild“ (um 1924) vorbei, um schließlich ganz ins Kapitel „Maschinenkunst und Technikkult“ einzubiegen, mit Carl Grossbergs Gemälde „Der gelbe Kessel“ (1933), das die Oberflächenbegeisterung der Pop Art vorwegnimmt, mit Albert Renger-Patzsch’ Fotografie „Elektrizitätswerk“, durchzogen von einer Faszination für das geräuschlose Funktionieren. Kuratorisch haben Katharina Baumstark (Bucerius Kunst Forum) und Ulrich Pohlmann (Münchner Stadtmuseum) das Problem der Stofffülle klug gelöst, auch wenn die Schau so das Phänomen einer auseinanderstrebenden Gesellschaft übertüncht.

„Welt im Umbruch“ jedenfalls zeigt eben keine Umbruchssituation, sondern behauptet eine künstlerische Harmonie. Eine Harmonie, die die Verwerfungen des Ersten Weltkriegs, spürbar etwa in Barthel Gilles’ „Selbstbildnis mit Gasmaske“ (1929/30), ein wenig voreilig mit der queeren Libertinage gleichsetzt, die zum Beispiel die Fotomappe „Akte“ von Germaine Krull (1924) prägt.

Und ohne Widerhaken führt dann eine direkte Verbindungslinie zu subversiver Agitationskunst von unter anderem Erwin Blumenfeld („Hitler’s Mug (Hitlerfresse)“, 1933) und Hannah Höch („Hochfinanz“, 1923), als ob es sich um eine einzige künstlerische Bewegung gehandelt hätte. Dass hier hingegen mehrere, teils vollkommen voneinander unabhängige, teils einander in Opposition gegenüberstehende künstlerische Positionen gezeigt werden, für solch eine Argumentation fehlt der Ausstellung schlicht der Platz.

Denn natürlich braucht eine auf den Publikumserfolg setzende Ausstellung auch noch Raum, um die besonders prominenten Exponate ansprechend zu inszenieren: Christian Schads zwischen klassizistischer Schönheit und neusachlicher Entzauberung schillernder „Halbakt“ (1929). Oder Otto Dix’ altmeisterlich anmutendes „Selbstbildnis“ (1931). Gerade bei den Gemälden gewinnt die Präsentation so eine über den bloß kulinarischen Genuss hinausweisende Qualität, eine Qualität, neben der die Fotoarbeiten vergleichsweise unspektakulär wirken.

Zu große Ambition

Prominentes Exponat: Otto Dix' „Selbstbildnis“ von 1931 Foto: Museum Ludwig, Köln © VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Das ist schade, weil der Ansatz, Fotografie und Malerei einander gegenüberzustellen, originell ist. Es hat seinen Reiz, wie Hannah Höch in ihrem Gemälde „Gläser“ (1927) mit Licht, Durchscheinendem, Schatten und Spiegelung spielt, gerade wenn direkt daneben Albert Renger-Patzschs Fotografie „Gläser“ (vor 1928) hängt: gleiches Sujet, gleiche Problemlage, unterschiedliche Technik.

Ein Künstler, dessen Arbeit sich durch mehrere Kapitel zieht, ist der Karlsruher Karl Hubbuch, der zwar nicht zu den ganz großen Namen der Ausstellung zählt, der allerdings durch seine formale und inhaltliche Vielschichtigkeit tatsächlich etwas spüren lässt von einer rapide zerbrechenden Welt. Und so findet sich in „Welt im Umbruch“ Hubbuchs großformatiger Dreifach-Akt „Die Drillinge“ (1928/29), die Fotografie „Marianne Beffert im Schwimmbad“ (nach 1929), die Radierung „Die Mörderzentrale“ (1922) sowie eine Reihe fotografischer Selbstporträts mit seiner Frau Hilde (nach 1927).

Ein naturalistisches Ölgemälde, das in der realistischen Darstellung schon die Verstörung des Surrealismus ahnen lässt, ein wie zufällig aufgenommenes Foto, das weibliches Selbstbewusstsein, genauen Körperblick und Sport verbindet, eine politische Montage, die unverblümte Kritik an Militarismus und Nationalismus übt. Und eine Fotoserie, die ironisch, lustvoll, verspielt Elemente von Happening und Performance vorwegnimmt. Hubbuchs Leben: ein Leben im ständigen Umbruch.

Wie durchdacht die Kutaroren diesen ab 1935 als entartet verfemten Künstler zu präsentieren wissen, das deutet jedenfalls an, was aus dieser Ausstellung hätte werden können. Mit etwas mehr Platz. Oder etwas weniger allumfassender Ambition.

Bis 19. Mai 2019, Bucerius Kunst Forum, Hamburg