heute in bremen
: „Familien zahlten in Streikkassen“

Lilja Girgensohn, 25, ist Studentin der Integrierten Europastudien an der Uni Bremen und zurzeit Praktikantin bei der Geschichtswerkstatt Gröpelingen.

Interview Moritz Warnecke

Frau Girgensohn, was war die Bremer Räterepublik?

Lilja Girgensohn: Sie war ein Versuch, in Bremen eine Demokratie zu etablieren, wenn auch eine andere als die, die wir heute kennen. Damals haben sich vor allem Menschen aus der Arbeiterklasse zusammengeschlossen und die alte politische Struktur aus der Kaiserzeit abgelöst.

Was hat sich in Gröpelingen abgespielt?

Gröpelingen war vor allem wegen der Werft AG-Weser, ein von Arbeiter*innen geprägter Stadtteil. Als sich die Arbeiterräte zum Arbeiter-und Soldatenrat zusammenschlossen, war der Rat der AG-Weser der mächtigste und mitgliederstärkste. Es war auch einer der wenigen Arbeiterräte, in dem Linksradikale die Mehrheit stellten. Die Politik schloss den ganzen Stadtteil ein: Familien zahlten in Streikkassen ein, um in dieser Zeit von etwas leben zu können. Es fanden politische Versammlungen statt und Demonstrationen zogen von hier aus in Richtung Innenstadt. Das politisch unbedeutende Gröpelingen rückte so ins Zentrum des Geschehens.

Was erhofften sich die Gröpelinger*innen von der Revolution?

Die politischen Arbeiter*innen versprachen sich Partizipation, der Rest vor allem das Ende des Ersten Weltkrieges und einen Ausweg aus der Armut. Viele Menschen mussten Hunger leiden. Die Revolution konnte aber besonders Letzteres nicht einhalten.

Warum nicht?

Vortrag: „Revolution in Gröpelingen 1918/1919“, 19 Uhr, Geschichtswerkstatt Gröpelingen, „Helene Kaisen“ Nachbarschaftshaus,

Beim Ohlenhof 10

Die Banken haben der Räterepublik den Geldhahn zugedreht und dessen Öffnen an politische Forderungen geknüpft. Als die Krise bewältigt schien, kam die Division Gerstenberger und hat die Räterepublik zu Grabe getragen.

Inwieweit prägen die Geschehnisse noch heute den Charakter von Gröpelingen?

Ich glaube, das Selbstbewusstsein, das die Arbeiterklasse in der Revolution erlangt hat, hat Gröpelingen noch lange Zeit geprägt – etwa beim vergleichsweise starken Widerstand gegen den Nationalsozialismus oder der Werftbesetzung zur Schließung der AG-Weser. Heute sehe ich diese Prägung eher weniger, weil es seit der Werftschließung keine organisierten Strukturen mehr gibt. Das Viertel versteht sich nicht mehr als kollektive Arbeiter*innenschaft.